Zwei Männer stehen vor einer der zwölf Glücksspielautomatenkabine am Siebenbrunnenplatz. Sie legen den Finger auf den Scanner. Nichts passiert. Die Tür öffnet sich nicht. Sie rütteln an der Tür. Nichts. Sie versuchen zu verstehen was auf der Tür steht: „Aufgrund der wiederholt in den Medien angedrohten rechtswidrigen behördlichen Vollziehungsmaßnahmen, sind wir leider vorerst gezwungen den Betrieb von Glücksspielautomaten einzustellen.“ Jemand sagt ihnen, dass die Kabinen vorerst geschlossen bleiben, aber in Bratislava und in Niederösterreich könnte man weiterhin sein Glück an den Automaten versuchen. Die Männer schütteln den Kopf, schimpfen und gehen zur Bushaltestation.
Die Auswahl an Automaten in der Gegend um die Reinprechtsdorfer Straße war groß: An 43 Standorten standen 86 von insgesamt 111 Automaten in Wien-Margareten. Jeweils ein Automat pro 600 Einwohner, schreibt das Gesetz vor. Das heißt, in Margareten stehen jetzt schon um 20 Automaten zu viel. (54.680 Menschen wohnen in Margareten). (Anmerkung: Daten stammen von Dossier.at)
Einige der Kabinen sind seit November 2014 nur mehr per Fingerscan zugänglich. Seit heute sind sie alle zu. Die Automaten sind in Plastikfolien verpackt. Jene Betreiber, die ihre Automaten bei der Stadt Wien noch nicht abgemeldet haben müssen weiterhin pro Gerät monatlich 1.400 Euro Vergnügungssteuer bezahlen.
Weiterhin 1500 Glücksspielautomaten in Wien
Seit dem 1. Januar 2015 sind die Automaten, außer in Casinos, in Wien verboten. Rund 2000 Automatenkonzessionen laufen aber teilweise noch bis 2020, 128 sogar unbefristet. Novomatic droht dem Land Wien mit einer Amtshaftungsklage in der Höhe von 100 Millionen Euro.
Auf ihrer Webseite schreiben, sie, „NOVOMATIC respektiert den Willen der Stadt Wien, dass ab 1. Jänner 2015 keine neuen Konzessionen mehr für das Automatenglücksspiel erteilt werden können. Es werden daher ausschließlich Glücksspielautomaten mit aufrechten und rechtsgültigen Konzessionsbescheiden, deren Laufzeit über den 31. Dezember 2014 hinausgeht, weiter betrieben. (...)“.
Die Finanzpolizei gibt sich kämpferischer und hat angeblich schon einen LKW angemietet, um die Geräte nicht nur zu versiegeln, sondern auch gleich abzutransportieren. Kontrollen und Strafen soll es ab dem 2. Januar geben: Von Verwarnungen über Beschlagnahmungen bis zu 22.000 € Strafe pro Gerät ist möglich.
Schon in den 70er-Jahren wurden die damals noch illegalen Glücksspielautomaten bei Großrazzien auf LKWs verladen und Geldstrafen verhängt. 1972 berichtet die Wochenpresse von „Kaffeehausbesitzern, die versuchten, ihre Verluste wegen der Einführung der Mehrwertsteuer durch illegales Glücksspiel wett zu machen.“ 1973 begann die Diskussion zur Legalisierung von „harmlosen Glücksspielautomaten.“ 1981 kam das „Glücksspiel-Gesetz.“ 2010 wurde erstmals das „Kleine Glücksspiel“ geregelt. 2011 brachte die Sektion 8 beim SPÖ-Parteitag den Antrag zur Abschaffung des Kleinen Glücksspiels in Wien mit knapper Mehrheit durch. 2012 beschlagnahmte die Finanzpolizei 2.200 illegale Geräte an 630 Standorten in Österreich. Im Herbst 2014 wurde aus dem Veranstaltungsgesetz das Wort Münzgewinnspielapparate getilgt. Alle bestehenden Automatenlizenzen laufen mit Ende 2014 aus. Ab 1.1. 2015 soll es in Wien keine Automaten mehr außerhalb der Casinos geben. In den Casinos werden weiterhin 1500 Automaten stehen. Der Stadt werden rund 45 Mio. Euro an Einnahmen entgehen.
