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Bild, by danandcesar
Gran Canal

Der große Traum

Dienstag, 28. Juli 2015
72 Versuche gab es bereits, den Kanal zwischen dem Pazifik und dem Atlantik in Nicaragua zu bauen. Alle scheiterten. Das soll sich nun ändern. Präsident Daniel Ortega hat mit dem chinesischen Geschäftsmann Wang Jing einen Vertrag geschlossen. 2020 soll der Kanal eröffnet werden. Doch die Bevölkerung wehrt sich gegen das Megaprojekt.

Fehlende Umweltverträglichkeitsprüfung

Seit Monaten verspricht die Regierung, endlich die Umweltverträglichkeitsprüfung vorzulegen. Schon am 31. Mai 2015 hat die britische Environmental Resources Management – die sich selbst als „The world's leading sustainability consultancy“ bezeichnet – der Regierung 14 Bände mit der Prüfung übergeben. Nur eine handverlesene Journalistenschar durfte der Übergabe beiwohnen, den Inhalt des Papiers hat bis heute niemand gesehen. Die Grupo Cocibolca – ein Zusammenschluss von acht kanalkritischen NGOs - und die Academia de Ciencias de Nicaragua haben mehrfach versucht, den Bericht von HKND oder dem Umweltministerium zu erhalten. Sie scheitern daran bis heute, obwohl der Umweltminister und Vorsitzende der Kanalkommission Kautz das Gegenteil behaupten: Man habe den Bericht bereits veröffentlicht und werde ihn nun in die betroffenen Gemeinden bringen. Man könne nicht jedem Einzelnen das Papier übergeben. Die Regierung muss den Bericht veröffentlichen, sonst würden sie gegen ihr eigenes Transparenzgesetz verstoßen.

Bis heute ist in El Tule der Bericht nicht eingetroffen. Die Bewohner hatten sich bereits im Dezember 2014 gegen die Enteignung gewehrt, man wolle sich nicht wie ein Straßenhund von seinem Land vertreiben lassen, niemand wolle sein Land verkaufen. Sie blockierten die Straße und somit den Transport der schweren Baumaschinen für den Kanalbau. Die Regierung sandte Polizisten und das Militär. Diese schossen mit Gummipatronen auf die Demonstranten und versprühten Tränengas. 50 Demonstranten und drei Polizisten wurden verletzt.

El Tule ist ein Dorf entlang des geplanten Kanals. Hier leben Bauern, sie pflanzen Bohnen, Yucca, züchten Rinder, sie produzieren Käse und Milch. Ein Dorf, wie viele in Nueva Guinea. Die Bewohner leiden jetzt schon unter dem Kanal. Die Bank gibt ihnen keine Kredite mehr, um die Aussaat zu finanzieren, die Straßen werden nicht mehr repariert und Häuser nicht mehr fertig gebaut. „Sie werden uns ermorden wie räudige Hunde“, sagt eine Frau im Fernsehinterview, „wir werden vor Traurigkeit sterben,“ sagt eine andere.

Viele der Demonstrierenden haben 1978/1979 unter den Sandinisten gegen den Diktator Somoza gekämpft, angeführt von Daniel Ortega. Von ihm fühlen sie sich nun verraten. Er sei schlimmer als Somoza, sagen sie. Er wolle ihnen nun – wie schon Somoza – ihr Land wegnehmen.

46 Demonstrationen haben bisher landesweit stattgefunden, in der Hauptstadt Managua, in El Tule, in Juigalpa und der Provinzhauptstadt Rivas. Die Menschen protestieren gegen die Intransparenz der Auftragsvergabe, den fehlenden Umweltverträglichkeitsbericht, die Landenteignungen und sie schreien auch ihre Angst hinaus. Denn in den Verträgen gibt es keinerlei Garantien, dass sich HKND verpflichtet, das Projekt fertigzubauen. So fürchten viele, dass das Geld ausgehen könnte und der Kanal nur teilweise gebaut wird. Und sich dann wie eine tiefe Narbe durch das Land zieht.

Von Obrajuelo nach Brito

Der Bezirk Rivas grenzt an den Nicaraguasee. Hier liegt auch das kleine Dorf Obrajuelo. Geht es nach den Kanalbauern, verschwindet das Dorf. Denn von hier aus sollen die Megafrachtschiffe unter der Pan Americana durch bis nach Brito am Pazifik fahren - durch ein stark erdbebengefährdetes Gebiet und extrem starken und sehr böigen Wind.

In Brito sollen die Fischer und Tamarindobauern dem Hafen und der Freihandelszone weichen. Die ersten Landvermesser waren schon da. Begleitet von Polizisten und Militärs haben sie Steine gesetzt und sie mit Zetteln markiert. Im Dezember 2014 kam Wang Jing und wollte den offiziellen Baubeginn feiern. Doch bis heute ist noch nichts gebaut worden. Die Menschen leben in der steten Unsicherheit, ob nicht doch morgen ein Bagger ihr Haus zerstört.

Finanzierungsschwierigkeiten

Bis heute steht die genaue Route des Kanals nicht fest. Niemand weiß, wie viele Menschen tatsächlich ihr Land „verkaufen“ und wegziehen müssen. Daniel Ortega versichert immer wieder, dass mit jedem Einzelnen Gespräche geführt würden. Im Oktober will die Regierung die komplette Liste veröffentlichen.

HKND spricht nun davon, 2016 mit dem Bau beginnen zu wollen. Auch die Zahl der 50.000 Arbeitsplätze für Nicaraguaner ist inzwischen nach unten korrigiert worden. Es seien doch nur 25.000, vor allem, weil es in Nicaragua keine qualifizierten Arbeitskräfte gäbe. Deshalb hat Wang Jing sicherheitshalber schon mit mehreren chinesischen Firmen Verträge abgeschlossen. Sie sollen nun das Fachpersonal und die Maschinen nach Nicaragua senden. „Für uns bleibt nur, die Stiefel der chinesischen Arbeiter zu reinigen“, sagt ein Rama im Fernsehinterview.

Auch scheint es Probleme bei der Finanzierung des Projektes zu geben. Bis heute hat die Regierung – nach eigenen Angaben - nicht einen Peso erhalten, um die Landbesitzer auszuzahlen. Nun soll Daniel Ortega den Befehl ausgegeben haben, dass kein Regierungsmitglied mit HKND-Mitarbeitern sprechen soll, bis das Geld eingetroffen ist.

Inzwischen muss sich Wang Jing in London kritische Fragen gefallen lassen. BBC wollte von ihm wissen, ob er das Projekt aufgeben würde. Nein, würde er nicht, sonst würde er ja zur Witzfigur der internationalen Wirtschaftswelt, sagt Wang Jing. Und Daniel Ortega kann das Projekt nicht aufgeben. Schließlich stehen nächstes Jahr Präsidentschaftswahlen an. Bei denen er eigentlich gar nicht antreten dürfte. Aber vor den Wahlen 2011 änderte er die von ihm selbst in den 1980ern ausverhandelten Verfassung – sie sah vor, dass jeder Präsident nur einmal kandidieren darf – damit er wieder gewählt werden kann. Zum dritten Mal in Serie.

(Die Autorin hat elf Jahre in Nicaragua gelebt)

Quellen: Wochenzeitschrift Confidencial, Gespräche mit Betroffenen, Interview mit Betreiberinnen der Facebookseite No al Canal.

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