Eigentlich hätten die rund 8.800 Beschäftigten in den österreichischen Druckereien im Jänner 2017 Grund zu feiern gehabt. Der älteste österreichweit geltende Kollektivvertrag wäre einhundert Jahre alt geworden, hätte nicht einer der Sozialpartner – der Verband Druck & Medientechnik (VDM) – im September 2016 eine Statutenänderung beschlossen: die Streichung des Kollektivvertrag-Verhandlungsmandates.
Ein bisher einmaliges Vorgehen, um Kollektivvertragsverhandlungen zu verhindern und einen bestehenden Kollektivvertrag auszuhebeln. Doch das Säbelrasseln hatte schon vor zwölf Jahren begonnen. Der VDM verortete missverständliche Formulierungen sowie unzählige Zusatzbestimmungen und Ausnahmen im Kollektivvertrag, und somit sei dieser „zu einem nicht mehr tragbaren Risikofaktor für die Druckereien“ geworden. Den Betrieben drohe seit der Verabschiedung des Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes auch bei kleinsten Vergehen massiven Strafen, begründet der VDM sein Vorgehen. Die Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp) sagt jedoch, sie sei bezüglich einer Vereinfachung des Kollektivvertrag immer gesprächsbereit gewesen, und die Unternehmer_innen hätten stets auf Ausnahmeregelungen gepocht.
Die Verhandlungen
Zweimal hatte die GPA-djp bisher „zähneknirschend“ rahmenrechtliche Verschlechterungen hingenommen. Allerdings nur um den österreichweit geltenden Kollektivvertrag zu erhalten. Seit 2012 arbeitet ein Teil der Beschäftigten wieder 38,5 statt bisher 37 Stunden pro Woche, die tägliche normale Arbeitszeit kann bei Bedarf jedoch auf neun Stunden ausgedehnt werden. Im Rahmenrecht ist ein erweitertes „Bandbreitenmodell für die Krise“ eingeführt worden und somit kann die Normalarbeitszeit auf elf Stunden pro Tag ausgeweitet werden. Seit 2010 entfällt der 50-prozentige Nachtarbeitszuschlag zwischen 18.00 und 19.00 Uhr in einigen Branchen und in manchen Spaten können seit 1. April 2012, als „Kriseninstrument“, die Mehrstundenzuschläge entfallen. Und die Biennalsprünge wurden reduziert. Den GPA-djp-Verhandler_innen gelang es jedoch im Jahr 2012 eine Lohnerhöhung von 3,75 Prozent zu vereinbaren und die Vertragskündigungsmodalitäten zu ändern: statt drei Monaten gelten nun sechs Monate Kündigungsfrist und würde der VDM den Kollektivvertrag kündigen, würden all die 2012 vereinbarten Regelungen wieder wegfallen.
Die GPA-djp reichte beim Obersten Gerichtshof eine Feststellungsklage ein: sie vermuten, dass die Statutenänderung des VDM ein „Trick“ sei, um zu verhindern, dass die Kündigungsmodalitäten schlagend werden.
Die Presseaussendung
Die Kündigung eines Kollektivvertrages ist ein legales und durchaus übliches Vorgehen. Während der dreimonatigen Kündigungsfrist verhandeln die Sozialpartner und kommen nach einigem Mediengetöse meist zu akzeptablen Abschlüssen. „Diesen Weg hat der VDM 2016 verlassen“, sagt der zuständige Wirtschaftsbereichssekretär in der GPA-djp Christian Schuster. Er erfuhr am 23. September 2016 aus einer Presseaussendung über die Statutenänderung des VDM. Weiters stand dort zu lesen: „(...) 'Wir als Vertreter für die Druckbranche können und dürfen die Verantwortung für diesen Kollektivvertrag nicht mehr übernehmen', erklärt Verbandspräsident Gerald Watzal diesen Schritt. Der bestehende KV für das grafische Gewerbe behält bis auf Weiteres seine Gültigkeit; den DienstnehmerInnen entstehen durch diese Statutenänderung keine Nachteile.“
Der Kollektivvertrag
Am 13. Juni 2017 veröffentlichte das Bundeseinigungsamt im Amtsblatt der Wiener Zeitung die Erkenntnis, dass der VDM nicht mehr kollektivvertragsfähig ist. Der älteste Kollektivvertrag Österreichs erlosch und somit die Lohntafel und das Rahmenrecht. Geht es hart auf hart, verlieren die Arbeitnehmer_innen etwa ihren Anspruch auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Jubiläumsgelder, Betriebserfahrungszulagen und die Arbeitszeit würde wieder auf die gesetzlichen 40 Stunden pro Woche angehoben.