"Ein zynisches Geschäftsmodell"
In den etwa 500 Wiener Spielsalons stehen nicht nur Glücksspielautomaten sondern auch weiterhin legale Wettautomaten. Schätzung zu Folge werden wohl nur einhundert Salons verschwinden. Das Glücksspiel bleibt im Straßenbild präsent. Vor allem in den ärmeren Wiener Bezirken. Der Margaretner Gemeinderat Wolf Jurians sagt: „Es ist ein zynisches Geschäftsmodell, bei dem aus dem Elend der letzte Groschen herausgepresst wird. Ein nicht haltbares Versprechen, das als Ausweg aus der Misere angeboten wird.“
In der Reinprechtsdorfer Straße dominieren die Wettlokale das Straßenbild. Im November schloss eine Boutique, am nächsten Tag klebten Ankündigungen für ein Wettlokal auf den Auslagenscheiben. Sobald es eröffnet, liegen vier Wettlokale direkt nebeneinander. Auf 800 Metern werden dann fünf Wettlokale und 26 Automatenkabinen zwischen Fastfoodläden und Ein-Euro-Shops sein.
Einzelhändler halten ihre Läden nur noch als Überbrückung bis zur Pension offen. Gewinn machen sie schon lange keinen mehr. Der Spezialschuhhändler hat zugemacht. Der Laden für Kindersachen auch. Die Raiffeisenbank ist weggezogen. Der Modeladen für ältere Damen ist zu. Die Boutique für Accessoires hat geschlossen. Selbst der chinesische „Waren aller Art“-Händler gab auf. Der Elektrohändler „baut“ seit sechs Monaten um. Elf Geschäfte stehen leer. Nur Nudelläden, Ein-Euro-Shops und Geschäfte, die „schnelle Finanzierungshilfen“ anbieten, sowie Wettlokale eröffnen.Nach dem Verbot des "Kleinen Glücksspiels" bleiben 26 kleine Kabinen leer. Es stellt sich die Frage, wie die Kabinen genutzt werden können. Jurians hat mehrere Vorschläge, vom Pop-up-Stores über eine Buchhandlung bis hin zu konsumfreien Räumen.
"Verbot ist sinnvoll"
Lea Six von der Sektion 8 sagt: „Momentan versprechen ganze Straßenzüge das schnelle Glück. Das Verbot des „Kleinen Glücksspiels“ wird den Erstkontakt erschweren. Deshalb ist ein Verbot sinnvoll.“
Der österreichisch-albanische Autor Ilir Ferra arbeitete 18 Monate in einem Wettlokal. Er sagt, dass kein Gesetz einen Spieler retten könne und schlägt vor, auf die spielsüchtigen Menschen zugehen, zu fragen was sie dort suchen: nämlich Hoffnung, ein bisschen Glück, Freundschaft, Entspannung. „Es ist schrecklich wenn Jugendliche in der Schulpause kommen und ihr Geld verspielen.“ Gleichzeitig fragt er: „Warum gehen die Jugendlichen in die Wettlokale?“ Er weiß keine Antwort. 34 Prozent aller Spielsüchtigen beginnen, im Alter von 15 bis 18 Jahren zu spielen. 29,7 Prozent davon in Wettbüros.
Geldgier
Rund 70.000 Menschen sind in Österreich spielsüchtig (zum Vergleich, rund 34.000 Menschen sind drogensüchtig), für 82,6 begann die Spielsucht an den Automaten. Sie sind pathologische Glücksspieler, leiden an Spielsucht als abnorme Gewohnheit, an Störungen der Impulskontrolle, an einer nicht stoffgebundenen Sucht.
Izabela Horodecki von der Spielsuchthilfe sagt: „Der Übergang von Spaß und Sucht ist fließend. Anfangsgewinne beschleunigen die Suchtentwicklung. Nur zwei Prozent erkennen den Beginn der Sucht. Menschen entwickeln eine Art Tunnelblick, belügen ihre Freunde, interessieren sich nur mehr für das nächste Spiel.“ Die Auslöser sind vielfältig: Lebenskrisen oder Krankheiten. Für manche Depressive ist Glücksspiel ein Selbstheilungsversuch. „Glücksspiel steigert die Stimmung, aber aus dieser Lösung entsteht ein zusätzliches Problem. Wenn jemand gewinnt, spielt er weiter um noch mehr zu gewinnen, und wenn jemand verloren hat, spielt er weiter um wieder zurückzugewinnen,“ sagt Horodecki. Betroffene sagen, sie würden aus reiner Geldgier spielen, um den Alltag zu vergessen, sich von psychosomatischen Störungen zu heilen.
