Milina Cërnova ist altklug und sehr zickig. Keiner der männlichen „Vampire“ wagt es, sich gegen sie aufzulehnen. Sie folgen ihren Anweisungen und erfüllen ihr jeden Wunsch. Sie macht es den Männern nicht leicht, sie zufrieden zu stellen. Viele Regeln gilt es im Umgang mit ihr zu beachten. Man darf sie nicht berühren und vor allem darf man ihr nicht widersprechen. „Aber leider ist das nur eine Parodie von meinem Ich“, sagt die junge Forschungsassistentin und lacht. „Im wahren Leben bin ich immer brav und nett.“ Seit mehr als fünf Jahren spielt Melanie Gau den Charakter der Vampirin Milina Cërnova beim Life-Rollenspiel „The Masquerade“ in Wien.
Drachenbund
Die Wiener Dependance des weltweit gespielten Vampir-Rollen-Spieles gründete Alexander Schuller 1997. Nur wenige Jahre davor hatte die Firma White Wolf das Spiel auf den Markt gebracht. Seither wird es beinahe stündlich weiterentwickelt. Rund eine 10.000 Rollenspieler verwandeln sich regelmäßig in Vampire. Sie zählen sich zu Clans, die verschiedene Eigenschaften und eigene Kleiderregeln haben, Intrigen spinnen, aber alle gegen einen gemeinsamen Feind kämpfen.
In Wien gibt es sieben Clans. Deren größter Feind ist der Drachenbund, in dem sich alte mächtige Vampire zusammengeschlossen haben, um Wien zu erobern. Das gilt es zu verhindern. Ein stetiger Mahner ist ein Servicetechniker, der in die Rolle des Feldmarschall Christof von Stoffen schlüpft. Er warnt die Mitspieler seit 12 Jahren vor Werwölfen, die im Auftrag des Drachenbundes in Wien Vampire ausspionieren.
Anatol Schnitzler
Seit 1994 spielt Schuller „Masquerade“, 1997 begann er die Wiener Chronik zu entwickeln. Er spielt den Vampir Alexander von Seichenfels vom Wiener Clan Tremere. Sie beherrschen die Blutmagie. Mit dem Blut der Vampire als Werkzeug enträtselt der Clan der Tremere die Geheimnisse der Welt.
In unregelmäßigen Abständen erhalten die rund 40 Mitspieler per SMS Einladungen zu Treffen. So auch der Sonderschullehrer Benedict Breckner. Mit viel Aufwand verwandelt er sich seit 12 Jahren in einen Vampir namens „Anatol Schnitzler“. Um seine Rolle möglichst perfekt zu spielen, hat er sich selbst Kurrent schreiben und lesen beigebracht. Er nutzt es als seine Geheimschrift. „Ich will eine großbürgerliche Existenz um die Jahrhundertwende darstellen“, erzählt er. Und es gelingt ihm gut.
Blutknappheit
Dienstagnacht treffen sich die „Vampire“ in einem Gewölbe am Schwarzenbergplatz. Kein Raum könnte besser geeignet sein, um die Blutsauger um den “ersten” Wiener Vampir Johann von Habsburg zu versammeln. Laut Storyboard wohnt Chef der Wiener Vampire in Schönbrunn. Sein Charakter beruht auf der realhistorischen Figur Johann von Habsburg, besser bekannt als Johann Parricida „Der Vatermörder“. Er ermordete 1308 seinen Vater Kaiser Albrecht I in der Schweiz und floh, zuerst nach Wien und dann nach Pisa. Dort verlieren sich seine Spuren. Im Spiel hatte er allerdings einen mächtigen Sympathisanten, der saugte Parricida das gesamte Blut aus den Venen, danach befüllte er sie wieder mit Vampirblut. Seither ist Johann von Habsburg Wiens Vampirchef.
Die Rolle des Vampirchefs Wien wird von Robert Haberzeth gespielt. Die Figur ist ein sogenannter NSC (Nicht_Spieler_Charakter) der direkt von Schuller vor jedem "Auftritt" gebrieft wird. Den solche mächtige Charaktere werden nicht in Spielerhand gelegt sondern direkt von der Spielleitung geführt.
Johann von Habsburg steht ein mächtiger Vampir und Magier zur Seite: Etrius. Er erkannte auch die Blutknappheit in Wien und um das Auffliegen von Vampiren zu verhindern legte er einen Zauberspruch über die Stadt: Bestellt ein Vampir im Kaffeehaus eine Melange, verwandelt sich diese in Blut sobald die Vampirlippen den Kaffee berühren.
„Verhüllungsjournalistin“
Ich darf auch mitspielen. Mein Name ist Lisa Maria Schröder. Laut Storyboard wurde ich 1976 zur Vampirin und lebe in Baden bei Wien. Ich bin „Verhüllungsjournalistin“. Trotz der strengen Spielregel Jagdverbot auf Menschen passiert es immer wieder, dass ein Vampir doch zubeißt, anstatt sich das Blut von der Blutbank zu holen. „Warum sollen sie an Hälsen herum beißen?“ fragt Schuller. Aber dennoch lässt sich so mancher Vampir nicht den besonderen Genuss von frischem Blut aus dem Hals einer schönen Frau entgehen. „Aber das passiert nur im Geheimen“, erklärt er augenzwinkernd.
Meine Rolle ist es, in diesen Fällen durch gezielte Falschinformationen sicherzustellen, dass der Vampir nicht als Täter überführt wird. Die Journalisten-Vampirin sucht im Leben etwaiger Zeugen und des Opfers nach dunklen Geheimnissen. Sie boykottiert die Untersuchungen der Polizei, verbreitet Gerüchte und nutzt die Medien, um die Zeugen, das Opfer und die Ermittlungsergebnisse der Kommissare unglaubwürdig zu machen. Ich mach meinen Job gut, oder haben Sie schon einmal von einem Vampir als Täter in der Zeitung gelesen?