Der lebende Leichnam vom Gleinkersee
Der lebende Leichnam vom Gleinkersee, by Illustrierte Kronen Zeitung, 3. Dezember 1930 (anno)
Kleine Orte und ihre Geschichten

„Der lebende Leichnam vom Gleinkersee“

Sonntag, 26. November 2017
Beinahe hätte der Plan des Sensenwerkbesitzers Erich Schröckenfux funktioniert, wäre da nicht dieser kurze Augenblick in Berlin gewesen.

Maria Schröckenfux und Marie Fuchs standen am 9. Juni 1929 am Ufer des Gleinkersees. Eine ließ nach der Leiche ihres Ehemannes tauchen, die Andere wusste was mit ihm geschehen war und sah dem Treiben nur zu. Tausende Einheimische und Sommerurlauber_innen beobachteten das unerwartete Spektakel im sonst eher ereignislosen Ort Roßleithen.

Über den See waren Drahtseile gespannt worden. Helfer zogen daran die Taucherbasis, ein Floß, entlang. Einer der beiden Taucher zog 30 Kilogramm schwere Bleischuhe an, setzte sich den Kupferhelm mit Kristallglas auf, prüfte den Luftschlauch und stieg über eine Leiter in den See hinein. Er ging den schlammigen Seeboden ab, suchte nach der Leiche des „allgemein geachteten und beliebten Inhabers des Sensenwerkes“ Erich Schröckenfux. Dann wurde er wieder auf das Floß gezogen, zündete sich eine Zigarette an und sein Kollege begann seinen Tauchgang. Pro Tag könnten sie 2.000 Quadratmeter absuchen. Bei einer Größe von 13 Hektar würde die Bergungsaktion mehrere Monate dauern.

Spiritisten mischten sich ein. Sie behaupteten vom herbeigerufenen Geist des „alten Schröckenfux“ erfahren zu haben, dass der Verschwundene wirklich im See läge. Ein Medium aus Hinterstoder bestätigte dies und wollte auch wissen, warum die Leiche nicht auftauchte: Ein Bein stecke in einem Felsen fest. Alte Geschichten machten die Runde, die vom Knecht, der samt seinem schweren Rucksack von einem Kahn ins Wasser gefallen war und dessen Leiche nie gefunden worden war. Denn, der See gibt niemals eine Leiche frei. Und, erste Gerüchte kursierten: Schröckenfux sei gar nicht tot, er hätte seinen Tod nur vorgetäuscht.

Die Ehefrau von Erich Schröckenfux, Maria, musste alles daran setzen die Leiche ihres Mannes zu finden. Denn ohne Leiche, keine Totenbescheinigung und auch keine Auszahlung der Versicherungsgelder. Schröckenfuxes Geliebte, Marie Fuchs, hätte ihr sagen können, was passiert war, doch sie schwieg.

Die Abschiedsbriefe

Am 25. Mai 1929, einem Samstag wohnte Schröckenfux der Gemeinderatssitzung bei und stieg danach im „Jagdkleid“ zur Stofferalm auf, um dort einen Birkhahn zu jagen. Am 30. Mai wollte er wieder zurück sein, da sich für den darauffolgenden Tag die Wiener Direktoren angemeldet hatten. Als er jedoch zum vereinbarten Zeitpunkt nicht zurückkehrte, rief sein Bruder Arthur die „deutschvölkischen Turner“ zusammen und begann mit ihnen das Gebiet abzusuchen. Sie vermuteten, dass Erich vielleicht „bei einem Zusammenstoß mit Wilderern auf dem Platze geblieben sei.“ Die Suchenden fanden anfangs weder Hinweise auf ein Unglück noch auf ein Verbrechen. Erst gegen acht Uhr abends entdeckten sie die Kleider und die Brieftasche des Vermissten am nordöstlichen Ufer des Gleinkersees. Der Seewirt sagte, er habe gesehen wie Schröckenfux im See gebadet habe. Er sei ein guter Schwimmer gewesen, also nähme er an, dass er wohl einen Herzkrampf erlitten habe und ertrunken sei.

„Den Angehörigen des Vermissten war darum zu tun, dem See das Opfer, dass er sich geholt hat, zu entreißen“ und dafür waren die beiden Taucher aus Mannheim angereist. Das Gerücht verbreitete sich wieder, er habe seinen Tod nur vorgetäuscht, um gleich drei Versicherungsunternehmen zur Auszahlung der Lebensversicherungen zu bewegen – insgesamt mehr als 445.000 Schilling (andere Quellen schreiben rund 300.000 Schilling).

