Marliese Mendel
Suchmaschinen

Pre-Google

Donnerstag, 26. März 2015
Will heute jemand ein Dromedar kaufen, einen Fechtlehrer anstellen oder Investoren finden, schaut er bei Google nach. Bis zum 19. Jahrhundert beantworteten Adress- und Fragämter solche Suchanfragen. Der Historiker Anton Tantner hat das „analoge“ Google erforscht und ein lesenswertes Buch darüber geschrieben.

Der Wiener Historiker Anton Tantner tat was er oft tut, er las: In Peter Burkes „Papier und Marktgeschrei. Die Geburt der Wissensgesellschaft“ und entdeckte den Franzosen: Theophraste Renaudot, geboren 1586 in Loudun, Arzt und Gründer des ersten Bureau d'adresse, eines Fragamtes. Bis zu Renaudots Tod 1653 konnten Pariser in seinem Büro gegen geringe Gebühren nachfragen, wo Vorlesungen oder Seziervorführungen stattfinden; es gab Register über Kloster „für Personen, die der Welt überdrüssig waren“; aber auch Namen und Wohnorte von Hofangehörigen, Theologen und Bankiers. Er agierte als Vorläufer von karriere.at und vermittelte mehr als 80.000 Arbeitsstellen, war eine pre-Immobilien-Suchmaschine, der leer stehende Immobilien auflistete. Als Vorläufer des heutigen willhaben.at oder ebay.com vermittelte er Waren aller Art wie Schiffe, mathematische Instrumente und Destillierkolben. Wer Geld zu verleihen hatte, konnte sich bei ihm registrieren lassen. Er half bei der Ausrichtung von Festessen, Trauerfeiern und Hochzeiten. Und betrieb ab 1637 ein Pfandhaus.

Mit seiner Idee löste er einen kleinen Boom in Europa aus. Innerhalb kürzester Zeit eröffneten ähnliche Institutionen in der Habsburger Monarchie und im heutigen Deutschland ihre Türen und boten Waren an: Maulbeersamen als Nahrung für Seidenraupen, Relieftotenschädel oder Warzentinktur, aber auch kleine Dromedare und Reitpferde oder Dienstleistungen wie Geldverleih und Reisepartnervermittlung, Stellenausschreibungen für Wäscherinnen für Seidenstrümpfe und Fechtlehrer. Die meisten Fragämter gaben auch Anzeigenblätter heraus, die teilweise in abgewandelter Form noch heute bestehen.

Intelligenz-Comptoirs, Fragämter, Adressbüros

Tantner faszinierte die Geschichte des Franzosen und der Intelligenz-Comptoirs, Fragämter, Adressbüros und derer Publikationen der Kundschaftsblätter. Zehn Jahre lang durchforstete er Archive und Bibliotheken in Paris, Wien und Prag. Eine schwierige Aufgabe: In Prag gab es zwar Mikrofilme des böhmischen Kundschaftsblattes, aber kein Lesegerät. Und die Originale waren als Teil einer Adelsbibliothek restituiert worden. Schließlich fand sich doch eine Lösung, und Tantner konnte das Anzeigenblatt „Königreich Böheim. Wochentliche Frags- und Anzeigs-Nachrichten“ lesen. In Wien waren die Kundschaftsblätter zwar teilweise in den Bibliographien verzeichnet, aber nicht digitalisiert, und Bibliotheken geben nur ungern Originalzeitungen aus dem 18. Jh. in die Hände der Leser.

Auch waren die Fragämter private Unternehmen mit staatlichen Privilegien. Deshalb sind keine Auftragsbücher erhalten, aber die Ansuchen zur Erteilung des Privilegs, die oft abgelehnt wurden. Fürchtete man doch mangelnden Datenschutz und Betrüger unter den Verkäufern der angebotenen Waren. Oder gar eine „Zuchtstätte der Sünde“ wie im Fall des Sprach- und Tanzlehrers Johannes Angelus de Sumaran, der in Wien 1636 die erste „öffentliche fragstuben“ eröffnen wollte.

Warzentinktur

„Adressbüros sind ein städtisches Phänomen“, sagt Tantner, „im 17. Jh. reichte oft ein Name um jemanden in einer Stadt zu finden. Man fragte einfach in einem Gasthaus nach der Adresse der gesuchten Person.“ Doch die Städte wuchsen und wurden anonymer. Also ging man in Frageämter.

1707 wurde das erste Fragamt in Wien gegründet. Mit einem Teil des Einkommen aus den Einschreibe- und Auskunftsgebühren sollte das Armenhaus finanziert werden. Eine durchaus gängige Praxis.

1721 übernahm der Drucker Johann Peter von Ghelen (1673-1754) den Druck der „Negotienlisten“ und auch die Herausgabe des Wiener Diariums (der Vorläuferzeitung der noch heute erscheinenden Wiener Zeitung). Im Kundschaftsblatt veröffentlichte er Stellenanzeigen, Mitfahrgelegenheiten, aber auch Steckbriefe, Vermisstenanzeigen und Berichte über spektakuläre Kriminalfälle. Im Fragamt verkaufte er Lauten, neapolitanische Seife und Warzentinktur.

Auf der Anschlagtafel vor dem Auskunftsbüro am heutigen Kohlmarkt 4 wurden täglich „alle eingehenden Begehren und Anfragen mit verschwiegenen Namen“ angeheftet, Dienstboten fanden hier Arbeitsstellen. Allerdings wollte die Polizei – ähnlich der dem heutigen Staat – alles über die Arbeitssuchenden wissen. Diese mussten Alter, Geburtsort, Vermögensverhältnisse und Führungszeugnisse verzeichnen lassen.

Datenschutz, Überwachung und fehlende Aktualisierung

Das Google der Neuzeit hatte auch schon mit den gleichen Problemen wie heute zu kämpfen: der Staat wollte immer mehr über seine Bürger wissen und versuchte dies über Melderegister in Frageämtern durchzusetzen. Mit drakonischen Strafen: ließ sich jemand in Frankreich nicht innerhalb von 24 Stunden registrieren, drohte ihm die Galeerenstrafe. Auch der Datenschutz war schon ein Problem: wollte doch so mancher Adelige einen Teil seines Erbes verkaufen, aber seinen Namen nicht bekanntgeben. Es wurden Codes und doppelte Registrierungsbücher eingeführt, um die Identität des Verkäufers zu schützen. Und das leidige Problem der fehlenden Aktualisierung: viele Anbieter oder Arbeitgeber zeigten nicht an, ob die Waren verkauft oder Posten vergeben waren. So klopfte manch Stellensuchender oder potentielle Käufer vergeblich bei der vom Adressbüro vermittelten Adresse an. Das führte zu schriftlichen Beschwerden – pre-Shitstorm sozusagen.

Anton Tantner ist ein spannendes Buch gelungen, dass nicht nur Einblick in das Suchverhalten der neuzeitlichen Stadtbewohner gibt, sondern auch nachweist, dass die Adressbüros für die Bürger wichtige analoge Suchmaschinen waren.

Anton Tantner
Die ersten Suchmaschinen
erschienen bei Wagenbach
173 Seiten, Euro 19,90

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