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Bild, by Marliese Mendel
Wien-Wahl 2015

1001 Stimmen

Montag, 14. September 2015
Ein Teil der 300 AktivistInnen des Wahlbündnisses Wien Anders helfen Flüchtlingen an den Bahnhöfen, der andere Teil betreibt Wahlkampf. Vier KandidatInnen haben sich trotzdem Zeit genommen und mit dieZeitschrift über die „Entstenzelung“ des Ersten Bezirks, Konvois nach Ungarn und die Rückeroberung des öffentlichen Raumes gesprochen.

Das Programm der Wahlallianz Wien Anders beinhaltet Forderungen wie die Legalisierung von Cannabis, kostenlose Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln, eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche, bedingungsloses Grundeinkommen, gläserne Politik, gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit, Wahlrecht für alle WohnsitzbürgerInnen und das Ende der Zweiklassenmedizin.

"Entstenzelung"

Auf die Frage, was die KandidatInnen der Wahlallianz (bestehend aus Piratenpartei, KPÖ, Echt-Grün und der Plattform der Unabhängigen) von den anderen Parteien unterscheidet, sagt die Autorin, Millionenshowgewinnerin und Bezirksratskandidatin El Awadalla: „Es sind die unterschiedlichsten Menschen mit sehr verschiedenen Lebensgeschichten; Menschen mit unzähligen Kompetenzen in vielen Themenbereichen.“ Vom Nachtportier, der sich gegen das Automaten-Glücksspiel auf der Reinprechtsdorfer Straße einsetzt über den Politikwissenschafter, der sich für eine „Entstenzelung“ des Ersten Bezirkes stark macht über einen Kulturvermittler, der vernünftige Verkehrspolitik im sechsten Bezirk fordert, bis hin zu einer Autorin, die momentan aber eher damit beschäftigt ist, Flüchtlinge aus Ungarn abzuholen, als Wahlkampf zu betreiben.

„Margaretner Zukunftsquartier“

Wolf Jurians ist seit 2010 KPÖ-Bezirksrat in Margareten und engagiert sich in der Bürgerinitiative „Republik Reinprechtsdorf.“ Er fordert „Glück für alle statt Wettlokale“ und möchte auf der Reinprechtsdorferstraße statt der unzähligen Wettlokale lieber ein „Margaretner Zukunftsquartier“ und statt eines Wirtstaftsstandortes lieber einen Kultur- und Sozialstandort sehen. Er möchte für Reinprechtsdorf einen Sozialmarkt und ein Jugendzentrum erreichen – und ein Büro mit einem Mieternotruf: „Die Gentrifizierung erreicht jetzt auch das Grätzel zwischen Gürtel und Reinprechtsdorferstraße. Immer mehr Immobilienverwerter kaufen Häuser auf und versuchen die alten Mieter los zu werden.“

Die Gentrifizierung des Arbeiterbezirks sei nicht aufzuhalten, er möchte es den Bauherren aber schwer machen, Altmieter aus ihren Wohnungen zu mobben. Wenn Mieter ausziehen müssen, sollen sie zumindest eine entsprechende Entschädigung erhalten, damit sie sich eine neue adäquate Unterkunft suchen können.“

„Ich bin einer der Quotenmigranten“

Der Wien-Anders-Pressesprecher und Bezirksratskandidat für den Ersten Bezirk Sebastian Reinfeldt kommt aus Deutschland. „Ich bin einer der Quotenmigranten,“ scherzt er. Der Politikwissenschafter kam vor mehr als zwanzig Jahren nach Wien, ausgerechnet wegen Jörg Haider. Er forschte über rechten Populismus in Österreich und betrieb in Wien Feldforschung. Noch heute gilt sein Buch „Nicht-wir und Die-da“ als Standartwerk zum Rechtspopulismus.

