Andreas Brunner trat 1991 seinen Zivildienst mit vier anderen im Dokumentationszentrums des österreichischen Widerstands an. Die Betreuerin fragte: „Wer ist der Schwule?“ Angesprochen war Brunner. Man gab ihm den Auftrag, die Bibliothek des Archivs nach homosexueller Literatur zu durchforsten. Hannes Sulzenbacher saß zur selben Zeit im Aktenlager des Stadt- und Landesarchivs und suchte in den Gerichtsakten nach Fällen von verfolgten Homosexuellen im Jahr 1938. Seither sammeln die Beiden alles was mit lesbischer und schwuler Geschichte zu tun hat.
Erste Regenbogenparade
Gesetz und Sondergesetze
Von 1852 bis 1971 war einvernehmliche Homosexualität in Österreich gesetzlich verboten. Der damalige Justizminister Christian Broda hob den § 129 Ib „Unzucht mit Personen desselben Geschlechtes“ auf, führte jedoch gleichzeitig vier Sonderparagraphen ein:
§ 209 „männliche gleichgeschlechtliche Unzucht mit Personen unter 18 Jahren“,
§ 210: „gewerbsmäßige männliche gleichgeschlechtliche Unzucht (Prostitution)“,
§ 220 Werbung für Unzucht mit Personen des gleichen Geschlechts“ und
§ 221: „Verbindungen zur Begünstigung gleichgeschlechtlicher Unzucht".
Anfang der 1990er-Jahre gab es kaum Forschungen zur Geschichte von Homosexuellen, und in der Stadtgeschichte kamen weder Schwule noch Lesben vor. Deshalb war das Motto der ersten Regenbogenparade im Juni 1996 „Sichtbar 96“.
Sulzenbacher und Brunner hatten in New York eine Parade gesehen und beschlossen zusammen mit anderen, die erste Regenbogenparade in Wien zu organisieren. Unzählige Behördengänge, Ausnahmefahrgenehmigungen und Sicherheitsbesprechungen waren notwendig, bis sich am 26. Juni 1996 knapp 25.000 Menschen trafen und gemeinsam noch in Fahrtrichtung über den Ring zogen.
Eigentlich verstießen sie mit der Veranstaltung gegen bestehendes Recht. Es galt noch der sogenannte „Werbeparagraph“: § 220: „Werbung für Unzucht mit Personen des gleichen Geschlechts“. Der Paragraph wurde erst 1997 aufgehoben.
Pornografiegesetz
Der § 220 brachte 1993 auch die Betreiber die junge Buchhandlung für Schwule und Lesben, Löwenherz, in Schwierigkeiten. „Plötzlich stand die Polizei mit einem Beschlagnahmebefehl im Laden“, sagt Brunner. Der Zoll hatte eine Lieferung aus Deutschland abgefangen: drei Titel, insgesamt 25 Büchern. Die Buchhändler wurden angezeigt, ein Verfahren aber nicht eröffnet. Die beschlagnahmte Sendung wurde an den Laden retourniert. Keines der Bücher konnte mehr verkauft werden, denn die Beamten hatten sie offensichtlich gelesen und markante Stellen mit Eselsohren markiert. Die Buchhandlung Frauenzimmer hatte einige Jahre davor weniger Glück, sie wurden wegen des Imports eines lesbischen Buches nach dem Pornografiegesetz verurteilt.
Die Paragraphenschere
Im gleichen Jahr eröffnete das Café Berg, ein Treffpunkt für die Schwulen, Lesben und Transgender in Wien. „Vor der Eröffnung diskutierten wir, ob wir die großen Fensterscheiben belassen sollten, ob sich die Wiener Schwulen auf diese Plätze in der Auslage hinsetzen werden. Wir hatten uns umsonst gesorgt. Vom ersten Tag an waren diese Tische sehr begehrt.“
„Die Paragraphen-Schere hatten wir nie im Kopf“, sagt Brunner, „Hannes organisierte jahrelang das Festival „Wien ist andersrum“, 2001 gestaltete er mit Niko Wahl die Ausstellung „Aus dem Leben“ und 2005 kuratierten wir die Ausstellung „Geheimsache:Leben“. Die Ausstellung „Aus dem Leben – Die nationalsozialistische Verfolgung der Homosexuellen in Wien 1938-45“ im Rahmen der Europride 2001 stellte erstmals auf 14 rosaroten Säulen die „typische“ Verfolgung von Homosexuellen in Nazi-Österreich dar. In der Nacht vor der Eröffnung rissen Vandalen elf der 14 Säulen am Heldenplatz aus der Verankerung. Natürlich hatte niemand etwas gesehen. Die Ausstellung wurde trotzdem eröffnet.
Nach der Ausstellung Geheimsache:Leben stellte sich die Frage, was mit all den Objekten passieren sollte. Brunner und Hannes Sulzenbacher gründeten den Verein QWIEN – Zentrum für schwul/lesbische Kultur und Geschichte – und widmen sich seit 2007 u.a. der Dokumentation der Lebensumstände, Verfolgung und Bestrafung Homosexueller in Österreich. Momentan arbeiten sie an der namentlichen Erfassung der Homosexuellen und Transgender-Opfer des Nationalsozialismus in Wien. QWIEN hat auch ein Archiv und eine Bibliothek aufgebaut und stellt die Materialien Studierenden zur Verfügung. Andreas Brunner führt regelmäßig durch das schwul/lesbische Wien.