Marliese Mendel
Thema

Prekäre Dienstverhältnisse

Montag, 20. Januar 2014
Im August 2012 verlängerte die MA48 die Werkverträge von 33 Abfallberatern nicht mehr. Dem waren zunehmend Verkürzungen von Vertragslaufzeiten vorangegangen: aus den ursprünglichen Jahresverträgen waren Drei-Monats-Verträge geworden. Gegen diese arbeitsrechtlich illegalen Kettenverträge hatten sie die Initiative Abfallberatung gegründet, um für soziale Absicherung, faire Entlohnung und rechtskonforme Verträge zu kämpfen. Zwei ehemalige Abfallberaterinnen erzählen, wie sich der Widerstand formierte, warum sie vor Gericht zogen und warum die Stadt von einer von beiden 7052 Euro fordert.

MA48 nominiert für Schandfleck 2013

Der Verein Netzwerk Soziale Verantwortung nominierte neben dem Lebensministerium, dem Computerhersteller Apple, der Bundestheater Holding, der Firma Andritz Hydro auch die MA48 für den Schandlfleck 2013.

Uli Müller trägt abgelegte Kleidung ihrer Freundinnen und schuldet ihrer Familie Geld. Dabei arbeitet sie 30 Wochenstunden als Bedienstete der Stadt Wien. Der Lohn der Akademikerin reicht trotzdem kaum für das alltägliche Leben. „Ich lebe sehr sparsam, ich fahr nie auf Urlaub, kaufe mir keine Klamotten, ich überlege zehnmal, bevor ich mir etwas kaufe“, sagt Müller. Ihr Arbeitgeber hat sie im niedrigen Gehaltsschema der „Beamten mit handwerklicher Verwendung“ eingestuft.

Für die Stadt Wien arbeiten 65.000 Menschen in mehr als 80 Dienststellen. Darunter sind auch Uli Müller und Verena Sommer (Namen von der Redaktion geändert). Sie waren Teil des Teams der Abfallberater in der MA48, das jährlich rund 60.000 Wiener beim „Misttelefon“ zu Themen wie Mülltrennung, Sperrmüllsammlungen und Abfallvermeidung berät. Sie halten in Schulen und Kindergärten Workshops ab und betreuen Informationsstände bei Veranstaltungen. Verena Sommer und Uli Müller arbeiteten zwischen 2005 und 2012 auf Werksvertragsbasis 15 bis 115 (!) Wochenstunden in der Beratung.

Von ihrem Bruttostundenlohn zwischen 17,00 und 19,70 Euro mussten sie ihre Sozialversicherung, den Gewerbeschein, die Einkommensteuer und die Haftpflichtversicherung selbst bezahlen. Weder Urlaub, Krankenstand, Nachtarbeit noch Wochenenddienste wurden finanziell abgegolten.

Ende Juli 2012 liefen die Werkverträge aus und wurden seitens der Stadt Wien nicht erneuert. Die Abfallberater standen ohne Arbeit und soziale Absicherung auf der Straße.

„Hey, jetzt reichts"

Macht euch keine Sorgen, es passt eh alles.
Verena Sommer

Die BOKU-Absolventin Verena Sommer hatte sich 2005 auf eine Anzeige der MA48 beworben. Die Stadt suchte Mitarbeiter mit universitärem Abschluss als Abfallberater. Sie absolvierte den einwöchigen Kurs zur Abfallberaterin und bekam den Job. „Es gab auch ein Modul, in dem man uns zeigte, wie man einen Gewerbeschein löst und sich bei der SVA versichert“, erinnert sie sich. Im September 2005 unterschrieb sie den ersten ihrer acht Werkverträge mit der Stadt Wien. „Ich war froh, schnell einen interessanten Job gefunden zu haben. Ich lernte die Abfallberatung von der Pike auf. Anfangs arbeitete ich mit Kindern und versuchte, ihnen die Mülltrennung zu erklären. Später führte ich internationale Fachdelegationen, Unternehmer und Politiker durch die Abfallbehandlungsanlage Rinterzelt oder zur Deponie,“ erzählt sie. Die Freude über den Job wurde ihr aber bald vergällt, sie begann sich zu fragen; „Warum muss ich am Wochenende für den gleichen Stundenlohn hackeln und bekomme das nicht extra abgegolten?“

