50.000 Arbeitsplätze soll der Bau des interozeanischen Kanals im zweitärmsten Land Lateinamerikas schaffen. Das Bruttoinlandsprodukt soll sich bis 2020 verdoppeln. Und nach Fertigstellung des Kanals sollen 40.000 Menschen ständig Arbeit haben: an den beiden Häfen (am Pazifik und am Atlantik), auf dem neuen internationalen Flughafen, in der Freihandelszone und in vier Tourismusprojekten. Der „Gran Canal“ soll jenem in Panama Konkurrenz machen. So sagen es der nicaraguanische Präsident Daniel Ortega und der Bauherr des Megaprojektes, der Chinese Wang Jing. Nur glauben die Nicaraguaner den beiden nicht. Zu viele Fragen sind offen.
2012 unterschrieben Ortega und Wang Jing einen Vertrag. Sie vereinbarten den Bau des Kanals. Erst ein Jahr später wurde im sandinistisch dominierten Parlament (63 von 92 Sitzen) das Ley 840 verabschiedet - mit brisantem Inhalt: Nur eine einzige Firma sollte den Auftrag erhalten, den Kanal zu bauen. Sofort erhielt HKND das exklusive Recht, den Kanal zu entwerfen, zu entwickeln, zu finanzieren, zu bauen, zu besitzen, zu betreiben und zu erhalten, und das für 50 Jahre. Mit der Möglichkeit, den Vertrag um weitere 50 Jahre zu verlängern.
Wang Jing machte sich an die Arbeit. Er gründete Firmen in China, Hong Kong, den Kaiman Islands, in Holland und Nicaragua. 15 bis 20 Postkastenfirmen seien es, schreibt die nicaraguanische Wochenzeitung Confidencial. Keine der Unternehmen ist mit genügend Kapital ausgestattet um das Projekt zu finanzieren. Geht es nach Wang Jing, sollen die prognostizierten Baukosten - 50 Milliarden US-Dollar - von internationalen Finanziers übernommen werden.
El Gran Canal
Fast 300 Kilometer lang soll der Kanal werden und Brito an der Pazifikküste mit Punta Gorda an der Atlantikküste verbinden. Jeweils zehn Kilometer ins Landesinnere hinein, entlang des Kanals, sollen auch an HKND übergeben werden. Die jetzigen Eigentümer sollen – wie im Ley 840 festgelegt – für ihr Land entschädigt werden. Nach dem Katestralwert und nicht nach dem Marktwert. Für 70 Hektar Farmland will der Staat 26.000 Cordobas (knapp 900 Euro) bezahlen. Am freien Markt kostet ein Hektar Farmland zwischen 5.000 und 15.000 US-Dollar.
Die Regierung behauptet, rund 7000 Familien seien betroffen. Die NGO Centro Alexander von Humboldt in Managua sagt hingegen, dass rund 109.000 Menschen ihr Land verlassen müssen. Andere rechnen vor, dass 2.800 Häuser, 96 Schulen, 19 Gesundheitszentren, 35 Friedhöfe und 90 Kirchen dem Kanal weichen müssen. So genau weiß es niemand. Alleine die Mitarbeiter des Centro Humboldt haben bei ihrer Recherche 42 indigene Gemeinschaften gefunden, die bis dahin in keinem offiziellen Dokument aufschienen. 16 davon, mit in Summe etwa 2000 Indigenas, werden wegziehen müssen.
Landreform
Nach der Revolution 1979 verteilte die sandinistische Regierung das Land des vertriebenen Diktators Somoza. Eine Million Hektar Farmland wurde unter 200.000 Menschen aufgeteilt. 1996 gewann der liberale Arnoldo Aleman die Präsidentschaftswahlen und erlaubte den ehemaligen Besitzern, ihr Land zurück zu fordern. 5000 meldeten Ansprüche an. Bis heute sind viele Besitzverhältnisse unklar. An der Atlantikküste hingegen kennen die indigenen Bewohner kein Eigentum. Das Land gehört den ethnischen Gruppen.
52 % des Kanals – so die Pläne - sind auf Land der indigenen Bevölkerung geplant. Auch Bangkukuk Taik, die letzte Rama sprechende Gemeinschaft, muss ihr Dorf räumen, geht es nach dem chinesischen Investor.
