Die Dagewesenen
Meran ist eine Stadt voller Geschichten von Dagewesenen: Arthur Schnitzler traf sich hier mit seiner heimlichen Geliebten, Franz Kafka wollte sein Lungenleiden hier kurieren und der evangelische Pfarrer Johannes Lepsius erholte sich von seinen Strapazen. Er war als Teppichhändler verkleidet durch den Kaukasus gereist, um die Gräueltaten an den Armeniern zu dokumentieren. Die Geliebte Mussolinis, Clara Petacci, wartete in einem Hotel auf den Anruf des Diktators und Otto von Bismarck buhlte vergeblich um die schöne Tochter eines katholischen Badewirtes. Dieser wollte der Verbindung mit dem evangelischen „Stadtfack“ nicht zustimmen.
Entlang des Flusses – der Passer – bauen sich um die Jahrhundertwende Gäste ihre Häuser. Der Architekt Pietro Delugan ist um das 19. Jahrhundert der gefragteste Architekt in Meran. Er plant die Villa Stillfried, das Hotel Savoy, das Palace Hotel, den neuen Trakt des Kurhauses und für sich selbst baut er das Haus Westend als Visitenkarte seiner Kunst. 1983 kauft die Hoteliersfamilie Strohmer das Haus und renoviert es behutsam. So, dass die Holzböden auch heute noch herrlich knarren, dass statt Plastikkarten Bronzeschlüssel mit Pömmelanhängern die hohen Zimmertüren aufsperren, dass Original-Jugendstil-Betten in den Zimmern stehen. Den Flachbildfernsehapparat braucht man nicht, den gegen die Aussicht auf die Promenade kommt kein Programm an. Im liebevoll renovierten Speisesaal wird abends ein sechsgängige Menü serviert und im Garten lässt es sich vergnüglich mit dem Gastgeber tratschen: Darüber, dass der Versuch die Trabrennbahn mit Kamelrennen wieder zu beleben gescheitert ist, wie seine Vorfahren das Hotel in Abazia an Tito verloren haben, wie sie aus einem Bordell das Hotel Europa Splendid machten und wie seine Schwester den Meraner Weihnachtsmarkt gerettet hat. Alexander Strohmer kennt jeden Winkel von Meran, von den Waalwegen über die Forst-Brauerei bis hin zu den Beregnungssystemen, die die Apfelbäume vor Frostschäden bewahren.
Liebeswasser
Die Fama, dass Meran eine Kurstadt ist, beginnt mit Fürstin Mathilde von Schwarzenberg. Sie verbringt mit ihrer kränkelnden Tochter und ihrem Leibarzt Johann Nepomuk Huber einen Erholungsurlaub. Die Tochter gesundet und er schreibt 1837 ein Buch über die Meraner Kuren, „das milde Klima sei heilsam für die Brustkranken, Molke und Trauben gut für die Schwächlichen“. Das Buch verkauft sich gut. Genau zur richtigen Zeit, denn die Stadt ist hoch verschuldet. Der liberale Bürgermeister Valentin Haller erkennt die Chance, gründet das Fremden-Förderungs-Curcomitee und engagiert einen „Vergnügungsarrangeuer“. Dieser wird auf Betreiben des tourismusfeindlichen Stadtpfarrers zweimal des Landes verwiesen. Die Kirche ist besorgt ob der vielen Touristen, sie vermuten, dass „liberale Ideen und sündiges Leben“ in Meran Einzug halten könnten. Vergeblich, die Meraner verdienen gutes Geld mit den Gästen.
Als die Kurkommission 1855 beschließt entlang des Flusses Promenaden anzulegen, protestieren die Frauen. Legten sie doch hier das Leinen zum trocknen in die Sonne und hielten ihre Hühner in kleinen Ställen. Die Kurkommission setzt sich durch, stellt Parkbänke auf und baut Spazierwege. Die Stadt wandelt sich zum Kurzentrum für Tuberkulosekranke. Das trockene Winterklima und Wasserkuren sollen die Heilung vorantreiben. Schließlich, so erzählte man sich, sollte das Heilwasser auch als geheimnisvolles Liebeswasser verwendbar sein oder zumindest für die ewige Jugend sorgen. Heute wird das Heilwasser in der 2005 eröffneten Therme meistens zu Wellnesszwecken genützt.
Kaiserin Sisi
Der endgültige Durchbruch als Kurstadt gelingt, als Kaiserin Sisi sich im Schloss Trauttmansdorff einquartiert. Alle Zeitungen berichten davon. Die Gästezahl verdoppelt sich in wenigen Jahren. Man wollte dort sein, wo die Kaiserin sich aufhält. Waren 1860 noch 766 Gäste in Meran gewesen, so waren es zwanzig Jahre später schon fast 8.000. Adelige, KünstlerInnen und Pavenüs reisten zum „Südbalkon der Monarchie“.