„In der Abteilung gab es eine hohe Mitarbeiterfluktuation. Wir waren sozial nicht abgesichert und konnten es uns nicht leisten, krank zu werden. Aber nach einiger Zeit entwickelte sich eine stabile Gruppe. Ende 2011 forderte die MA48 von uns Lebensläufe und Passfotos ein. Wir dachten, da ist was im Busch und fragten bei unserem Vorgesetzten nach. Er antwortete, „Macht euch keine Sorgen, es passt eh alles.“ Doch man teilte den 33 Mitarbeitern mit, dass die Werkverträge für 2012 nicht mehr für ein Jahr abgeschlossen würden, sondern vorerst nur auf drei Monate. „Inzwischen war das Vertrauen innerhalb der Gruppe so groß, dass wir gesagt haben: ‚Hey, jetzt reichts.‘“

Initiative Abfallberatung

Initiative Abfallberatung, MA48, Stadt Wien
Marliese Mendel

Sommers ehemalige Kollegin Uli Müller ist Teil der Aktivisten in der Initiative Abfallberatung. „Wir setzten uns zusammen, gründeten die Initiative. Zeitgleich sagte unser Vorgesetzter, dass die Verträge rechtlich nicht ganz korrekt seien und deshalb überarbeitet werden müssten. Aber sie wüssten noch nichts Konkretes.“

Nachdem der Vertrag für drei Monate und dann nochmals für vier Monate verlängert worden war, formulierten die Mitglieder der Initiative im März 2012 einen Brief, in dem sie klar stellten, dass sie trotz der Liebe zu ihrem Beruf drei Forderungen an ihren Arbeitgeber hätten: soziale Absicherung, faire Entlohnung und rechtskonforme Verträge. „Als Reaktion gab es tatsächlich ein Gespräch mit dem Abteilungsleiter. Heute sehen wir das aber als Einschüchterungsversuch.“

Ende Juli 2012 liefen die Werkverträge aus. Fünf Mitarbeiter wurden bei der MA48 angestellt, 28 Abfallberater verloren ihre Jobs.

Die Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit der MA48, Ulrike Volk, sieht den rapiden Mitarbeiterabbau anders: „Abfallberatung ist ein ganz zentraler Bestandteil der MA 48, sie wurde Mitte 2012 auf neue Beine gestellt, so dass die Abfallberatung auch weiterhin auf höchstem Niveau gewährleistet ist. Aufgrund der von uns gewünschten organisatorischen Änderungen im Bereich der Abfallberatung wurde seitens der MA 48 den AbfallberaterInnen Jobs angeboten, d.h. Dienstverhältnisse bei der MA 48. Fünf Personen haben das Angebot sofort angenommen, andere haben abgelehnt und wollten nur noch als Gruppe auftreten“, schreibt sie in der Stellungnahme auf Anfrage von dieZeitschrift.at.

Arbeitslos

Für Sommer und Müller begann nun eine schwere Zeit. Müller meldete sich beim AMS als arbeitssuchend, hatte allerdings keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. „In über einem Jahr habe ich nicht einen Jobvorschlag vom AMS erhalten. Ich hatte keinerlei Bezüge und stand ohne Arbeit da,“ erzählt sie.

„Anfangs unterstützte uns die Gewerkschaft und stellte uns einen Anwalt. Man fragte uns, ob wir bereit wären, eine Feststellungsklage einzubringen“, sagt Sommer. Es sollte festgestellt werden, ob die Stadt Wien das Arbeitsrecht gebrochen hätte und es sich um Scheinselbstständigkeit und „Kettenverträge“ handle. „Der Anwalt verunsicherte uns und plötzlich ging es nicht mehr um eine Anstellung, sondern um eine Entschädigung für bereits geleistete Arbeit. Man bot uns 28 verbliebenen Ex-Mitarbeitern 90.000 Euro. Aber wir ließen uns mit dem Angebot „hier habts a bisserl a Geld und geht’s“ nicht abwimmeln. Wir wollten weiter als Abfallberater arbeiten,“ sagt Sommer. „Eine Kollegin hatte gerade das Erbe von ihrem Vater ausbezahlt bekommen und sagte: Ich klage, ich finanziere die Klage selbst.“ Im Februar 2013 reichte Rosa S. beim Arbeits- und Sozialgericht Klage gegen die Stadt Wien ein. Sie wollte vom Gericht wissen, ob sie Anspruch auf ein reguläres Dienstverhältnis habe. Zu der Verhandlung kamen auch viele ehemalige Kollegen. Sie wurden vom Anwalt der Stadt Wien als potenzielle Zeugen genannt und mussten deshalb vor der Tür warten.

