Marliese Mendel
Baumschal

Gestrickte und gefilzte Graffitis

Dienstag, 21. Oktober 2014
Ursula Weber-Hejtmanek ist Urban-Filzerin, Gerlinde Hirt Urban-Guerilla-Strickerin. Gemeinsam umnähen sie in der Kolingasse Bäume mit Filz- und Strickstücken. dieZeitschrift hat sie besucht und erfahren, was ihre Aktion mit Oktopoden, Nachhaltigkeit und mongolischen Hirten zu tun hat.
Filzstücke für den Urban Felting Tag in Wien
Marliese Mendel

Ein Wanderer mit schmerzenden Füßen traf einen Schafhirten. Er gab ihm Wolle. Der Wanderer wickelte sie sich um die Füße und beim weitergehen verfilzte sich die Wolle. So soll, der Legende nach, vor mehreren tausend Jahren das Filzen entstanden sein.

„Das könnte gut möglich sein,“ sagt Ursula Weber-Hejtmanek, „weil sich nicht entfettete Rohwolle verfilzt.“ Noch heute wird in der Mongolei Filz in ähnlicher Weise hergestellt. Ganze Clans gehen auf frisch geschorener Wolle herum. Dann wird sie auf eine Holzrolle aufgewickelt und hinter einem Ochsen oder Esel über die Felder gezogen. Aus dem Filz werden später u.a mit Gedärmen von Tieren Jurten zusammengenäht. Für nächsten Sommer plant die Urban-Felterin Ursula eine ähnliche Aktion.

Im Zweitleben ein Blumentopf

Filzstücke für den Urban Felting Tag in Wien
Marliese Mendel

„Filzen ist ein wesentlicher Teil der Gemeinwesenarbeit,“ sagt Ursula. Insgesamt haben mehr als 60 Leute Filzstücke gefertigt. Einige davon wurden beim „Urban-Felting“ in der Kolingasse um die Alleebäume genäht. Die Handwerker trafen sich im Geschäft Ladenkonzept, in Gärten und Wohnungen, um gemeinsam zu filzen. Neue Bekanntschaften entstanden zwischen Menschen, die sich sonst wahrscheinlich nie kennengelernt hätten. Leute aus verschiedenen Gesellschaftsschichten freuten sich an der gemeinsamen Arbeit. Unterschiedliche Techniken wurden ausprobiert.

Bei der japanischen Methode, Nuno wird Seide mit Wolle verbunden, beim Strickfilzen wird zuerst ein großmaschiges Stück gestrickt und danach heiß gewaschen. Beim Vintage Felting werden aus alten Textilien wie Seide, Chiffon, Leinen neue Filzstoffe gefertigt. Oder Pullover und Mützen werden zerschnitten und mit 95 Grad gewaschen. Das zu heiß gewaschene Kashmirkleid wird im Zweitleben zum Blumentopf und aus dem alten Pullover ein Rock oder Filzstücke, die in der Stadt drapiert werden.

Die Stadt soll bunter werden. „Mit einer alte Kulturtechnik stellt man Produkte mit Alltagsnutzen her. Sie helfen bei der Psychohygiene und gegen die drohende Winterdepression. Es ist eine bunte, lustige Sache zum Anschauen, die die Seele erfreut. Speziell in einer so bedrückenden und grauen Zeit.“

Oktopus

Urban-Knitting: Rosen am Baum
Marliese Mendel

Gerlinde Hirt ist seit drei Jahren Urban-Strickerin. „Die Idee kommt aus den Staaten“ erzählt sie. „Eine Dame, die sehr lange krank war und im Krankenhaus lag, vertrieb sich die Zeit mit stricken. Nach acht Monaten hatte sie einen überdimensionalen Oktopus fertig, und der wurde in New York an Häusern festgemacht.“ Seit 2005 umstrickt die texanische Gruppe KnittaPlease Statuen, umhüllt Mofas und Busse mit Strickwerk.

Seit 2011 stricken die „Rausfrauen“ in München nackten Nixen Bikinis, Tischdecken für Stromkästen und Mäntel für Bäume. Sie verstehen sich als Heinzelmännchen, die die Stadt verschönern. Etwa zur gleichen Zeit eroberten die farbenfrohen Stricksachen auch den öffentlichen Raum in Wien.

Gerlinde Hirt sagt, dass Urban-Knitting Streetart sei. Wollene Graffiti, die die Stadt aufwertet. Für sie ist vor allem das Miteinander wichtig. Vor zwei Jahren strickte und häkelte sie gemeinsam mit Senioren aus Floridsdorf und Kindergartenkindern am Donaukanal. Beim Streetlife-Festival im Sommer 2014 fixierte sie mehr als 300 Strickstücke in der Babenbergerstraße. Ein halbes Jahr hatten sie und andere Stadtstrickerinnen Rosen, Fleckerl und Baumsocken vorbereitet.

Strickzeiten statt Wartezeiten

Gerlinde Hirt: Urban Knitting-Spezialistin
Gerlinde Hirt

Gerlinde näht nicht nur Bäume ein, sondern häkelt auch in den öffentlichen Verkehrsmitteln oder in der Hundezone. Auch in den Urlaub fährt das Strickzeug immer mit. Begonnen hat ihre Leidenschaft, als sie ihren Sohn zum Fußballtraining begleitete. Sie fragte sich, wie sie die zwei Stunden Wartezeit sinnvoll nutzen könnte. Also begann sie zu stricken und seither nimmt sie die Strickerei überall hin mit. Wartezeiten werden zu Strickzeiten. „Es ist herrlich entspannend“, sagt sie.

Über 200 gefilzte und gestrickte Stücke sollten um die Alleebäume in der Kolingasse genäht werden. Das ging nicht, weil viele Bäume kaputt sind und umgeschnitten werden sollten. Die angebrachten Stücke hängen für drei Monate. Im Jänner gibt es einen neuen Durchgang, in dem kaputte Stücke ersetzt und neue Stücke angebracht werden. Infos zum kostenlosen Filznachmittag mit Ursula gibt es auf Ladenkonzept. Wer nicht kommen kann, ist herzlich eingeladen, seine Strick- oder Filzstücke einzuschicken oder vorbeizubringen.

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