Alexander Schuppich
(Un-)Glücksspiel

„Verlieren bedeutet nichts, gewinnen ist alles“

Donnerstag, 4. Dezember 2014
Ilir Ferra hat 18 Monate lang in einem Wettlokal gearbeitet. Er recherchierte für seinen neuen Roman „Minus“. Es ist nicht nur eine Geschichte über Spieler sondern auch über unerwartete Freundschaften.

Kurz nach seiner Ankunft in Wien (1991) ging Ilir Ferra im Prater spazieren. Er sah einen Glücksspielautomaten und warf fünf Schilling in den Schlitz. Er verlor. Am nächsten Tag ging er wieder hin, warf abermals Münzen ein. Es machte ihm Angst, dass er nur mehr daran denken konnte, wie er zu mehr Geld kommen könnte, um den Automaten zu füttern. Deshalb hörte er auf zu spielen.

Jahre später sah er die Wettzettel seiner Bekannten und hörte von deren „bombensicheren Systemen“ mit Sportwetten Geld zu gewinnen. „Ich verstand kein Wort“, sagt Ferra, „mich faszinierte aber die Rauheit dieser Welt, deren Sprache und die Vorstellung, dass man scheinbar durch diese Zettel mit der Zukunft Vereinbarungen eingehen kann.“ Also beschloss er in einem Wettlokal zu arbeiten.

Die Welt im Wettlokal

In seinem Roman versucht er nun die Welt der Wettbüros zu erkunden. Er wollte keinen Aufdeckerroman schreiben: Über das System wie Glücksspielanbieter Menschen ihre Mindestpension, Sozialhilfe, Kindergeld oder Monatslöhne innerhalb weniger Stunden abknöpfen. Sondern seine Geschichte vom Leben im Wettbüro.

Er erzählt von Männern, die ihre Jacken nie ausziehen, die so tun, als wären sie ständig auf Achse. Dann aber trotzdem stundenlang im abgedunkelten Wettbüro sitzen bleiben. Von Menschen, die alles verspielt haben, dennoch glauben in naher Zukunft zu gewinnen; Von randalierenden Verlierern und heimtückischen Betrügern.

Der Roman ist wie ein Tagebuch über jene, die auf ihr Glück warten. Geschichten werden angerissen, später fertig erzählt und manche bleiben offen: Wie die vom Mitarbeiter Babel: Er verrechnet sich zu Ungunsten seiner Kollegen, er betrügt Kunden und er könnte den Überfall auf das Lokal organisiert haben. Doch es bleibt offen, ob er der Initiator des Diebstahls war. Für den Autor ist Babel ein Abbild jener Menschen, die so agieren, als gäbe es keine Konsequenzen für ihr Handeln.

Wetteinsatz

Ferra sagt, seine Vorstellung von den Vorgängen in einem Wettlokal bestätigten sich im Zuge der Recherche teilweise: Eine Mischung von Familienvätern, Drogenhändlern und Kleinkriminellen auf der Suche nach dem Glück. Aber er erlebte auch, dass zwischen den Bookies und den Spielern ein Vertrauen entstand. „Wenn viel zu tun war, rechneten die Spieler selbst aus wie hoch ihr Wetteinsatz ist. Es stimmte meistens.“

Viele der Figuren haben Migrationshintergrund. Ferra, er kommt ursprünglich aus Albanien, beschreibt auch die Diskriminierung unter den Migranten, die im Wettlokal spielen. „Es ist als ob man Angst hätte zu sagen, dass Migranten rassistisch sein können. Ich wollte aber auch aufzeigen, dass die Entscheidung gemeinsam Zeit in einem Raum zu verbringen dazu führt, dass man sich auf menschlicher Ebene begegnet. Egal woher man kommt."

Kritik am System

Über den Autor

Ilir Ferra, geboren 1974 in Durrës, Albanien. Lebt und arbeitet seit 1991 als Autor, Übersetzer und Dolmetscher in Wien. Auszeichnungen (Auswahl): 2008 erhielt er den Preis »Schreiben zwischen den Kulturen« des Vereins Exil. 2012 erhielt er für seinen viel beachteten Debütroman Rauchschatten (Edition Atelier) den Chamisso-Förder­preis und 2013 das Staatsstipendium für Literatur des bmukk. Zuletzt erschienen: Aus dem Fluss (Prosa)

Ferra übt kaum Kritik am System der Glücksspielanbieter. Er sagt, „Als Autor ist es nicht meine Aufgabe, Kritik zu üben. Kritik muss in jedem einzelnen entstehen.“ Er habe dort nur gearbeitet und seinen Job erledigt: Umsatz zu machen. „Natürlich hat es weh getan zu sehen, wie jemand sein ganzes Geld verspielt. Ich versuchte einige Male meine Kunden darauf hinzuweisen, dass sie Unsinn machen.“ Es half jedoch nichts. „Einmal spielten wir mit Zetteln anstatt mit Geld. Aber die Spieler sahen nur die entgangenen Gewinne. Dabei hätten sie 200 Euro verloren und nur 20 Euro gewonnen. Aber so ist es in einem Wettlokal: Verlieren bedeutet nichts, gewinnen ist alles.“

Ferra ist ein spannendes Buch gelungen, das Einblick in die ewig gleichen dunklen Systeme von Wettlokalen gibt.

Ilir Ferra - Minus
Roman
448 Seiten
Erschienen bei Edition Atelier
Euro 21,95 Euro
ISBN 978-3-902498-95-3

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