patton.jpg
patton.jpg, by Stefan Pattis
Rock in Vienna

Festival für Festivalhasser

Montag, 8. Juni 2015
Von Donnerstag bis Sonntag fand auf der Donauinsel zum ersten Mal das Rock in Vienna statt - mit einem Line Up, das auf ein Publikum ab 30 abzielte. Das Wetter war hervorragend, die Organisation auch - bleibt nur eine Frage: ist würdevolles Headbangen in fortgeschrittenem Alter möglich? Ein Lokalaugenschein am ersten Festivaltag.

Es sollte ein "Festival für Festivalhasser" werden, hatte Produktionsleiter Werner Stockinger im Vorfeld erklärt. Ausreichend gut verteilte Getränkestände, Klos mit Porzellanschüsseln (!) und kurze Umbaupausen durch zwei abwechselnd bespielte Bühnen - das Festival lockte bereits im Vorfeld mit Bequemlichkeit und zielte wohl auf Besucher, die ihre musikalische Sozialisation in den 80ern und 90ern erhalten hatten. Dem entsprach - mit wenigen Ausnahmen - auch das Line Up des ersten Tages: von Ice Ts Bodycount reichte der Reigen über die 80er-Thrash-Legende Testament über die gottseidank wiedervereinigten Faith No More bis hin zum Metal-Konzern Metallica. Eine richtige Zeitreise also.

Gojira

Eröffnet hat den ersten Tag eine etwas jüngere Band: Gojira aus Frankreich; immerhin auch schon seit 1996 dabei, haben sie sich erst in den 2000ern zu einer der dominanten Bands im Bereich Technical Death Metal aufgeschwungen; Comeback ist das keins, Gojira gehören in ihrem Bereich seitdem zu den Fixgrößen. Der Sound war akzeptabel, gespielt haben die Jungs gut, und trotz des frühen Slots (14.30) war vor der Bühne schon einiges los. Peinlich war allerdings der frühe Slot - ich hätte sie lieber etwas später an Stelle der - sagen wir mal - Broilers gesehen.

Pentagramme im Sonnenschein

Testament sind fast 15 Jahre länger auf der Bühne als Gojira und stammen aus der San Francisco Bay Area, der Ursuppe, in der der Thrash Metal ihren Ursprung nahm. Auch sie hatten einen viel zu früh angesetzten Timeslot - Totenschädel verlieren im prallen Sonnenschein etwas an Aura. Die Jungs lieferten ein recht brav gespieltes Konzert, rein optisch merkt man der Band aber an, dass die Mitglieder jenseits der 50 sind. Der Sänger Chuck Billy entwickelt immer mehr den Charme eines Lastkraftwagenfahrers, er macht seinen Job aber immer noch gut - und sehr enthusiastisch. Vielleicht ist eine klassische Rockerkutte eh die beste Art, Alterserscheinungen würdevoll zu begegnen. Dass Gitarrist Alex Skolnick mittlerweile dem Indianer von Waterloo und Robinson gleicht - geschenkt. Dass seine (an sich durchaus gekonnten) Gitarrensoli immer noch keinen rechten Bezug zum Song haben, in dem sie stattfinden, ist schon eher von Belang. Pluspunkte gibt's für die nonchalante Zurschaustellung von Pentagramm und Totenkopf, Minuspunkte dafür, dass Skolnick seit den 80ern immer noch seine grau gemèchte Schmalzlocke trägt - und für die Gitarrensoli.

Body Count's In the House

Body Count waren in den frühen 90ern Pioniere des Crossover, Gangsta-Rapper Ice T machte einen auf Hardcore und passte damals recht gut in die damals angesagte Rock-/Hiphop-Crossover-Szene. Die sehr expliziten Texte und die daraus folgende öffentliche Kontroverse machten BC zu einer wichtigen Größe im Crossover-Sektor. 2015 sind BC zurück - mit altbewährtem Konzept, maskierten Musikern und den bekannten Gangsta-Posen (erstaunlich: offenbar ist das aktuelle Album bereits das siebte?!) Musikalisch einigermaßen OK. Wie gut das Gangsta-Getue noch zu jemandem passt, der in Zwischenzeit Karriere als Fernseh-Komissar gemacht hat - nun ja. Ansonsten: einigermaßen solider Hardcore. Innovationen erwartet in diesem Genre sowieso niemand.

