Der Wiener Philosoph und Essayist Franz Schuh hält Nachschau über das Wien der 1960er-Jahre, einer Zeit, als „Männer mit grauen Mänteln, inspiriert vom grauen Wetter, der Architektur und der Lebensaussichten, alles Widerständige und Unerwartete“ misstrauisch mustern. Er liest einen Text über die Wiener Aktionist_innen: Otto Mühl, Hermann Nitsch, Peter Weibel, Günter Brus und Oswald Wiener. Der Zeit entsprechend erwähnt er nur eine Frau. Als die Aktionisten die Medien- und Perfomancekünstlerin Valie Export fragten, ob sie an der Aktion „Kunst und Revolution“ in der Universität Wien teilnehmen wolle, sagte sie mit den Worten: „Spinnst du, ich hab ein Kind“ ab. Unerwähnt lässt Schuh, dass Mühl 1991 zu sieben Jahren Haft wegen Kindesmissbrauch und Verstoßes gegen das Suchtgiftgesetz verurteilt wird. Dafür spricht er ausführlich über die „Uniferkelei“. Im Juni 1968 verstören die Künstler die Österreicher_innen: sie peitschen sich aus, verstümmeln sich selbst, masturbieren, verschmieren eigenen Exkremente auf ihren nackten Körpern und singen dabei die österreichische Bundeshymne ab. 300 Menschen schauen zu.
Die Presse berichtet und die Staatsanwaltschaft leitet Ermittlungen ein. Heinrich Gross, der ehemalige Stationsarzt der „Reichsausschuß-Abteilung“ an der Wiener „Euthanasie“-Klinik, soll den „neuen unerwarteten Aufruhr“ für das Gericht begutachten. Er, der am Spiegelgrund während der NS-Zeit behinderte Kinder für Forschungszwecke missbraucht und an derer Ermordung beteiligt gewesen war. Gross schreibt in seinem Bericht, dass die Künstler „nicht sinnesverwirrt“ sind und an „keiner Geistesschwäche leiden“. Die Künstler werden angeklagt. Der Richter sieht in der Aktion einen „Tiefschlag für das Ansehen Österreichs“ und „eine Herabsetzung der menschlichen Würde“. Er spricht Wiener frei, verurteilt Brus zu sechs Monaten und Mühl zu vier Wochen Haft.
Die Prozession
Die Clownin Maren Rahmann und ein goldenes Klo führen die Prozession zur "Wider"-Eröffnung des "Skandalkellers" - vom Aktionsradius am Gaußplatz bis zur Perinetgasse - an. Sie liest das Gutachten über Brus vor. Am Platz stehen in Karton verpackte Männer, die auffordern angemalt zu werden, aus Fenstern spielen Musikant_innen eine Oper. Schließlich erreicht die Prozession den Kellereingang.
Ein gelbes Schild warnt: „Achtung, Erregung öffentlichen Ärgernisses – Betreten auf eigene Gefahr“. Es hängt über der Blechtür zum legendären Perinet-Keller.
Nichts erinnert mehr an die Aktion „Blutorgel“ im Jahr 1962. Als sich Otto Mühl, Hermann Nitsch und Adolf Frohner in dem Gewölbe einmauerten (es gab einen Hinterausgang ins Stiegenhaus). Drei Tage lang „feierten“ sie Exerzitien. Nitsch verwendete erstmals Blut als Malfarbe. Sie aßen, schliefen und wuschen sich nicht. Die Radikalperfomance gegen "die repressiven gesellschaftlichen Zustände", endete mit „der feierlichen Ausmauerung“. Kein Zeichen mehr davon, wie die Polizei 300 Besucher_innen vor „Fenstersturz einer Küchenkredenz beschütze".
Bis 1970 fanden immer wieder Happenings statt. Danach nutzt in den 2000er-Jahren die Künstlerin Nicole Prutsch das Gemäuer. Sie versetzt den Keller in den Urzustand zurück. Übrig blieb nur ein Haufen Schutt, deren Steinchen und Staub die jetzigen Bespieler_innen in winzige Kunstharzquadrate einschweißten und zum Verkauf anbieten.
Der ehemalige Mühl-Keller steht ab sofort freien Künstler_innen zur Verfügung. Clubmitglied kann jeder werden, der die steilen Stufen in den Keller hinunter schafft. Diese brauchen allerdings eine gute Blase: weil das goldene Klo, dass die Prozession anführte und die "Wider"-Eröffnung beendete, konnte nicht versteigert werden. Es fand keinen Käufer und so bleibt der Keller bis auf weiteres ohne WC. Dafür versprechen aber die künftigen Aktionen Anarchismus und Widerstand gegen den gängigen Kunstbetrieb.