Vor einigen Monaten tauchten Chinesen in dem kleinen Dorf auf. Sie sagten den Bewohnern, sie müssten sich keine Sorgen machen, sie selbst würden nur einen Stein hier zurück lassen. Doch dieser Stein markiert das Ende des Dorfes. Hier soll einer der beiden Häfen entstehen. Die Chinesen zeigten den Rama ein Video über den Kanal. Man würde ihnen Geld geben für ihr Land, sagten die Chinesen. „Doch wir brauchen kein Geld“, sagt eine Bewohnerin im Interview mit einer NGO, „wir bauen Bohnen, Reis, Bananen, Maniok an, fischen im Meer und halten Tiere. Wir brauchen unser Land.“
Das sieht der Vorsitzende der Kanal-Verwaltung, Manuel Coronel Kautz, ganz anders. In einem Interview sagt er, es seien ungebildete Leute, denen man nur ein bisschen Geld zu geben brauche und schon würden sie verschwinden: Er handelte sich damit einen formidablen Shitstorm in den Sozialen Medien ein.
Die Ramas leben in einem der drei Naturschutzgebiete an der Atlantikküste: Cerro Silva, Indio Maiz Biosphere Reserve und Punta Gorda Natural Reserve. Durch alle drei soll der Kanal gebaut werden, auch durch die „Milchkammer“ Nicarguas Nueva Guinea, durch die geschützten Feuchtgebiete bei San Miguelito bis hin zum Lago Nicaragua, dem größten Binnensee Mittelamerikas, in dem die Insel Ometepe mit ihren zwei Vulkanen liegt. Einer davon ist noch aktiv.
Die Feuchtgebiete sollen einem künstlichen See weichen. Dessen Wasser braucht man, um das sinkende Wasserniveau aufzufüllen. Um die Megafrachtschiffe über den Nicaragua See fahren zu lassen, muss der See tiefer werden – und zwar um bis zu 27 Meter tiefer. HKND plant, eine bis zu 500 Meter breite und 30 Meter tiefe Schneise auf einer Länge von 95 Kilometer aus dem Seeboden zu sprengen.
Umweltschützer sprechen von einer ökologischen Katastrophe. Die geplanten Sprengungen im See beträfen rund 500.000 Menschen: jene, die am See wohnen und von dort täglich ihr Trinkwasser holen, die Bauern, die das Seewasser zur Bewässerung ihrer Felder nutzen, die Fischer, die jährlich bis zu 500.000 Kilo Fische hier fangen, und die rund 100.000 Menschen in Juigalpa und 18.000 in San Juan del Sur. Sie werden via Wasserleitungen mit Seewasser versorgt. Doch das Wasser würde zuerst durch die Sprengungen und dann im Kampf gegen die stetig drohende Verschlammung komplett verschmutzt und so unbrauchbar werden.
Aber nicht nur Menschen wären betroffen, sondern auch die 40 Fischarten, die im See leben. Umweltschützer fürchten die Zerstörung des gesamten Öko-Systems des Nicaragua Sees. Andere glauben, dass viele der 400 Inseln einfach verschwinden würden.
Fehlende Umweltverträglichkeitsprüfung
Seit Monaten verspricht die Regierung, endlich die Umweltverträglichkeitsprüfung vorzulegen. Schon am 31. Mai 2015 hat die britische Environmental Resources Management – die sich selbst als „The world's leading sustainability consultancy“ bezeichnet – der Regierung 14 Bände mit der Prüfung übergeben. Nur eine handverlesene Journalistenschar durfte der Übergabe beiwohnen, den Inhalt des Papiers hat bis heute niemand gesehen. Die Grupo Cocibolca – ein Zusammenschluss von acht kanalkritischen NGOs - und die Academia de Ciencias de Nicaragua haben mehrfach versucht, den Bericht von HKND oder dem Umweltministerium zu erhalten. Sie scheitern daran bis heute, obwohl der Umweltminister und Vorsitzende der Kanalkommission Kautz das Gegenteil behaupten: Man habe den Bericht bereits veröffentlicht und werde ihn nun in die betroffenen Gemeinden bringen. Man könne nicht jedem Einzelnen das Papier übergeben. Die Regierung muss den Bericht veröffentlichen, sonst würden sie gegen ihr eigenes Transparenzgesetz verstoßen.
Bis heute ist in El Tule der Bericht nicht eingetroffen. Die Bewohner hatten sich bereits im Dezember 2014 gegen die Enteignung gewehrt, man wolle sich nicht wie ein Straßenhund von seinem Land vertreiben lassen, niemand wolle sein Land verkaufen. Sie blockierten die Straße und somit den Transport der schweren Baumaschinen für den Kanalbau. Die Regierung sandte Polizisten und das Militär. Diese schossen mit Gummipatronen auf die Demonstranten und versprühten Tränengas. 50 Demonstranten und drei Polizisten wurden verletzt.
El Tule ist ein Dorf entlang des geplanten Kanals. Hier leben Bauern, sie pflanzen Bohnen, Yucca, züchten Rinder, sie produzieren Käse und Milch. Ein Dorf, wie viele in Nueva Guinea. Die Bewohner leiden jetzt schon unter dem Kanal. Die Bank gibt ihnen keine Kredite mehr, um die Aussaat zu finanzieren, die Straßen werden nicht mehr repariert und Häuser nicht mehr fertig gebaut. „Sie werden uns ermorden wie räudige Hunde“, sagt eine Frau im Fernsehinterview, „wir werden vor Traurigkeit sterben,“ sagt eine andere.