Get the M****f***er...

Faith No More war die Band, wegen der wir eigentlich auf dem Festival waren; ich hatte sie auf dem Gipfel ihres Erfolgs auf der "Angel Dust"-Tour gehört und war vom kalkulierten Wahn der Band gleich eingenommen gewesen: Rap! Metal! Größenwahn und Genie! In den späten 90ern löste sich das Sinnbild trotziger Großartigkeit auf, zumindest Mike Patton war ein paarmal mit Soloprojekten in Österreich zu sehen (etwa 2006 mit der Fantômas Melvins Big Band auf dem Kremser Donaufestival oder mit Fennesz in der Arena) - Faith No More fehlten aber trotzdem. Die Wiedervereinigung 2006 ließ fürchten, dass die Band einfach Geld brauchte - aber die Veröffentlichung von "Sol Invictus" 2014 (nach einer Pause von 17 Jahren) zeigte, dass den Jungs anscheinend doch ernst ist. Der Auftritt war typisch für FNM: eine Bühne wie eine Mehrzweckhalle bei einer Erstkommunion (weiße Leintücher, Plastikblumen!), eine Band in blaukarierten Hemden und Lederhosen, die Portion Scheißminix, auf die wir gewartet hatten. Klar: etwas rundlicher sind die Bandmitglieder schon geworden, Mike Bordins Dreadlocks sind inzwischen grau, Roddy Bottum mit Wamperl und Pornoschnauzer könnte sich in diesem Outfit direkt bei den Village People bewerben und Patton hat auch schon frischer ausgesehen. Das stört aber nicht sonderlich, vielleicht, weil die Band (trotz Posterboy Patton) immer schon einen bestimmten Mut zur Hässlichkeit hatte. Spielen tut die Band immer noch sehr gut, Pattons stimme passt, die Hadern ("Easy") wurden genauso präsentiert wie Songs vom neuen Album ("Motherfucker"). Das Plastikblumenmeer tat das Übrige - Peinlichkeitsfaktor daher: nicht messbar.

Metal Inc.

Zu guter Letzt: Metallica. Die dürfte fast jeder schon mehrfach gesehen haben, der die letzten Jahre auf irgendeinem Festival unterwegs war. Zu sagen gibt's zum Headliner des ersten Tages nicht viel; der Sound war sehr gut, die Show dezent, von der Songauswahl her war für alle Fangenerationen ein bisschen was vertreten - für Unsäglichkeiten wie "The Unforgiven II" wurde man durch "No Remorse" oder "Seek & Destroy" entschädigt - alles in glasklarem Sound und perfekt präsentiert. Die Band selbst bot keine Überraschungen - ihre Midlife-Crisis hat sie ja bereits 2004 in der Doku "Some Kind of Monster" öffentlich aufgearbeitet - und werkt seitdem scheinbar unberührt von weiteren Abnutzungserscheinungen vor sich hin; Hetfield hat sich seitdem ebenfalls der klassischen Rocker-Kluft verschrieben. Hammetts Haare sind auch nicht schlechter als damals. Und Lars Ulrich sieht man gottseidank eh kaum. Einzig "Neuzugang" Robert Trujillos Bart ist ergraut - was ihm aber eh gut steht. Das einzige, was es am Auftritt von Metallica zu bemängeln gibt: man merkt, dass die Jungs mittlerweile ein Konzern sind und keine Band mehr. Alles perfekt, alles wie auf Schienen, alles so hingebogen, um die Shareholder zufrieden zu stellen - bis hin zu den ausgewählten Fans auf der Bühne und den routinemäßig abgespulten zwei Zugaben. Metallica Inc. halt.

Der Gesamteindruch zum ersten Tag des Festivals: kann man so machen. Der Besuch war angenehm, die Organisation gut - und auf Dixi-Häusl als Zeichen der Jugendlichkeit kann ich gern verzichten.

Share this content.