Arthur fand in der Brieftasche seines Bruders zwei Abschiedsbriefe. Einer davon war an ihn gerichtet: er solle den Brief geheim halten, vielleicht würde dann die Allgemeine Versicherungsanstalt einen Unfall annehmen und die Versicherungssumme auszahlen. Werde aber ein Unfall angezweifelt, dann sollte er den zweiten Abschiedsbrief vorweisen und Selbstmord in geistiger Umnachtung behaupten. In diesem Falle würden nun die beiden anderen Unfallversicherungen bezahlen. Der zweite Abschiedsbrief war an seine Frau gerichtet. Darin schrieb er: Er hätte eigentlich geplant ins Ausland zu gehen um eine Existenz zu suchen, sei aber von dem Gedanken abgekommen. Um die Zukunft seiner Familie sicherzustellen, wegen der misslichen finanziellen Lage und aus Furcht vor geistiger Erkrankung begehe er Selbstmord, die Versicherungsgesellschaften würden auch in diesem Falle bezahlen.

Als die Briefe gefunden wurden, war Erich Schröckenfux schon mit einem Schnellzug von Spital am Pyhrn über Böhmen nach Deutschland gereist. Am 29. Mai kam er in Berlin an und am 1. Juni schließlich in Hamburg. Wahrscheinlich hätte sein Plan funktioniert, wäre da nicht dieser vermaledeite Augenblick in Berlin gewesen.

Der verhängnisvolle Augenblick in Berlin

Am 14. Juni hörte ein Linzer Geschäftsmann von der Geschichte und erfüllte seine „staatsbürgerliche Pflicht“. Er meldete der Polizei, dass er die „markante Gestalt des Schröckenfux in einer eleganten Hotelhalle nahe des Berliner Bahnhofes“ gesehen habe. Er habe ihn angesprochen, Schöckenfux habe getan als kenne er ihn nicht und sei verschwunden.
Außerdem hatte die Gendarmerie inzwischen erhoben, dass Schröckenfux im Mai, in der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf um die Ausstellung eines Reisepasses auf den Namen des Angestellten im Sensenwerk Alois Königslehner angesucht habe. Der Beamtin allerdings Foto von sich übergeben hatte.

Nun telegrafierte die oberösterreichische Gendarmerie an ihre Berliner und Hamburger Kollegen mit der Bitte Recherchen einzuleiten, ob ein Mann namens Schröckenfux oder Königslehner in einer der Städte gemeldet sei.

Ein Haftbefehl wegen Versicherungsbetrugs wurde erlassen, die Bergungsarbeiten am Gleinkersee eingestellt und Maria Schröckenfux erlitt eine schwere Nervendepression.

Die Hamburger Polizei fand Schröckenfux am 16. Juni und nahm ihn fest. In der Tasche hatte er 360 Reichsmark und eine Fahrkarte nach Rio de Janeiro.

"Der lebende Leichnam"

Seit dem Verschwinden von Erich Schröckenfux berichteten alle österreichischen Tageszeitungen über den Fall. Die „Illustrierte Kronen Zeitung“ vermutete, dass er ob der finanziellen Schwierigkeiten der Werke (...) die Flucht ergriffen habe und behauptete, dass er vor seinem Verschwinden größere Abhebungen bei der Bank gemacht und eine Lebensversicherung auf einen Milliardenbetrag abgeschlossen habe. Das „Linzer Volksblatt“ berichtete, dass er den Versicherungsbetrug nicht zu Gunsten seiner Familie, sondern seiner Geliebten geplant habe. Sie hätte mit der behobenen Versicherungssumme mit ihm nach Südamerika fliehen sollen. Das sozialdemokratische „Tagblatt“ schrieb über Marie Fuchs:„ Die Geliebte des Schröckenfux, die walkürenhafte 'teuflische Jungfrau' Mitzi Fuchs, sei nicht nur in den ganzen Schwindel eingeweiht sondern auch bereit gewesen mit dem verheirateten Mann durchzugehen. Das „Neue Wiener Abendblatt“ fand nettere Worte und beschrieb sie als hübsch, schlank und von einnehmenden Äußeren.

Kennengelernt hatte Schröckenfux die Kupferschmiedtochter Marie Fuchs aus Windischgarsten bei der Eröffnung der „deutschvölkischen Turnhalle“ in Roßleithen. Beim Prozess im Dezember 1930 wird sie aussagen, sich mit ihm unterhalten zu haben, auch noch am nächsten Tag. Nach längerer Zeit habe sie ihn in Windischgarsten wieder getroffen und sie hätten aneinander Gefallen gefunden und sich einige Male am See getroffen. Er habe von seinen traurigen Familienverhältnissen erzählt und sie habe versucht ihn zu trösten und schließlich feststellen müssen, dass sie in ihn verliebt sei.

Schröckenfux hatte im Jahr 1910 oder 1911 die ehemalige Lehrerin Maria geheiratet und wurde Vater von zwei Söhnen. Er sagte beim Prozess aus, dass seine Ehe von Anfang, ob der Hysterie seiner Frau unglücklich gewesen sei und obwohl er bestrebt gewesen war, ihr das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten, habe sie ihn immer beschimpft. Dazu wäre eine wahnsinnige Eifersucht gekommen. Von Scheidung habe sie nichts wissen wollen.

