14 Allergene
Anzuführende Lebensmittel und deren Nebenprodukte sind: Getreide, Krebstiere, Fische, Erdnüsse, Sojabohnen, Milch, Schalenfrüchte wie Pistazien, Mandeln und Haselnüsse, Sellerie, Senf, Sesamsamen, Lupine, Weichtiere und Schwefeldioxid und Sulphite in Konzentrationen über 10 mg/kg oder 10 mg/l.
Im Oktober 2011 verabschiedete das Europäische Parlament eine Verordnung, wie Verbraucher ab 2015 über Lebensmittel informiert werden sollen. Der Konsument soll über 14 Allergene aufgeklärt werden, die in offen angebotenen Lebensmitteln enthalten sein können. Das betrifft sowohl den Lebensmittelhandel als auch die Gastronomie. Während einige Köche dies als Einschränkung ihrer Kreativität sehen und um ihre Küchengeheimnisse fürchten, begrüßen andere den Vorstoß der EU, der ihnen aber nicht weit genug geht.
Beate Hofer leidet an Laktoseintoleranz. Durch ihre Unverträglichkeit wurde sie unfreiwillig zur Restauranttesterin. Ihr Magen dreht sich sofort um, wenn sich nach ein paar Löffeln die angeblich hausgemachte Gemüseconsommé als Packerlsuppe herausstellt. Denn vielen Fertigprodukten wird Milchzucker zugesetzt. Hofer glaubt, dass durch die EU-Verordnung Gastronomen gezwungen werden, tatsächlich frisch zu kochen.
Allergiker in Österreich
Schätzungsweise leiden 1 bis 3 % der Erwachsenen und 6 bis 8 % der Kinder in Österreich an Nahrungsmittelallergien und -unverträglichkeiten, Tendenz steigend: jedes dritte Kind, das seit 2000 geboren wurde, leidet entweder schon früh unter einer Allergie oder wird im Laufe seines Lebens eine entwickeln. Genaue Zahlen gibt es in Österreich noch nicht, derzeit sind zwei Studien in Vorbereitung. Die Ergebnisse werden in drei Jahren erwartet.
Meistens führen Lebensmittelsallergien zu Jucken und Schwellungen um den, und im Mund- und Lippenbereich, Magenschmerzen und Ausschlägen, sie können aber auch Asthma auslösen und in seltenen Fällen durch Schock tödlich sein. Die Immunologin Erika Jensen-Jarolim diagnostiziert in ihrer Praxis immer öfter Patienten, die auf Nahrungsmittel mit Ganzkörper-Nesselsucht und schweren Darmbeschwerden reagieren. Ihr geht die EU-Verordnung nicht weit genug.
Eigenverantwortung der Allergiker
Erika Jensen-Jarolim empfiehlt Allergikern sich eine molekulare Allergie-Diagnose erstellen zu lassen. Nur so kann eine Risikoabklärung erfolgen, auf welche der 100 wichtigsten Moleküle aus möglichen Lebensmittelallergenen der Patient reagiert. Diese Diagnose wird z.B. bei AllergyCare angeboten und kostet pro Patient rund 300 Euro. Notfallsets werden von Krankenkassen bezahlt.
„Es müssten im Gegensatz die Allergene noch exakter, nämlich nach enthaltenen Allergen-Molekülen deklariert werden. Menschen, die gegen ein Nahrungsmittel sensibilisiert sind, haben ein hohes Risiko, auch auf botanisch verwandte Stoffe zu reagieren. Menschen mit Allergien gegen Sellerie vertragen auch kein Anis, keinen Kümmel und keinen Fenchel“, sagt Jensen-Jarolim. Ihr geht die Kennzeichnung der 14 vorgeschriebenen Allergene nicht weit genug. Gleichzeitig appelliert sie aber an die Eigenverantwortung der Allergiker: diese sollten sich testen lassen, ihre Freunde und Familie über ihre Allergien informieren und ein Notfallset in der Tasche zu haben.
Küchengeheimnisse
Viele Köche sehen das naturgemäß anders: der deutsche Koch und Sachverständige für Hotel- und Gaststättengewerbe Peter Fahnler erfuhr von der EU-Verordnung und gründete sofort die Facebookgruppe „Wir Köche verteidigen unseren Ruf“. Er fürchtet das Ende der Kreativität der Köche und der streng gehüteten Küchengeheimnisse. Fahnler vermutet, dass vermehrt Fertiggerichte in den Kochtopf kommen werden. Auf vorverpackten Lebensmitteln werden die enthaltenen Allergene bereits seit einigen Jahren aufgeführt. Er glaubt, dass die Verordnung durch die erfolgreiche Lobbyarbeit von großen Fertiggerichtherstellern entstand.