Als jedoch 1882 nachgewiesen wird, dass TBC ansteckend ist und die Kranken besser in geschlossenen Anstalten geheilt werden sollen, drohen dem aufstrebenden Ort die Gäste fern zu bleiben. Die findigen Meraner hören von den „Terrainkuren“ und erkennen sofort deren Potential. Der lokale Kurzarzt Franz Tappeiner spendet 15.000 Gulden für den Bau des nach ihm benannten Weges. Fünf Kilometer lang schlängelt sich der Pfad in Serpentinen den Berg hinauf bis zum Pulverturm und der landesfürstlichen Burg. Sogar eine eigene Art ihn zu beschreiten wird erfunden. Von nun an „leiden“ die Gäste „vergnügt und abgelenkt“. Sie kurieren sich bei Freiluftkuren – ausgiebigen Spaziergängen entlang der Winter-, Sommer- und Gilfpromenade aus. Unterziehen sich Molke- oder Traubenkuren in der Wandelhalle, um von „unregelmäßigen Gallenabsonderungen, Anschoppungen der Leber und Milz“ genauso geheilt zu werden wie von „Augen- und Ohrenleiden“.
Die ersten Reiseführer beschreiben die Sehenswürdigkeiten der Umgebung. Die Berge, die Almen, die Schlösser und Burgen. Schnellzugverbindungen werden eingerichtet, in 54 Stunden reiste man bequem im Zug von Moskau nach Meran. Heute ist Meran eine weltoffene Stadt zwischen Palmen und Berggipfeln, die aber gerne in zahlreichen Museen an ihre Geschichte erinnert.
Matteo Thun'scher Gucker
Von Meran aus führt der Sisiweg bis zum Schloss Trauttmansdorff. Ausgehend vom neoklassizistischen Kurhaus durch den Kaiserin-Elisabeth-Park samt der 1903 errichteten und zweimal enthaupteten Sisi-Statue - 1925 und 1927 von italienischen Faschisten abgeschlagen: ein Kopf ist im Schloss Trauttmansdorff, der Andere im Stadtmuseum im Palais Mamming - über die Theodor-Christomannos-Straße - benannt nach dem Mann, der die Dolomiten für die Touristen erschlossen hat und dessen Cousin einer von Kaiserin Sisis Vorleser war; vorbei am Schloss Pienzenau, wo Sisis 27 Pferde untergestellt waren bis zum hin Schloss Trauttmansdorff und dem darin untergebrachten Touriseums. Am Eingang erwartet die BesucherInnen selbstverständlich Kaiserin Sisi. Ihr sind drei Zimmer im Museum gewidmet. Dort steht auch eine Torte, von der sie im September 1897 beim Sonnenwirt ein schmales Stück gegessen haben soll. Die Wirtin hütete den Tortenrest wie eine Relique und so ist sie heute – wenn auch steinhart – noch erhalten.
Zweihundert Jahre Tourismusgeschichte werden im Schloss Trauttmansdorff kritisch beleuchtet, aber auch launig erzählt. Davon, wie die Tiroler ihr altes „Gerümpel“ als Souvenirs verkauften, aber auch wie Generationen von Familien hart gearbeitet haben, es den Gästen so gemütlich und schön wie möglich zu machen. Wie man nachhaltigen Tourismus aufbaut, beweisen die BetrieberInnen des Schlosses selbst. Der zwölf Hektar große botanische Garten ist ein Tourismusmagnet. In 80 Gartenlandschaften gedeiht alles: von Südtiroler Rebsorten über mexikanische Kakteen und Feigen bis hin zu Lavendel und Palmen. Vom „Matteo Thun'schen Gucker“ - einem in den Hügel gebauten Aussichtsturm – schaut die/der Schwindelfreie auf das Etschtal, den Meraner Talkessel und die umliegende Bergwelt. In der „Botanischen Unterwelt“ empfängt der dreiköpfige Höllenhund Kerberos die Mutigen am Eingang zu einem 200 Meter langen Erlebnisparcours.
