Livia Ussaro geht auf auf den Strich – als Experiment, ihre Freundin Alberta aus materieller Not. Livia ist Wissenschafterin, Alberta Verkäuferin. Livia wird das Gesicht zerschnitten, Alberta ermordet. Ermittler ist der Arzt Duca Lamberti. Er saß drei Jahre im Gefängnis, hatte seine Approbation verloren, weil er Sterbehilfe geleistet hatte. Nach seiner Entlassung verschafft ihm sein Freund, Kommissar Carrua, einen Job. Lamberti soll einen Trinker heilen. Einen jungen Mann der ganz plötzlich zum Säufer geworden war. Dessen Vater ist verzweifelt, hat alles versucht seinen Sohn vom exzessiven Alkoholkonsum abzubringen, mit Reden und Schlägen. Erfolglos. Lamberti macht sich auf die Suche nach dem Grund und findet zwei Tote, einen Mädchenhändlerring, einen Sadisten, schließlich den Mörder und für sich ein bisschen Seelenfrieden.
Der Autor, Giorgio Scerbanenco, schreibt über seine Krimis „Ich habe wenigstens dort den Luxus der Entscheidungsfreiheit, wen man beseitigen kann, ohne stets nett und freundlich sein zu müssen. Die Bösen werden gefangen, verurteilt und eingesperrt.“
Er macht mit seiner ersten Lamberti-Geschichte den italienischen Krimi salonfähig. Erfindet skurrile Situationen in denen eine nackte Frau und ein homosexueller Fotografen über Schach fachsimpelen. Schreibt über die dunklen Seiten Mailands, abseits von Mode, Mannequins, Prachtstraßen und teuren Restaurants. Übertritt die Grenze zwischen Literatur und Pulp pausenlos und ungeniert. Entgeht der Gefahr einen heldenhaften Ermittler, eine kitschige Geschichte zu erzählen. Schreibt eigentlich in einen Krimi verpackte Sozialgeschichte Mailands in den 1960er Jahren über die Ware Frau, Mädchenhändler und Sadisten.
Das leidige k
Eigentlich hieß der Autor Giorgio Scerbanenco Vladmir Scerbaneko. Er strich das k aus seinem Namen und nutzte seinen zweiten Vornamen um italienischer, kein Fremder mehr zu sein. Sein Vater stammte aus der Ukraine, seine Mutter aus Rom. Er wurde in Kiew geboren. Während der Russischen Revolution erschossen die Roten seinen Vater. Er hatte als Latein- und Geschichtsprofessor Staatsuniform getragen und war so zum Feind geworden. Scerbanenco und seiner Mutter gelang es mit einem Flüchtlingsschiff zurück nach Italien zu reisen. In Rom bei Verwandten Unterschlupf zu finden. Die Mutter erkrankte, er führte hingegen ein unbeschwertes Leben. Er arbeitete, las Bücher und schrieb. Zog mit 18 Jahren nach Mailand, arbeitete als Dreher in einer Weckerfabrik, war dabei der Langsamste, der am meisten Ausschuss produzierte, wechselte zum Roten Kreuz las und schrieb während des Dienstes. Abends studierte er Philosophie: Kant und Hegel. Fand eine Stelle als Buchhalter, machte regelmäßig Fehler, dachte nur ans Schreiben. Er schickte Erzählungen an Zeitschriften und erhielt nur Absagen. Er wurde Reporter und Kummerkastentante für eine Zeitung.
Während des Zweiten Weltkrieges flüchtete er vor den Deutschen in die Schweiz. Mit sich trug er eine Aktentasche, in dem waren maschinengeschriebene Seiten seines neuen Romans. Er kam sich vor wie ein Idiot. Statt Bergschuhen und Windjacke trug er einen Anzug und in der „dämlichen Tasche“ steckte ein „blöder, kitschiger“ Roman. Die Flucht gelang, was aus dem Roman wurde, weiß man nicht. Nach Kriegsende kehrte er aus der Schweiz nach Italien zurück. Er kam mit leeren Händen und ohne Geld in Mailand an. Freunde halfen. Er fand Arbeit, tanzte Boogie und schrieb weiter: für Frauenzeitschriften, unter verschiedenen Pseudonymen Heftchenromane, Liebesgeschichten und Kriminalromane: Insgesamt 60 Romane, mehr als 1.500 Erzählungen. Und schließlich die vier Duca-Lamberti-Krimis: „Das Mädchen aus Mailand“, „Die Verratenen“, „Der lombardische Kurier“ und „Ein pflichtbewusster Mörder.“ Sie machten ihn berühmt. Alle vier erscheinen jetzt bei Folio.
Folio Verlag
Giorgio Scerbanenco
Das Mädchen aus Mailand
Duca Lamberti ermittelt
Originaltitel: Venere privata
Mit einem Nachwort von Giancarlo De Cataldo
Aus dem Italienischen von Christiane Rhein
Klappenbroschur,
255 S., 13,5 x 21 cm
ISBN 978-3-85256-754-9
€ [D/A/I] 18,–