„Manche der Verordnungs-Befürworter wollen, dass das gesamte Rezept auf der Speisekarte seht. Jeder Koch hütet seine Geheimnisse, verwendet spezielle Zutaten und würzt nach seinem Geschmack. Sonst würde es ja überall wie in Fast-Food-Lokalen schmecken,“ sagt der Verordnungsgegner. „Sollen wir in Zukunft unsere Gäste tatsächlich mit: „Guten Tag, meine Allergene heute sind: ….“ begrüßen? Bei Fragen wenden Sie sich bitte an ihren Arzt, Apotheker oder Küchenchef.“
Fahnler bangt um die gute Küche der gehobenen Gastronomie: „Speisekarten werden dick wie Telefonbücher werden“ sagt er, „Mehrgängige Menüs würden viele Seite füllen, gäbe man alle Allergene zu jedem Gericht an.“ Auch auf Buffets werden ab 2015 Schilder auf Allergene hinweisen. „Aus meiner langjährigen Erfahrung weiß ich, dass Allergiekranken um ihre Probleme wissen und Köche sie selbstverständlich ernst nehmen. Der bürokratische Mehraufwand ist nicht notwendig,“ sagt er.
Serviceleistung für den Gast
Der Küchenchef Florian Rudolph im Au Cafe (TBA21) sieht hingegen auch Gutes in der EU-Verordnung. „Als Gastronom könne man wesentlich besser den Wareneinsatz kalkulieren und kontrollieren,“ sagt er, „wenn die Köche sich an die Rezepte halten.“
Gleichzeitig bedeutet die Verordnung aber auch einen zusätzlichen Aufwand, den wahrscheinlich der Gast bezahlen muss.
Rudolph sieht den Mehraufwand auch als eine Erweiterung der Serviceleistung für den Gast. Gleichzeitig wünscht er sich Unterstützung für die Gastronomen und deren Beschäftigten. „Es sollten von der EU geförderte Seminare und Workshops angebotenen werden. In der Berufschule müsste den zukünftigen Köchen schon das notwendige Wissen vermittelt werden,“ sagt er.
Verhandlungen
Seit einigen Wochen beschäftigt sich auch der Obmann der Fachgruppe Gastronomie, Wilhelm Turecek, mit der EU-Verordnung. Er fürchtet eine Verkomplizierung für Unternehmer und Gäste. „Ein fürchterlicher Aufwand kommt auf die Gastronomen zu“, sagt er, „es wird immer schwieriger werden, frisch zu kochen und gleichzeitig wird die Kreativität der Köche eingeschränkt. Außerdem wissen Allergiker, was sie nicht essen können“, sagt er. Turecek sitzt gemeinsam mit Vertretern des Gesundheitsministeriums und der Arbeiterkammer am Verhandlungstisch.
Für Heinz Schöffl, Konsumentenschützer der Arbeiterkammer Wien, ist die Allergenkennzeichnung in der Gastronomie die logische Fortführung der schon bestehenden Auflistung auf verpackter Ware. Er wünscht sich, dass die Allergene auf der Speisekarte stehen, um den Gast gut zu informieren. „Je mehr auf der Speisekarte steht, umso weniger Arbeit entsteht für den Kellner“, sagt er. Gleichzeitig räumt er ein, dass die Umsetzung schwer sein könnte. „Wahrscheinlich wird man weiterhin das fachkundige Personal fragen müssen“, sagt er, „die Gastronomen sollten ihre Mitarbeiter schulen. Jedenfalls muss es innerbetriebliche schriftliche Unterlagen geben, damit der Konsument informiert werden kann.“
Lebensmittelpolizei
„Es wird schwierig bei kurzfristigen Tagesangeboten, aber man kann die Information auf Nachfrage ergänzen“, sagt er und sieht weniger Probleme bei gleichbleibenden Speisekarten. Es sei leichter möglich, im Vorfeld die in den Gerichten enthaltenen Allergene zu dokumentieren. In Deutschland müssen jetzt schon Zusatzstoffe auf Karten angeführt werden. „Das funktioniert sehr gut“, sagt der Konsumentenschützer.
Aber nicht nur auf die Köche und die Gastronomen kommt ein Mehraufwand zu, sondern auch auf die Lebensmittelpolizei. Schöffl sagt, dass die Lebensmittelaufsicht die Dokumentation der Allergene prüfen werde und ist sich des zusätzlichen Aufwandes bewusst. Er schlägt den Gastronomen vor, ihre Speisen und Karten regelmäßig von externen Spezialisten prüfen zu lassen.
Bestrafung
Links
Schwieriger wird es, wenn ein Gast tatsächlich eine allergische Reaktion erleidet. Es könnten vorverpackte verunreinigte oder falsch deklarierte Produkte angeliefert und verarbeitet worden sein oder der Lehrling könnte versehentlich Sellerie in die Sauce getan haben. „Erleidet eine Person Schaden, dann tritt das Produkthaftungsgesetz in Kraft. Produktmängel können auch falsche oder fehlende Informationen sein. Durch das Produktsicherheitsgesetz ist der Konsument geschützt und hat die Möglichkeit, zivilrechtlich Forderungen an den Gastronomen zu stellen. Sollte bei einer amtlichen Kontrolle fehlende oder falsche Kennzeichnung festgestellt werden, könnte dem Betrieb die Sperrung drohen. Lebensmittelrechtliche Konsequenzen werden von von der Behörde mit einer Anzeige und dann Gerichts- oder Verwaltungsstrafen geahndet“, erklärt der Konsumentenschützer.
Es scheint jedenfalls für alle Beteiligten ein Mehraufwand zu entstehen und die Verhandlungen zum neuen Gesetz könnten bei einigen doch noch allergische Reaktionen auslösen.