Als EU-Bürger darf er in Österreich nur auf Bezirksebene kandidieren. Er ist nicht der einzige Kandidat aus dem EU-Ausland – auch Kandidaten aus Griechenland (Syriza) und Spanien (Podemos Österreich) stehen auf den Listen für die Bezirksräte. EU-BürgerInnen mit Hauptwohnsitz in Wien dürfen nur für den Bezirksrat kandidieren bzw. diesen wählen. Der Gemeinderat ist österreichischen StaatsbürgerInnen vorbehalten. Eine der Forderungen von Wien Anders ist es dementsprechend, dass alle WohnsitzbürgerInnen auch bei den Gemeinde- und Nationalratswahlen ein Stimmrecht haben.

Reinfeldt tritt im Ersten Bezirk mit ganz konkreten Zielen an: „Ich will den Bezirk 'entstenzeln'. In den letzten zwanzig Jahren ist der Rechtspopulismus immer mehr in die Mitte der Gesellschaft gerückt und deshalb ist die Kandidatur von Frau Stenzl für die FPÖ keine Überraschung für mich.“ Seine „Entstenzelungs“-Forderungen sind: eine höhere soziale Durchmischung in der Innenstadt und so der Entwicklung hin zum Freilichtmuseum Einhalt gebieten. Reinfeldt fordert auch, dass die vielen Leerstände für Kultur- und Sozialzentren genutzt werden. Er könnte sich durchaus auch vorstellen, dass im ehemaligen Postverwaltungsgebäude im ersten Bezirk Flüchtlinge untergebracht werden.

„Keppeln alleine genügt nicht“

El Awadalla sagt: „Der Grund warum ich als Bezirksrätin kandidiere ist einfach: „Keppeln alleine genügt nicht, ich muss etwas Konkretes tun.“ Und das tut sie auch als Fluchthelferin. Schon während des Jugoslawienkrieges hat sie drei Familien aus Bosnien bei sich aufgenommen: „Es waren insgesamt 15 Flüchtlinge.“ Inzwischen ist eine Familie nach Kanada gezogen, eine hat in Berndorf ein neues Zuhause gefunden und eine kehrte nach Bosnien zurück. „Man muss helfen, wenn zu helfen ist,“ sagt sie. Zuletzt hat sie eine Syrerin mit drei Kleinkindern aufgenommen, die völlig durchnässt im strömenden Regen in Richtung österreichischer Grenze unterwegs war.

Reinfeldt fordert, dass „Flüchtlinge nicht mehr über abenteuerliche und lebensgefährliche Routen nach Österreich kommen müssen, sondern, dass das Botschaftsasyl wieder eingeführt wird und so Möglichkeiten zur legalen Flucht geboten werden.

Verkehrspolitik

Probleme ganz anderer Art will der Kulturvermittler und ehemalige Grüne-Bezirksrat Manfred Rakousky lösen. Er will wieder „echte Kommunalpolitik“ für Anrainer im sechsten Bezirk machen und den öffentlichen Raum wieder für BürgerInnen zurück erobern. Konkret geht es ihm um die Ausgestaltung des öffentlichen Raumes mit Stadtmöbeln und Pflanzentrögen, um einen Radweg entlang des Naschmarktes, die Verlängerung von Busrouten und Umleitung des 13A, die Errichtung von Begegnungszonen rund um den Loquaiplatz und eine Skulpturen-Kulturmeile.

1001 Stimmen

Die Wahlallianz tritt in allen 23 Wiener Bezirken an. Innerhalb weniger Wochen hatten sie die nötigen Unterstützungserklärungen aus dem Wahlvolk – während NEOS und die Partei „Wir wollen Wahlfreiheit“ (WWW) durch die Unterschriften von Nationalratsabgeordneten antreten dürfen. Jurians und Awadalla brauchen 1001 Stimmen, um gemeinsam in das Margaretner Bezirksamt einzuziehen, einen Club zu gründen und so in den Ausschüssen mitarbeiten zu können.

Die KandidatInnen sind sich sicher, dass sie in die Bezirksräte und in den Gemeinderat einziehen werden und eben statt zu keppeln, ihre Forderungen in Taten umsetzen werden.

Termine auf: wienanders.at

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