Viele der Demonstrierenden haben 1978/1979 unter den Sandinisten gegen den Diktator Somoza gekämpft, angeführt von Daniel Ortega. Von ihm fühlen sie sich nun verraten. Er sei schlimmer als Somoza, sagen sie. Er wolle ihnen nun – wie schon Somoza – ihr Land wegnehmen.
46 Demonstrationen haben bisher landesweit stattgefunden, in der Hauptstadt Managua, in El Tule, in Juigalpa und der Provinzhauptstadt Rivas. Die Menschen protestieren gegen die Intransparenz der Auftragsvergabe, den fehlenden Umweltverträglichkeitsbericht, die Landenteignungen und sie schreien auch ihre Angst hinaus. Denn in den Verträgen gibt es keinerlei Garantien, dass sich HKND verpflichtet, das Projekt fertigzubauen. So fürchten viele, dass das Geld ausgehen könnte und der Kanal nur teilweise gebaut wird. Und sich dann wie eine tiefe Narbe durch das Land zieht.
Von Obrajuelo nach Brito
Der Bezirk Rivas grenzt an den Nicaraguasee. Hier liegt auch das kleine Dorf Obrajuelo. Geht es nach den Kanalbauern, verschwindet das Dorf. Denn von hier aus sollen die Megafrachtschiffe unter der Pan Americana durch bis nach Brito am Pazifik fahren - durch ein stark erdbebengefährdetes Gebiet und extrem starken und sehr böigen Wind.
In Brito sollen die Fischer und Tamarindobauern dem Hafen und der Freihandelszone weichen. Die ersten Landvermesser waren schon da. Begleitet von Polizisten und Militärs haben sie Steine gesetzt und sie mit Zetteln markiert. Im Dezember 2014 kam Wang Jing und wollte den offiziellen Baubeginn feiern. Doch bis heute ist noch nichts gebaut worden. Die Menschen leben in der steten Unsicherheit, ob nicht doch morgen ein Bagger ihr Haus zerstört.
Finanzierungsschwierigkeiten
Bis heute steht die genaue Route des Kanals nicht fest. Niemand weiß, wie viele Menschen tatsächlich ihr Land „verkaufen“ und wegziehen müssen. Daniel Ortega versichert immer wieder, dass mit jedem Einzelnen Gespräche geführt würden. Im Oktober will die Regierung die komplette Liste veröffentlichen.
HKND spricht nun davon, 2016 mit dem Bau beginnen zu wollen. Auch die Zahl der 50.000 Arbeitsplätze für Nicaraguaner ist inzwischen nach unten korrigiert worden. Es seien doch nur 25.000, vor allem, weil es in Nicaragua keine qualifizierten Arbeitskräfte gäbe. Deshalb hat Wang Jing sicherheitshalber schon mit mehreren chinesischen Firmen Verträge abgeschlossen. Sie sollen nun das Fachpersonal und die Maschinen nach Nicaragua senden. „Für uns bleibt nur, die Stiefel der chinesischen Arbeiter zu reinigen“, sagt ein Rama im Fernsehinterview.
Auch scheint es Probleme bei der Finanzierung des Projektes zu geben. Bis heute hat die Regierung – nach eigenen Angaben - nicht einen Peso erhalten, um die Landbesitzer auszuzahlen. Nun soll Daniel Ortega den Befehl ausgegeben haben, dass kein Regierungsmitglied mit HKND-Mitarbeitern sprechen soll, bis das Geld eingetroffen ist.
Inzwischen muss sich Wang Jing in London kritische Fragen gefallen lassen. BBC wollte von ihm wissen, ob er das Projekt aufgeben würde. Nein, würde er nicht, sonst würde er ja zur Witzfigur der internationalen Wirtschaftswelt, sagt Wang Jing. Und Daniel Ortega kann das Projekt nicht aufgeben. Schließlich stehen nächstes Jahr Präsidentschaftswahlen an. Bei denen er eigentlich gar nicht antreten dürfte. Aber vor den Wahlen 2011 änderte er die von ihm selbst in den 1980ern ausverhandelten Verfassung – sie sah vor, dass jeder Präsident nur einmal kandidieren darf – damit er wieder gewählt werden kann. Zum dritten Mal in Serie.
(Die Autorin hat elf Jahre in Nicaragua gelebt)
Quellen: Wochenzeitschrift Confidencial, Gespräche mit Betroffenen, Interview mit Betreiberinnen der Facebookseite No al Canal.