Die Gewerkschaft steht vor einer vollkommen neuen, noch nie dagewesenen Herausforderung, der „freiwillige“ Verhandlungspartner war weggefallen.
Laut dem Arbeitsverfassungsgesetz wären nun statt der VDM, die einzelnen Landeskammern der WKO – als gesetzliche Vertreterin – die Verhandlungspartner. Dass hieße jedoch, dass neun Landeskammern mit der Gewerkschaft verhandeln würden und die Wahrscheinlichkeit, dass neun unterschiedliche Kollektivverträge entstünden, ist hoch. Es wäre möglich, dass in Vorarlberg ein ganz anderes Rahmenrecht und andere Lohntafeln gelten als im Burgenland. Dass würde nicht nur die Beschäftigten treffen, sondern auch die Unternehmer_innen: es wäre eine Wettbewerbsverzerrung. Deshalb fordert die GPA-djp, dass wieder ein bundesweiter Kollektivvertrag abgeschlossen wird. Am 13. Juni 2017 gingen die Drucker_innen auf die Straße, demonstrierten für „ihren Kollektivvertrag“ vor der WKO in Wien.
Ämterkumulation
Schon vor dem Protest und der Kundmachung in der Wiener Zeitung hatte jedoch ein „Ping-Pong-Spiel“ begonnen. Bei der Protestveranstaltung sagte Schuster, dass die Fachgruppe Druck in der Bundeswirtschaftskammer erklärt habe, solange keinen Kollektivvertrag verhandeln zu können, bis die Kollektivvertragsfähigkeit dem VDM nicht aberkannt wäre und könne somit auch von den WKO-Landeskammern nicht fordern, die Vertragsverhandlungen an die Bundeswirtschaftskammer abzutreten.
Eine typische österreichische Ämterkumulation könnte den Abschluss eines bundesweiten Kollektivvertrages jedoch weiter erschweren: den der Präsident des VDM, Gerald Watzal, ist gleichzeitig der Obmann der Fachgruppe Druck in der Wirtschaftskammer Salzburg und die Vizepräsidentin des VDM, Ingeborg Drockner, ist gleichzeitig Obfrau des Fachverbandes Druck und Fachgruppenobfrau der WKO-Landesgruppe Niederösterreich. Was zu der skurril anmutenden Situation führt, dass jene Personen die sich das Kollektivvertrag-Verhandlungsmandat selbst entzogen haben, nun das Verhandlungsmandat der Bundesländer Salzburg und Niederösterreich an die Bundeswirtschaftskammer abgeben sollen und die Vizepräsidentin des VDM soll als Obfrau des WKO-Fachverbandes Druck einen gesamtösterreichischen Kollektivvertrag mit der GPA-djp ausverhandeln.
Die Solidarität
Unter dem Motto „Schluss mit den Spielchen“ gingen am 13. Juni rund 400 Drucker_innen aus ganz Österreich unterstützt von Delegationen der Produktionsgewerkschaft, der OMV, der Banken und anderen Gewerkschaften auf die Straße. Lautstark machten sie ihren Unmut über die „kollektivvertragsfreie“ Zeit kund, drohten gewerkschaftliche Maßnahmen an und verabschiedeten eine Resolution. Betriebsräte aus dem Bereich des Expedits kündigten ihre Unterstützung an, Landessekretäre versprachen die Solidarität der Zeitungsdrucker und lasen G'stanzl vor „Wer uns dauernd ignoriert, sich die Zeitung bald selbst kopiert“. Christian Schuster und der Vorsitzende des Wirtschaftsbereichs Druck, Kommunikation, Papierverarbeitung Michael Ritzinger warnten davor, dass „dieser Wahnsinn Schule machen könnte“.
