Es sei unzumutbar, dass jeder und jede „österreichische klassenbewusste Arbeiter_in“ pro Jahr 40 Bücher lesen solle, sagte der Pädagoge Alois Jalkotzy im Jahr 1930 und forderte, dass „unsere (die sozialdemokratische) Presse“ dringend rationalisiert werden müsse. Alleine im Jahr 1928 erschienen 360 Tageszeitungen, 280 Wochenblätter, 161 Monatsschriften, 44 diverse Blätter und 52 Gewerkschaftszeitungen - Gedruckt auf sechs Milliarden DIN-A6-Seiten füllten diese etwa 620 Eisenbahnwaggons.
Neben den Tageszeitungen – etwa der „Arbeiter-Zeitung“ und „Das Kleine Blatt“ - erschienen regelmäßig Zeitungen und Zeitschriften für Funktionär_innen,die fast alle Interessen und Zielgruppen abdeckten: Frauen lasen „Die Unzufriedene“ und „Die Frau“, Kinder das „Kinderland“ und Sportler_innen „Der Wassersport“ oder „Der Arbeiterfischer“. Alle diesen gedruckten „Meinungsfabriken“ war gemein, dass sie nicht nur über Tagesneuigkeiten oder Vereinsgeschehen berichteten, sondern auch ein Propagandainstrument waren. Ein Werkzeug der Organisation. Arbeiter_innen sollten sich „emporlesen“ können. Es war auch ein Kampfmittel gegen die „Ausbeuterklasse“ und gegen den „Unverstand der Massen“. Ein Versuch aus einfachen Leuten, selbstständig denkende und handelnde Menschen zu machen.
Zeitungsstempel, Kautionspflicht und Zensur
Der Sozialdemokrat, Die Frau, Der Mieter, Die Unzufriedene, Der Naturfreund, Für Haushalt und Heim, Kinderland, Schutzbund, Die Flamme (Verein des Feuerbestattungsvereins), Der Kuckuck, Der Freidenker, der Kleingärtner und Siedler, der Invalide, der Wassersport, die Arbeitersänger-Zeitung, der Vertrauensmann, der Kampf, der Abstinent, Alpinepost, Bildungsarbeit, Arbeiter-Schachzeitung, der Arbeiterfischer, die Arbeitertrachtler, freie Genossenschafter und Arbeiter Rad- und Kraftfahrer und die Gewerkschaft (Organ der Gewerkschaftskommission Österreichs) samt Zeitungen der jeweiligen Gewerkschaften: Freie Schuhmacher-Zeitung, Der Lebensmittelarbeiter, der Metallarbeiter, 26 Millionen Stück pro Jahr durch die Gewerkschaftspresse.
Die Unzufriedene
In der kurzen Zeit der Pressefreiheit zwischen Kriegsende 1918 und Beginn der Kanzlerdiktatur 1933 publizierten die Sozialdemokrat_innen weiterhin bereits bestehend aber auch neue Zeitschriften und Zeitungen. Für Frauen erschien die „unabhängige“ Wochenschrift „Die Unzufriedene“, die sich auch an nicht politisierte Frauen wandte. Der Titel war Programm: „Da der Ruf der 'Unzufriedenen' an alle Unzufriedenen geht, so ergeht er eigentlich an alle Frauen! […] Sind wir nicht noch immer die Unterdrückten? Die Sklavinnen des Mannes, der Fabrik, unserer Arbeit im Geschäft oder zu Hause, Sklavinnen unserer rückständigen Kultur, Sklavinnen unserer unfreien Gesetzgebung?“ Anfang der 1930er Jahren erreichte die Zeitschrift bereits eine Auflage von 150.000 Stück. Neben Modetipps, Rezepten, Fortsetzungsromanen, Gesundheitsratgebern und einem Kummerkasten: „Was sich Frauen von der Seele reden“, propagierten die Macher_innen vor allem ein neues Frauenbild: die sportliche, berufstätige und modern gekleidet Frau.
Der Kuckuck
Die Illustrierte „Der Kuckuck“ erschien erstmals im April 1929. Auch wenn auf den ersten Blick unpolitisch, so transportierten die kurzen Artikel, Fotomontagen und Bilder immer kämpferisches und antifaschistisches Gedankengut. Es lockten Bilder von Revuegirls zum Kauf des Magazins, doch die Geschichte dazu handelte über politisches Kabarett oder mit Fotos von nackten Frauen bebilderte Reiseberichte aus fernen exotischen Ländern entpuppten sich als Kritik an der Kolonialpolitik.
Als Konkurrenzprodukt zur Kronen-Zeitung brachten im März 1927 die Sozialdemokrat_innen „Das Kleine Blatt“ heraus. Die Auflage stieg rasant von 136.000 auf 200.000 im Jahr 1934. Die leicht verständlich geschriebenen Nachrichten, Sportmeldungen und auch Sensationsgeschichten fanden Anklang. Und auch der erste durchgängige Comicstrip in Österreichs Medien: „Tobias Seicherl“ erschien ab 1930. (Wiener_innen bezeichnen schwachbrüstige Kerle als Seicherl“). Der „Erfinder“ der Figur, der Karikaturist Ladislaus Kmoch, zeichnete die Geschichte des „widerlichen Antimarxisten und Hahnenschwanzler“ Tobias Seicherl, der immer „auf die Goschn fiel“ und seinem klugen Hund Struppi, der die Erlebnisse seines Herrchens mit der Stimme der Vernunft kommentierte.
Das Ende
Während er Februarkämpfe 1934 verbot der Kanzlerdiktator Engelbert Dollfuß die freien Gewerkschaften, die Sozialdemokratische Arbeiterpartei und all deren Medien. Eine Vielzahl der sozialdemokratischen Funktionär_innen und Politiker_innen wurden verhaftet und ins Anhaltelager Wöllersdorf gebracht. Um der Langeweile zu entgehen schnitzten sie. Darunter auch einen „Seicherl“, der in der Ausstellung zu sehen ist.
"Presse und Proletariat"
zu sehen im Waschsalon im Karl-Marx-Hof bis 8. April 2018
Donnerstag 13 bis 18 Uhr
Sonntag 12 bis 16 Uhr
Sowie für Gruppen nach Voranmeldung