Zeitgeist und Feinripp

Eigentlich hatte Kolm nie gedacht, Geschäftsführer eines großen Hotels in Favoriten zu werden. Er hatte Immobilienwirtschaft studiert und im Bereich der Gebäudeverwaltung gearbeitet. Passiert ist ihm das Ganze nach einer Weltreise, die er nach der Kündigung seines alten Jobs gemacht hatte.
Sieben Monate lang hatte er das gesamte Spektrum an Unterbringungsmöglichkeiten kennengelernt – von der Absteige, wo die Farbe des Bodens höchstens zu erahnen war bis hin zum Fünf-Stern-Hotel.
Wie er selbst ins Hotelfach kam, war aber komplett ungeplant: Nach seiner Rückkehr erhielt er die Anfrage eines Freundes, ihm beim Bau eines Großprojekts im neu errichteten Sonnwendviertel beim Hauptbahnhof mit seiner Expertise als Facility Manager mit seiner Sachkenntnis zur Seite zu stehen: Es ging um die Errichtung der Bundesfinanzakademie, eines Hostels und des Hotels Zeitgeist.
Die drei Projekte sind an sich unabhängig voneinander; jedoch erstreckt sich das Hotel in die Bundesfinanzakademie hinein: man wollte für die Azubis Unterbringungsmöglichkeiten.
Die zusätzlichen Zimmer wurden allerdings in das Gebäude der Bundesfinanzakademie hineingebaut – was zur interessanten Situation führte, dass die Bundesfinanzakademie bei der Einrichtung der Hotelzimmer mitreden wollte: So schrieb man etwa die Breite der Kästen, die Größe der Schreibfläche und die Diagonale des Flachbildschirmes vor. Letztlich hat man mit dem Finanzministerium einen Kompromiss gefunden.
Wohl auch, weil Kolm für die Hoteleinrichtung den „Kofferbock-Schreibtisch“ erfunden hat: Das Möbel kann gekippt werden und dient dann als zusätzliche Schreibunterlage, die Arbeiten auch noch im Bett möglich macht.
Überhaupt hat Kolm in die Planung der 254 Zimmer eingegriffen; diese waren sehr konservativ geplant, Kolm wollte allerdings etwas peppigeres: Badezimmer mit viel Abstellflächen und eine separate Toilette.
Miniaturlokomativen in der Hotellobby?
Dass Kolm letztlich auch noch Geschäftsführer des Hotels wurde, liegt an den Extrawünschen der potenziellen Betreiber. Mehrere große Hotelketten hatten sich sich für den Neubau in unmittelbarer Nähe zum Wiener Hauptbahnhof interessiert. Doch die Einen wollten eine zusätzliche Sprinkleranlage, die Anderen wollten zu wenig bezahlen.
Wieder andere kamen mit extravaganten Umbauwünschen an: In der Eingangshalle sollten Miniaturlokomativen fahren und durch die Gänge sollten Teppiche mit Eisenbahnschienen-Design verlegt werden.
Nach längerem Suchen schlug Kolm dem Gebäudeerrichter und -eigentümer Gerhard Dinstl im Scherz vor: „Wenn Du nicht bald jemanden findest, dann mach ich es selber.“ Dieser meinte: „Das ist eigentlich eine gute Idee“. Und er meinte es ernst. Seit 2013 ist Kolm geschäftsführender Gesellschafter des Hotels „Zeitgeist“.
Seitdem hat er mit seinen Gästen einiges erlebt: Da gab es den misslungen Versuch zweier Gäste, die den Brandmelder abmontieren wollten um im Zimmer zu rauchen. Doch der Alarm ging trotzdem los. „Wir sagten dem Gast, dass er Schadenersatz an der Rezeption zu bezahlen hat. Das tat er auch. Er trug dabei allerdings nur ein einziges Kleidungsstück: Feinrippunterhosen.“
Ein anderer Gast wiederum schlief so fest, dass er nicht bemerkte, wie zwei Feuerwehrmänner in voller Montur den defekten Brandmelder in seinem Zimmer reparierte.
Durch die Zimmer lesen
Factbox
Hotel Zeitgeist Vienna Hauptbahnhof,
Sonnwendgasse 13-15,
1100 Wien
Tel.: +43 1 90265
Zimmerpreise ab 42,00 Euro pro Person und Nacht, inkl. Frühstücksbuffet,
gratis WLAN, Fahrräder,
Segways mieten: 29,90 pro Stunde,
I-Pads mieten: 5,00 Euro pro Tag,
Für Hotelgäste: parken in der Tiefgarage um nur EUR 14,- / Tag
Kolm hat in der Ausstattung bewusst Akzente des Unperfekten gesetzt: im Gastgarten etwa wurde für die Gestaltung „ungerades“, verzogenes Holz ausgesucht, sozusagen als „augenzwinkernde Inkorrektheit beim Design des Hotels Zeitgeist.“
Der Autor und Kunsthistoriker Hanno Millesi hat für das Hotel einen Essay geschrieben, der von Zeitgeist, Reisenden und ihren kurzlebige Begegnungen im Hotel handelt. Fragmente des Essays sind in die Spiegel in den Hotelzimmern graviert – würde man alle Zimmer in der richtigen Reihenfolge besuchen, könnte man den gesamten Text lesen.