Die Kundgebung
Der stellvertretende Bundesgeschäftsführer der GPA-djp Karl Dürtscher wies daraufhin, dass der „soziale Friede“ in Österreich dadurch gesichert sei, dass für 98 Prozent der unselbstständigen Erwerbstätigen ein Kollektivvertrag gelte, die GPA-djp alleine jährlich 170 Kollektivverträge verhandele und dass momentan für jene ohne KV verhandelt würde: im Gesundheits- und Regionalmedienbereich.
Während der Kundgebung gingen Schuster, Ritzinger und Dürtscher ins WKO-Gebäude und stattete der Fachgruppe Druck einen Besuch ab, um die auf der Protestkundgebung beschlossene Resolution zu übergeben. Nach einem kurzen Gespräch kehrten sie enttäuscht zurück, ihre Hoffnung, dass ein Verhandlungstermin vereinbart würde, war nicht erfüllt worden. Ritzinger berichtete den Demonstrierenden, dass es gegenseitige Schuldzuweisungen gegeben hätte und die Forderung nach Rücknahme der Feststellungsklage beim OGH wiederholt worden wäre.
Die Gespräche
Der Fachverband Druck in der WKO schrieb in einer Presseaussendung jedoch von einem „kurzen Gespräch in freundlicher Atmosphäre“ und der Fachverband-Geschäftsführer Karl Herzberger appellierte darin an die Arbeitnehmervertreter „verantwortungsbewusste Schritte zu setzen“ und an die Arbeitnehmer_innen gewandt, dass sie sich „unbesorgt auf den Sommer freuen“ könnten.
Bei der Kundgebung sagte Ritzinger abschließend, dass nun wieder ein Brief an die WKO gesandt werden würde, in dem diese zu Gesprächen aufgefordert werden und sollte dieser nicht innerhalb der nächsten 14 Tage beantwortet werden, würde die Gewerkschaft sich gezwungen sehen einen Arbeitskampf zu beginnen.
Die Reaktion
Als Reaktion auf die Protestveranstaltung und die Kundmachung im Amtsblatt der Wiener Zeitung veröffentlichte die VDM wiederum eine Presseaussendung: Der Kollektivvertrag für das grafische Gewerbe sei untergegangen. Gleichzeitig stellen sie ihren rund 200 Mitgliederbetrieben während der „Umstellungsphase“ ein Team von Arbeitsrechtsexpert_innen zur Seite, „um Unternehmen bei der Identifizierung von sozial- und lohndumpingrelevanten 'Fallstricken' behilflich zu sein, um damit auf betrieblicher Ebene Rechtssicherheit zu schaffen.“ Auch wenn für die bereits in Dienstverhältnissen stehenden weiterhin die bisherigen Vereinbarungen gelten, bis es neue gibt, so gibt es immer noch die Möglichkeit der Änderungskündigung – wenn Arbeitnehmer_innen mit bestimmten – meist Verschlechterungen – des Arbeitsvertrages nicht einverstanden sind. Stimmen diese innerhalb einer gewissen Frist doch zu, wird die Kündigung zwar aufgehoben, aber es gelten nun auch die schlechteren Bedingungen.
Genau dass versucht die Gewerkschaft jedoch zu verhindern: Einzelvereinbarungen. Die statt den bisherigen Kollektivvertrags 37 bzw. 38,5 Wochenstunden, nach dem Arbeitszeitgesetz 40 Wochenstunden, statt des kollektivvertraglich festgelegten Lohnes den „ortsüblichen“ Lohn ermöglichen.