Film: Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe
Film: Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe, by Viennale
© Viennale
Film

Herr Hartmann sucht die Zeit

Montag, 29. Dezember 2014
Der deutsche Regisseur Philipp Hartmann reist mit seinem Film durch Deutschland. In drei Monaten zeigt er in 66 Kinos den Dokumentarfilm „Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe“. dieZeitschrift.at hat mit ihm gesprochen: Über Käsefondue im Kinofoyer, wie er zum Filmtitel kam und wann er mit seinem Film nach Österreich reist.

Der Kinobetreiber legt den Film „Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe“ ein. Seine Frau verkauft den Besuchern Popcorn und Cola. Der Film beginnt. Die Kinobesitzer schieben die Sofas im Foyer zusammen und bereiten ihr Abendessen vor. Es gibt Käsefondue. Der Regisseur, Philipp Hartmann, schaut ihnen zu. „Sie sind nur zu zweit und haben keine Zeit, um zu Hause zu essen“, sagt Hartmann.

Das Kino ist nur einer von Hartmanns 66 Stopps auf der Reise durch Deutschland, um seinen ersten Langfilm zu zeigen. Es hatte sich kein großer Verleiher gefunden. Sie waren skeptisch gegenüber dem Dokumentarfilm mit Spielfilmsequenzen, langen Bildern und viel Text. „Ich dachte mir, bevor ein Verleiher den Film in der Nachmittagsschiene in ein paar Kinos unterbringt, probiere ich es selber,“ sagt Hartmann. Fünf Monate lang schrieb er Kinos an und verschickte DVDs. 66 Kinobetreiber meldeten sich.

Scharfrichterhaus

Drei Monate lang fährt Hartmann mit seinem Film quer durch Deutschland, von Helgoland bis Passau. Spricht nach der Aufführung mit den Kinobesuchern. Trinkt manchmal zu viel Wein mit den Zuschauern. Erzählt ihnen, dass der Filmtitel ein Spruch seiner Oma war. Denn nie jemand verstand oder hinterfragte. Schläft auf dem Sofa von Freunden, in Gästezimmern von Verwandten oder in anonymen Hotelzimmern. In Orten, die kaum jemand kennt. Wie in Alpirsbach, wo im ehemaligen Speisesaal des Klosters jetzt Filme gezeigt werden. Er reist mit dem Zug nach Passau, wo im ehemaligen Scharfrichterhaus jetzt ein Arthousekino kleine Produktionen zeigt. Am Wochenende fährt er nach Hamburg, zum Wäsche waschen.

Chronophobie

Filmstil aus Philipp Hartmanns Film: „Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe“
Screenshot: „Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe“

Philipp Hartmann fühlte, dass sein Leben rast und trotzdem still steht. Ein Arzt hätte vielleicht gesagt, dass er an Chronophobie leidet: Der Angst vor dem schnellen Vergehen der Zeit. Als Heilung verschrieb er sich, einen Film über die Zeit zu machen.

2010 erlebte er die statistische Mitte seines Lebens: Ein 1972 geborener männlicher Deutscher: Achtunddreißigeinviertel Jahre von sechsundsiebzigeinhalb Jahren. Sein erster Kinofilm dauert 76,5 Minuten: jede Minute ein Lebensjahr.

„Ich machte mir Gedanken, wie man begrenzte Lebenszeit sinnvoll befüllen kann,“ sagt er. Die ewige Frage, wo der Sinn des Lebens sei, hatte ihn eingeholt. Als Lösungsansatz drehte er den Film. „Eine Art Selbsttherapie,“ sagt er. Fünf Jahre arbeitete er intensiv daran. „Ich wurde ein bisschen Herr meiner Zeit.“ Anhalten konnte er sie nicht, aber mit konzentrierter Sinnsuche füllen.

Zeitmaschine

Philipp Hartmann baut eine Zeitmaschine
Screenshot: „Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe“
Die Zeitmaschine

Er baut für den Film eine Zeitmaschine aus Kerzenständern, Radkränzen, Kabelbindern und einem alten Traktor. Erzählt die Geschichte des Anarchisten, der anstatt das Royal Observatory in Greenwich Park, „dem Zuhause der Zeit“ versehentlich sich selbst in die Luft sprengte. Er scheiterte daran die „Anglisierung“ der Zeit aufzuhalten.

Hartmann erinnert sich an vergangene Zeiten: als er zwischen den Fußballsaisonen die Geburtstage der Spieler auswendig lernte, an die letzten Tage mit seinem früh verstorbenen Vater. An den Grund seiner Geburt: Der Großvater war gestorben und Hartmanns Eltern fuhren zur Oma. Die Mutter hatte die Pille vergessen. Philipp wurde gezeugt.

Roadmovie

Es ist ein sehr persönlicher Film, ein Herzensanliegen. Viele Besucher finden sich im Film wieder. In den poetischen Ansätzen Zeit zu erklären, in den autobiographischen Elementen von der ersten Liebe und dem Auftauchen von verschwundenen Erinnerungen, in der Angst, die Lebenszeit nicht gut genutzt zu haben.

Der Film ist keine Großproduktion. Gedreht mit wenig Budget. „Ich wollte keine Produktionsfirma dabei haben, die hätten mir zwar einen komfortablen Geldpolster gegeben, aber sie hätte mir auch drein geredet. Das wollte ich nicht.“ Nur von der Filmförderung in Hamburg und von der Bundesfilmförderung bekam er etwas Geld. Der Film entstand mit Hilfe von Freunden, die zum Teil unter dem Tarifniveau arbeiteten und viel Selbstausbeutung. Würde er seinen eigenen Stundenlohn errechnen, läge er etwa bei einem Euro. Auch als Filmreisender verdient er kaum etwas. „Eigentlich ist es ruinös.“ Aber sonst wäre der Film wohl kaum 66 mal in der Hauptschiene gelaufen. „Und was man auf einer solchen Tour zurück bekommt, ist ohnehin nicht mit Geld aufzuwiegen.“

Ab Mitte Jänner 2015 reist Hartmann wieder mit seinem Film durch Deutschland und gastiert am 17. und 18. März 2016 in [Österreich](http://www.kinoki.at/). Er plant, aus seinen Reiseabenteuern einen essayistischen Roadmovie zu machen.

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