Müller erinnert sich: „Ich saß mehr als zwei Stunden im Zeugenstand. Die Richterin fragte mich, wie meine Arbeit aussah, ob ich Dienstkleidung tragen musste, weisungsgebunden war, einen fixen Arbeitsplatz hatte und ob es Strafmaßnahmen bei Nichterfüllung der Aufgaben gebe. Wir konnte all das beweisen. Somit war es ein umgangenes Dienstverhältnis.“

Urteil

Anfang August 2013 verkündete die Richterin das Urteil: „Es wird festgestellt, dass zwischen der klagenden und der beklagten Partei ein aufrechtes Dienstverhältnis gemäß Wiener Vertragsbedienstetenordnung besteht". Rosa S. hatte gewonnen: Die Stadt Wien musste sie wieder einstellen. Ein Kollege, der ebenfalls geklagt hatte, erhielt das gleiche Urteil. In zwei weiteren Fällen gab die Stadt Wien dem Klagsbegehren vorzeitig bei.

„Am Anfang waren wir 30 Leute. Vier stehen wieder in Dienstverhältnis mit der Stadt Wien. Jetzt sind noch drei Fälle offen. Die werden einzeln über Gericht und Anwälte behandelt. Die anderen Mitglieder der Initiative konnten aus finanziellen und psychischen Gründen dem Druck nicht mehr standhalten und ließen sich auszahlen. Sie erhielten zwischen 6.000 und 35.000 Euro. Die Belastung war enorm groß. Wir hatten einen Kollegen, dem es so dreckig gegangen ist, dass er in Behandlung musste.“

Die Arbeiterkammer unterstützte die Begehren der Initiative und bezeichnete das Urteil als richtungsweisend für alle Scheinselbstständigen in Österreich. Kurz nach der Urteilsverkündung erhielten Sommer und Müller die Benachrichtigung, dass sie im September 2013 in neuen Dienststellen anfangen könnten.

Ulrike Volk von der MA 48 schrieb diesbezüglich an dieZeitschrift: „Die MA 48 war immer gesprächsbereit, mit dem überwiegenden Anteil der ehemaligen AbfallberaterInnen hat man sich in der Zwischenzeit auch geeinigt. In nur zwei Fällen wurde vom Gericht ein Dienstverhältnis anerkannt. Die betroffenen AbfallberaterInnen und zwei ähnlich gelagerte Fälle haben in der Zwischenzeit den Dienst bei der Stadt Wien angetreten. Für die MA 48 war es immer ein zentrales Anliegen, eine gute Lösung für alle Beteiligten zu finden.“

7052 Euro

Die beiden Frauen arbeiten jetzt auf verschiedenen Ämtern. Die Akademikerinnen werden allerdings nicht ihrer Ausbildung und Erfahrung gemäß entlohnt, sondern als Beamte ohne Matura und Universitätsabschluss eingesetzt und bezahlt. „Die Dienstverträge der Stadt Wien entsprechen nicht unseren Qualifikationen. Normalerweise erhält man bei der Stadt Wien mit einem abgeschlossenen Studium einen A-Posten, mit Matura den B-Posten. Wir haben einen Vertrag jenseits von Gut und Böse“, sagt Müller und plant die nächste Klage gegen ihren Arbeitgeber.

Auch, weil die Stadt Wien von ihr Geld zurückfordert: „Laut Gerichtsurteil hätte mir die Stadt Wien für die Zeit als ich arbeitssuchend war, 16 Monatsgehälter nachbezahlen müssen. Dann kam plötzlich Ende Oktober 2013 ein Brief. Man teilte mir mit, dass ich mein Geld nicht bekomme, sondern der Stadt 7052 Euro schulde. Sie begründeten dies so, dass ich damals als Abfallberaterin überbezahlt worden sei, wenn man es mit meiner jetzigen niedrigen Einstufung vergleiche. Aber ich könne die Forderung stunden lassen. Das ist absurd“, erzählt Müller.

In den nächsten Wochen wird sie eine Leistungsklage gegen die Stadt Wien einreichen. Sie denkt nicht daran, aufzugeben, obwohl sie sich der Belastung bewusst ist: „Das bedeutet, ich kann in den nächsten Jahren nicht zur Ruhe kommen. Aber ich habe in der Zeit viel gelernt. Es tut der Seele und der eigenen Entwicklung gut, wenn man dem folgt, was man für richtig hält.“

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