„Dass, was du da machst ist krank.“
Die Automatenspielerin Monika saß bis zu zwölf Stunden vor den Automaten, zockte an zwei gleichzeitig, verspielte ihre Monatsgehälter. Sie spielte nicht der Gewinne wegen, sondern weil sie komplett abschalten konnte. Seit acht Jahren ist sie in Therapie. Seit sie sich dachte: „Dass, was du da machst ist krank.“ Ihr ging es gut in der Therapie. 22 Monate war sie spielfrei. Dann steckte sie wieder Geld in einen Automaten in einer Trafik. 2013 spielte sie wieder viel öfter. Jetzt arbeitet sie wieder an sich und hofft, dass die Gesetze schärfer werden, damit sie sich endgültig sperren lassen kann. Sie will kein Totalverbot, denn ein Casinobesuch könne ja auch Spaß machen.
Bankrott
Finanzierung der Spielsuchthilfe
Seit 1983 von Casinos Austria, seit 1986 von den Österreichische Lotterien, seit 1995 von den Austrian Gaming Industries (Novomatic, die 2013 89,2 Mio. € aus Automatenerlösen lukrierte), seit von 2009 BWIN Party. Und seit 2011 auch von der Stadt Wien.
80 Prozent der Spielsüchtigen sind hoch verschuldet (durchschnittlich rund 36.000 Euro), über 40 Prozent haben Probleme in der Partnerschaft, oder trennten sich, rund 20 Prozent verloren ihren Arbeitsplatz, etwa 10 Prozent ihre Wohnung. Die Zahlen stammen von der Spielsuchthilfe, ein 1982 von einem ehemaligen Spieler gegründeter Verein. Er hatte in zehn Monaten mehr als 700.000 Euro verspielt, seine gut gehende Autozubehörfirma in den Bankrott getrieben, 50 Leute wurden arbeitslos. Finanziert wird der Verein von Glücksspielanbietern.
Insgesamt wurden 2013 14,1 Mrd. € in Wett- und Spieleinsätze in Österreich eingesetzt.
Therapie statt Strafe
Fast 20 Prozent der Spielsüchtigen begehen kriminelle Delikte, um ihre Sucht zu finanzieren. Die Beschaffungskriminalität steigt. Dominik Batthyany, Leiter des Instituts für Verhaltenssüchte an der Privatuniversität Sigmund Freud sagt: „Man bestraft sie, anstatt an der Ursache der Straftat zu arbeitet.“ Therapie statt Strafe wäre sinnvoller.
Monatlich wenden sich 60 neue Personen direkt an die Spielsuchthilfe, mehr als 2000 melden sich über die Online-Beratung: Zwei Drittel Betroffene und ein Drittel Angehörige der Spielsüchtigen. In den letzten Jahren melden sich immer mehr Onlinespielsüchtige. 2013 gaben bereits 34 Prozent der Behandelten an, Onlinespielsüchtig zu sein. Für 2014 erwarten die Betreuer eine Steigerung.
Onlinecasinos
Manfred spielte vier Jahre lang exzessiv in Onlinecasinos mit hohen Einsätzen. Seit 18 Monaten ist er suchtfrei. Er sagt: „Man kann 24 Stunden spielen, dabei rauchen und essen, und man wird von niemanden kontrolliert. Man ist als Spielsüchtiger schon isoliert, aber wenn man einsam zu Hause sitzt, ist es noch schlimmer.“ Ferra glaubt nicht, dass alle Automatenspieler zu den Onlineanbietern wechseln werden. „Auch Automatenspieler suchen Gesellschaft.“ 40 Prozent der Geldeinsätze für Spielautomaten stammen von pathologischen Spielern.
Doris spielt seit fast drei Jahren an Automaten in Casinos. „Der Automat war meine große Liebe“, sagt sie. Sie hatte ihr ganzes Leben lang nach Anerkennung gesucht. Gewinnausschüttungen und Freispiele gaben sie ihr. Nach einem Jahr erkannte sie, dass sie etwas ändern muss. „Entweder ich sitze in einem Jahr auf der Straße oder ich raffe mich auf und tue etwas dagegen,“ sagt sie. Machte einem erfolglosen Entzug in Kalksburg. Ging nicht mehr in die Casinos, verspielte aber online mehrere hundert Euro. Jetzt versucht sie alleine, von ihrer Sucht los zu kommen.
(Einige der Zitate stammen von einer Podiumsdiskussion im Hundsturm)