Marliese Mendel
Kulinarik

Die „Entschnitzelung“ Österreichs

Samstag, 21. Dezember 2013
Yasar Sarikoc und Wu Chia Chai haben kulinarische Integrationsgeschichte geschrieben. Einer brachte das Kebab nach Wien, der andere die Frühlingsrollen.

Ganz genau weiß niemand, wie weit die Entschnitzelung Österreichs vorangeschritten ist. Längst gehören Hendl süß sauer, Sushi, Burger und Döner Kebab zum heimischen Speiseplan. Rund 2000 von den 5609 Gastronomiebetrieben in Wien bieten knödelferne und gulaschfreie Spezialitäten an. Die Integration der kulinarischen Importe ist gelungen. Auch wenn in Fast-Food-Läden die gleichzeitige Integration von Kebab, Sushi, asiatischen Nudeln und jetzt auch in Ketchup ertränktes Schnitzel auf Pommes in chinesischen Nudelschachteln etwas seltsam anmutet.

Die Österreicher waren schon immer gut im integrieren von Speisen: man denke an Gulasch, Knödel und Palatschinken. Den ersten Döner Kebab gab es bei Yasar Sarikoc 1983 im fünfzehnten Bezirk. Seither hat das Weißbrot mit „Fleisch vom Dreher“ seinen Siegeszug durch die hungrigen Mägen der Österreicher angetreten. Rund 225 Restaurants, Dönerlokale und Bäckereien bieten Kebabs alleine in Wien an.

Die lange Reise des Kebabs

Kebab, Frühlingsrolle
Marliese Mendel

1983 staunte ein Zollbeamter nicht schlecht, als er Sarikocs Gepäck am Flughafen in Wien öffnete. Darin fand er die erste nach Österreich importierte Kebab-Grillmaschine. Die ließ er dem jungen Mann noch durchgehen. Bei den langen Spezialmessern für Kebab musste Sarikoc echte Überzeugungsarbeit leisten, damit er sie nach Österreich einführen durfte.

Eigentlich war Sarikoc nach Österreich gekommen, um Volkswirtschaft zu studieren. Aber dann ging ihm das Geld aus und er überlegte, wie er sein Studium finanzieren könnte. „Ich wollte aus einem Loch heraus mittags Döner Kebab verkaufen“, erinnert er sich. Ganz so leicht war es nicht. Zuerst musste er einen einjährigen Kurs am WIFI belegen, um die Konzession zu erhalten. 1983 war es dann soweit. Gemeinsam mit einem Studienkollegen eröffnete er in Hütteldorf den Imbiss Kanilli (benannt nach der Wunderlampe von Aladin). Kaum war der Laden offen, standen die Leute Schlange. Sie waren neugierig, wie das Fleisch auf den Spieß kam „Ist das ein ganzes Lamm?“ fragten sie. Die Menschen kamen aus allen Bezirken, um Kebab zu kosten. Die kulinarische Revolution war perfekt, und Sarikoc brach sein Studium ab. Nach einer Weile verkaufte er den Anteil seines Kebabladens in Hütteldorf. „Ich gab einen Großteil des Geldes aus“, sagt er. Doch dann dachte er, Gott würde ihm nicht verzeihen, wenn er kein neues Lokal aufmachen würde. 1987 eröffnete er das Kebabhaus in der Operngasse. Es war ein In-Lokal, die Leute standen wieder Schlange. Noch heute werden in seiner Küche zweimal täglich Kebabspieße von Hand mit Lamm- oder Kalbfleisch gerollt.

Frühlingsrollen-Boom

Kebab, Frühlingsrolle
Marliese Mendel

Bevor der Chinese Wu Chia Chai 1963 die erste Beijing Ente in Wien servierte, nahm er noch einen Umweg. Er musste 1949 vor den Kommunisten fliehen, landete in Taiwan und arbeitete dort als Botschaftskoch. Warum es ihn irgendwann nach Europa verschlug, ist unklar. Angeblich flüchtete er vor einer unglücklichen Liebe.

Wu Chia Chai eröffnete das erste China-Restaurant Wiens, das „Goldener Drache“ in der Porzellangasse im Alsergrund. Am Anfang hatte er mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Man unterstellte Wu Chia Chai, Schlangen- und Katzenfleisch zu verkochen. Dennoch löste er einen Frühlingsrollen-Boom aus. Wus Landsleute folgten seinem Vorbild und eröffneten Chinarestaurants in ganz Österreich.

Heute betreibt sein Sohn Daniel, der in Wien aufgewachsen ist, das Restaurant. Von seinem Vater lernte er, dass „Essen die tägliche Apotheke“ ist. „Mein Vater betonte immer den Gesundheitsaspekt“, sagt Daniel Wu, „er verkaufte den Gästen nicht nur Essen, sondern auch eine Vision. Dabei bediente er sich gewisser Mythen, wie das Ginseng die Potenz fördert, oder seine geheime Kraftsuppe jede Magenverstimmung kuriert.“

Daniel Wu führt die Tradition weiter und serviert wunderbare Beijing Ente und handgemachte Teigbrötchen und Teigtaschen.

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