Mumien, Schreibmaschinen und Saltner
Der Besuch im Stadtmuseum Palais Mamming würde fast sieben Stunden dauern, schenkte man jedem Exponat dreißig Sekunden Aufmerksamkeit. Eine eher ungenaue Angabe, denn es gibt viele Geschichten zu erzählen, die wesentlich mehr Zeit verdienen: Etwa die von Peter Mitterhofer, der die „Meraner Schreibmaschine“ aus Holz baute und zweimal zu Kaiser Franz Josef nach Wien pilgerte, um ihn um Geld zu bitten. Vom britischen Arzt, der eine Totenmaske von Napoleon anfertigte, die jedoch von Napoleons Leibarzt gestohlen wurde, der Bronzeabgüsse machte, von denen einer auf verschlungenen Wegen in Meran landete. Vom Österreicher Pascha Slatin (eigentlich Rudolf Carl Freiherr von Slatin), der im 19. Jahrhundert Gouverneur und Militärkommandant im Sudan war und seine Sammlung – inklusive Mumie – dem Meraner Museum vermachte. Von der strengen Auswahl unter jungen Männern, die Saltner werden durften: absolute Abstinenz von Alkohol und Frauen waren Voraussetzungen um als Flurwächter Obstwiesen und Weinberge bewachen zu dürfen.
Schloss Tirol
Nach rund eineinhalb Stunden Wanderung sieht man das Schloss Tirol hoch oben auf einem Berg. Erbaut 1100, nach rund 100 Jahren Glanzzeit einfach verlassen und dem Ruin preisgegeben. Heute ist es renoviert. In der Ausstellung des Schloss Tirol wird u.a. mit Gerüchten aufgeräumt. Zeitgenoss_innen von Margarete „Maultasch“ im 14. Jahrhundert sagten ihr nach, sie sei eine Blutsaugerin und männervergewaltigende Kriegerin gewesen, verantwortlich für Erdbeben, Hochwasser und Heuschreckenplagen. Eher stimmt, dass sie eine der ersten emanzipierten Landesfürstinnen gewesen ist, sperrte sie doch ihren gewalttätigen Ehemann einfach aus der Burg aus.
Bei der Renovierung des Schlosses in den letzten Jahrzehnten haben Forscher_innen nicht nur versucht die Rätsel um den Missling Link im Portal oder die geheimnisvolle Brandspuren zu lösen sondern auch versucht herauszufinden warum den Heiligenfiguren in der Kapelle Münzen im Kopf stecken. Artefakte, die sie in den Fundamenten fanden, ist eine kleine Ausstellung gewidmet: mumifizierte Hausratten, Holzfragmente, Gürtelschnallen und auch nach allen Regeln der Wissenschaft beschriebene „Tschigg“ (Zigarettensstummel, 1981-1984 Marke Falk, Tabak, braunes und weißes Papier – Fundort Wirtschaftstrakt).
Im Bergfried wird auf zwanzig Ebenen die wechselvolle Geschichte Südtirols von 1898 bis heute gezeigt. Eine gesäß- und unterschenkelfordernde Geschichtsvermittlung auf 20 Ebenen, die in der k. u. k. Monarchie beginnt über den Faschismus bis hin zur Autonomie und dem heute führt. Mit teils überraschenden Objekten und kitschigen Filmplakaten wird von der Eroberung der Alpen durch die Touristen über die Attentate in den 1960er-Jahren bis hin zu dem – scheinbar unverzichtbaren – Reinhold Messner ziemlich alles erzählt.
Frauenmuseum
Die Österreicherin Evelyn Ortner zieht Ende der 1960er-Jahre nach Meran. Auf einem Flohmarkt entdeckt sie ein perlenbesticktes Täschchen und ihre Sammelleidenschaft für Kleidung und Accessoires beginnt. Ende der 1980er-Jahre eröffnet sie ein kleines Privatmuseum, spannt einen - heute im „großen“ Frauenmuseum noch sichtbaren - Bogen vom „domestizierten Weib über Sexsymbol bis hin zur emanzipierten Frau“. Mit Kopftüchern, Schürzen, Kleidern aus Uniformjacken und Fallschirmseide, bauschigen Röcken, großen Hüten, ausgestopften Büstenhalter, Caprihosen und Hot-Pants wird nicht nur Modegeschichte erzählt, sondern auch von den Schicksalen der Trümmerfrauen der Nachkriegszeit, der Befreiung von Verhaltensvorschriften in den 1968er-Jahren und der Emanzipation.
Verführungen
In Meran stehen Palmen vor hohen Bergen, trifft deftige Tiroler auf leichte italienische Küche, verführen Museen zu Einsichten in das Leben der Dagewesenen und Türme zu Aussichten in die Täler. Hoteliers, wie Alexander Strohmer des Hotel Westend verleiten zur Verlängerung des Urlaubs, legen sie doch dem sechsgängigen Menü eine hauseigene Zeitung bei - gespickt mit Ausflugsmöglichkeiten, Ermässigungskarten für den Thermeneintritt und Rabatte in Geschäften.
Hotel Westend
Speckbacherstraße 9
39012 Meran
Zimmer mit Frühstück ab 50,00 Euro pro Nacht