Im Jahr 2035 könnten in Wien rund zwei Millionen Menschen leben. Jährlich ziehen rund 15.500 Menschen zu. Die Stadt versucht mit verschiedenen Wohnbauprojekten einer etwaigen Wohnungsnot vorzubeugen und die Mietpreise durch geförderten Wohnbau zu dämpfen. So wird die ganze Stadt zur Baustelle.
Wohnprojekte in Wien
Eine Auswahl: Am ehemaligen Nordbahnhofareal sollen 9.000 Wohnungen entstehen, im Sonnwendviertel werden 5.000 Wohnungen für etwa 13.000 Menschen gebaut, auf den Mautner-Markhof-Gründe in Simmering sind 1100 Wohnungen fast fertig, in Aspern sollen bis zum Endausbau 10.500 (bis 2030) Wohnungen bezogen werden können, nach der Fertigstellung aller Bauvorhaben an Aspanggründe-Eurogate werden zwischen 1.600 bis 2.000 Wohnungen zum Bezug zur Verfügung stehen, in der Gerasdorfer Straße sollen insgesamt 664 Wohneinheiten und in der Polgarstraße 30a 388 Wohnungen gebaut werden. Am Donaufeld sind 6000 Wohnungen geplant.
Immer mehr Anrainer wehren sich jedoch gegen die Verbauung ihrer unmittelbaren Umgebung. Oft werden Wohnprojekte auf den letzten Grünflächen der Nachbarschaft geplant. In Meidling wurden 1300 Unterschriften gegen die Verbauung einer Hundewiese gesammelt. In Liesing macht eine Bürgerinitiative gegen die Errichtung von 6000 Wohnungen im Gebiet „In der Wiesen“ durch die Stadt Wien mobil. In Simmering weigert sich eine Bürgerinitiative, „ihre“ 96 Kastanienbäume gegen ein siebenstöckiges Wohnhaus eines privaten Bauträgers einzutauschen.
In Floridsdorf schützt die IGI Marchfeld die Ziesel, eine vom Aussterben bedrohte Einhörnchenart. Bis jetzt verhinderten sie, dass ein privater Investor im Lebensraum der Verwandten der Murmeltiere, 950 Wohnungen für 3000 Menschen errichten. Auf der Baumgartner Höhe kämpft eine Bürgerinitiative seit Jahren gegen die geplante Verbauung des sogenannten Ost-Areals des Otto-Wagner-Spitals. In Kaisermühlen wehrt sich eine Bürgerinitiative gegen die Errichtung eines Hochhauses direkt am Donauufer, in Grinzing weigern sich die Anrainer die Bauvorhaben privater Entwickler widerspruchslos hinzunehmen, auch in Floridsdorf sind die Bewohner mit dem Bauvorhaben der Stadt Wien, am Donaufeld 6000 Wohnungen zu errichten, nicht einverstanden. Sie bangen um den Charakter des Gebietes und die Wiederholung der engen Bebauung wie in der Tokiostraße und derer unmittelbaren Umgebung.
Kein architektonische Monokultur
„Wir fürchten, dass noch mehr seelenlose Schlafstätten in unserer Umgebung entstehen“, sagt der Bürgeraktivist und Historiker Heinz Berger. Der Floridsdorfer Bezirksvorsteher Georg Papai (SPÖ) glaubt, dass die Stadt Wien den Befürchtungen Bergers und der Bürgerinitiative entgegen wirken kann „In mehreren Vergabeprozessen werden unterschiedliche Wohnprojekte zum Zug kommen. Es wird eine architektonische Vielfalt und soziale Durchmischung geben und keine soziale oder architektonische Monokultur,“ sagt er.
Heinz Berger hörte 2005 das erste Mal von der geplanten Verbauung der bis jetzt großteils landwirtschaftlich genutzten 60 ha am Donaufeld. „Es würde kaum Grünfläche übrig bleiben, momentan sind nur 12 ha dafür vorgesehen“, sagt Berger und zeigt über das noch unverbaute Gelände, frisch geackerte Böden, zarte Gemüsepflänzchen und eine Kleingartensiedlung. „Es werden hier auch noch Freilandhühner gehalten“ sagt er. „Es wäre wunderbar, wenn man Freilandhühner und artengeschützte Zeisel kreuzen könnte, die dann am Donaufeld leben könnten“, scherzt der Historiker.
Ganz ernsthaft fordert er, dass ein 25 ha großer geschlossener Grünzug als die „Oase Donaufeld“ erhalten bleiben soll für Nachbarschaftsgärten, öffentliche Obstgärten, einen Wald, den die Anrainer selber pflanzen, und kleine Gewässer. „Die Stadt Wien müsste die nötigen Gründe dafür ankaufen und mit der Bepflanzung und Umgestaltung des Grünzugs noch vor dem möglichen Baubeginn von rund 2000 Wohnungen Mitte 2015 beginnen“, sagt Berger.
„Essbare Siedlung“
Noch sind viele Grundstücke, auf denen in den nächsten 20 Jahren gebaut werden soll, in privater Hand. „Einen Teil der Baufläche ist schon vom Wiener Wohnfonds und Genossenschaften angekauft worden“, sagt der Bezirksvorsteher Papai.
Berger fürchtet hingegen, dass schon Grundstücke im Bereich des vorgeschlagenen Grünzugs an Genossenschaften oder private Investoren verkauft worden sind. Somit wäre die Umsetzung eines geschlossenen Bürgergartens und -waldes, einer „essbaren Siedlung“ unmöglich.
„Wir wollen das Typische, den Charakter vom Donaufeld, die Weite, retten“, sagt Berger. Hinter den ersten zarten Salathäupln des Jahres ragt die Wiener Skyline in die Höhe. Kleine Einfamilienhäuser stehen neben teils schon aufgelassenen Glashäusern, Vögel zwitschern noch im Donaufeld. Der Bürgeraktivist ist realistisch, „Wir sind nicht in jeder Hinsicht gegen die Verbauung. Ich würde mir zwar wünschen, dass es so bleibt wie es ist, weiß aber, dass wir den Bau nicht verhindern können. Aber wir können uns für die teilweise Erhaltung der Grünflächen, des Charakters unserer unmittelbaren Nachbarschaft, einsetzen.“
Am 9. April fand die Impulsveranstaltung für die BürgerInnenbeteiligung zum Stadtentwicklungsgebiet Donaufeld statt. Von nun an sollen die Bürger in kleinen Arbeitsgruppen und Workshops gemeinsam mit den Stadtentwicklern die Gestaltung des Donaufelds erarbeiten. Neben einem Ausbau der Straßenbahnlinien 25 und 26 sowie einer Buslinie geht es der Bürgerinitiative vor allem um die Eindämmung des Autoverkehrs.
„Schon jetzt geht Floridsdorf im Verkehr unter“, sagt Berger. Bis zu 5000 Autos könnten zusätzlich die Straßen verstopfen. Die Bürgerinitiative fordert deshalb, dass bei der Planung Garagen und Carsharing an den Rändern der neuen Siedlung belassen werden (Donaufelder Straße, Dückegasse) und dass der Kern des neuen Stadtteils autofrei sein soll. Ein Beispiel der autofreien Siedlung liegt gleich ums Eck.