Textausschnite

Lob der Brandstifterin - Textausschnitte

Dienstag, 17. Dezember 2013

Wir treffen uns vor verschlossenen Türen. Es muss kein Wort gesprochen werden, hier gibt es keine schon vor längerer Zeit vorgefertigten Sätze, die pflichtgemäß zu wechseln wären. Ein Nicken, ein filmreifer Blick und das Ansetzen zu einer Bewegung. Das reicht, mehr braucht es nicht, das ist das Signal. Die Botschaft ist ebenso eindeutig wie unhöflich: „WERDE ENDLICH ERWACHSEN“ steht da in Versalien auf dem matt leuchtenden Display. An wen sich die Aufforderung richtet, ist unbestimmt. Wenn die Aufgabe erledigt ist, werden wir lange nicht wissen, wohin wir uns wenden sollen.

Ein öffentlicher Ort ist uns beiden als Treffpunkt nicht unrecht gewesen. Alle Unverbindlichkeit ist von uns abgefallen wie viel zu lange getragene Kleidung, unsere Unterhaltung liegt in Fetzen. Hier sitzend, sind wir nun beide zugleich sicher und ausgeliefert. Es liegt in der Unruhe des Verbrechers begründet, sich nahezu immer und überall ertappt zu fühlen. Jede mögliche zufällige Begegnung ist eine potenzielle Gefahr, jedes auch nur halbwegs vertraute Gesicht kann zur Enthüllung aller so sorgfältig verschleierten Tatsachen führen. Aber, so frage ich mich, sind sie denn tatsächlich so gewissenhaft verborgen, wie es mir nur möglich war? Es ist gut möglich, dass sie bereits alles weiß und nun ein grausames Spiel mit mir betreibt.

Factbox

Thomas Ballhausen
Lob der Brandstifterin
Erzählung TEXTLICHT-REIHE
Mit einem Nachwort von Jack Hauser
60 Seiten
11,5 x 18 cm
Paperback
7,95 Euro
ISBN 978-3-902498-79-3

Erschienen bei:

Glaubwürdig verschafft sie sich alle notwendigen Vorteile. Sie nutzt ihre Talente, eben weil ihr klar ist, was auf dem Spiel steht. Sie geht um den Tisch herum, streicht ganz selbstverständlich über meinen Rücken und sagt, sie findet mich anziehend, was ich nicht wirklich verstehe und nicht zuletzt deshalb unkommentiert annehme. Sie kann nicht sagen, dass sie mich mag. Das verstehe ich schon besser, denn es wäre wohl einfach zu viel verlangt. Sie setzt sich wieder und kann doch nicht stillhalten, es sei denn es muss unbedingt sein. Wenn sie die Waffen nicht einsetzt, zerlegt und reinigt sie alle verfügbaren Geräte mit mechanischen Bewegungen im Rahmen ihrer täglichen Routine. Es ist wahr, ich habe es gesehen. Ich war dabei, ich kann es bezeugen. Metall teilt sich seufzend unter ihren geschickten Händen, fügt sich nach absolvierter Prozedur wieder schnappend zusammen. Der matte Glanz des ausgebreiteten Arsenals bereitet ihr stets einen seltenen Moment der Zufriedenheit. Warten ist ihr eigentlich unerträglich, dies ist vielleicht ihre einzige wirkliche Schwäche. Sie kann eigentlich kaum fünf Minuten lang ruhig auf einem Sessel sitzen, doch sie weiß sich zu beherrschen. Stillstand heißt in ihrer Sprache einfach Verwundbarkeit, wer sich nicht weiterbewegt, verliert. Wer eine falsche Bewegung macht, verliert auch.

Sie nimmt mich am Oberarm, ich lasse es geschehen, den gedämmten Mauern, an denen Skizzen von Apparaturen und Anweisungen sie zu zerlegen und entgegen ihrer eigentlichen Bestimmung wieder zusammenzubauen, hängen, schenke ich so wenig offensichtliche Aufmerksamkeit wie möglich. Wie spät ist es im Nebenraum, frage ich stattdessen, ohne mir wirklich eine Antwort darauf zu erwarten.

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