Die Auslieferung

Nach Schröckenfux Verhaftung erschienen beinahe täglich konkurrierende Nachrichten. Die „Tagespost“ berichtete am 10. Juli 1929, er habe in Hamburg ein volles Geständnis abgelegt und die Auslieferung nach Steyr stehe kurz bevor. Die „Illustrierte Kronen Zeitung“ schrieb am 11. Juli 1929, sie hätten erfahren, dass er bei seiner Verhaftung einen Nervenzusammenbruch erlitten habe und ganz apathisch gewesen sei. Dass er anfangs alles zu leugnen versucht habe, aber wegen des von der Wiener und Linzer Polizei gesammelten Belastungsmaterials ein rückhaltloses Geständnis abgelegt habe. Nämlich den Selbstmord fingiert zu haben um mit seiner Geliebten nach Südamerika zu gehen. Er soll in den nächsten Tagen nach Steyr gebracht und wegen Versicherungsbetruges, Dokumentenfälschung, Falschmeldung und Irreführung der Behörden vor Gericht gestellt werden. Die „Linzer Tagespost“ behauptete aber am 14. Juli, dass Schröckenfux kein Geständnis abgelegt habe, sondern sein Rechtsanwalt einen Antrag auf Enthaftung gestellt und um die Bewilligung eines freien Geleits angesucht habe. Mit der Begründung, dass Schröckenfux bereit sei sich den österreichischen Behörden zu stellen. In der „Illustrierte Kronen Zeitung“ vom 11. August stand zu lesen: die vollständige Schuldlosigkeit gelte als erwiesen, denn in den Versicherungspolizzen stand, dass sie bei Selbstmord nicht bezahlen.

Der Prozess

Schließlich wurde Schröckenfux am 17. September 1929 in aller Stille nach Steyr gebracht. Am 18. Oktober entschied das Wiener Oberlandesgericht, dass er auf freien Fuß zu setzen sei. Es dauerte beinahe ein Jahr bis am 1. Dezember 1930 die Verhandlung gegen ihn und seine Geliebte Marie Fuchs wegen versuchten Versicherungsbetruges begann. 15 Zeugen waren geladen. Der Prozess dauerte drei Tage. Beide bekannten sich nicht schuldig.

Schröckenfux gab bei seiner Aussage an, gegenwärtig ohne Stellung, ohne Einkommen und ohne Vermögen zu sein und, dass er für seine Frau und zwei Kinder im Alter von 16 und elf Jahren zu sorgen habe. Als Motiv für den Abschluss der Versicherung zugunsten seiner Geliebten gab er an, „dass er die Zukunft seiner Braut unbedingt sicherstellen musste, weil sie seinetwegen zwei Heiratsanträge ausgeschlagen habe“ und es „drüben in Amerika gäbe es keine Versicherungen.“ Wenn ihm etwas geschehe, stünde sie hilflos verlassen in der Welt.

Er leugnete jedoch jede Betrugsabsicht, er wollte nur seinem ehelichen Leid entkommen. Also habe er nach „unablässigen Grübeln“ beschlossen seinen Selbstmord vorzutäuschen, um ohne Schwierigkeiten aus Europa verschwinden zu können.

Fuchs sagte aus, dass sie die von Schröckenfux angebotenen Versicherungspolizze über 5.000 US-Dollar, im Falle seines Ablebens abgelehnt habe. Sie hätte ihn am 26. Mai 1929 am Gleinkersee getroffen und versucht ihn von seinem Plan abzubringen. Außerdem habe sie sich geweigert mit ihm zu reisen, sie sei „nicht die Dirn vom Tanz“, die ohne Abschied von ihrer Familie weglaufen würde.

Erich Schröckenfux wurde wegen versuchten Betruges zu 15 Monaten schweren Kerkers, Marie Fuchs als Mitschuldige zu sechs Monaten einfachen Kerkers verurteilt. Der Richter begründete das Urteil: der Gerichtshof sei auf Grund des Beweisverfahrens zur vollen Überzeugung von der Schuld der beiden Angeklagten gelangt, dass Schröckenfux die drei in seinen Händen befindlichen Versicherungspolizzen in betrügerischer Weise ausnützen wollte. Seine Geliebte habe ihm dabei Vorschub geleistet.

Maria Schröckenfux musste die Kosten für die Taucherarbeiter im See – rund 6.000 Schilling - bezahlen, die betagte Mutter des Ingenieurs pflegen muss und sich um die beiden Söhne kümmern. Über Erich Schröckenfux findet sich im „Tagblatt“ vom 15. September 1931 ein Eintrag. Er und sein Bruder hätten während des Putsches der austrofaschistischen Heimwehr den Pyhrnpass besetzt, das Gasthaus „Zur Paßhöhe“ eingenommen, Autos, Motorräder und Fahrradfahrer aufgehalten. Als es zu regnen begann, sollen die Heimwehrler nach Hause gegangen sein.

Zum Schicksal der Kupferschmiedtochter Marie Fuchs schweigen die Quellen bisher noch.

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