Paddeln am Gardasee ist eine Herausforderung. Fast 50 verschiedene Winde blasen aus allen Richtungen, oft ganz plötzlich mit bis zu 20 Metern pro Sekunde und machen aus dem ruhigen See ein Wellenlabyrinth. Wind-APPs sind mehr Zierde am Handydisplay als verlässliche Vorhersager. Bleibt nur der Blick auf den See, in den Himmel und ein Plausch mit Erik und Elenore im Eviva Sport Lakeshop. Die beiden supen, kitesurfen und paragliden und sind somit Windexpert_in.
Generell gilt für den Gardasee, je mehr Surfer_innen und Segelboote unterwegs sind, umso härter wird der Paddeltag. Sozusagen als Nebenherausforderung kommen noch Motorboote und die Fähren zwischen Malcesine und Limone dazu. Sie verkehren beinahe minütlich und Bugwellen klatschen gegen Windwellen, was zu manch ungewollter Abkühlungen im See führt.
Der Pelèr weht zwischen zwei Uhr morgens und Mittags von Norden nach Süden, so stark, dass er die Kämme der Wellen bricht. Die Ora löst den Wellenknacker gegen zwölf Uhr ab und bläst von Süden nach Norden, fällt aber manchmal aus oder hält sich vor allem nicht an Uhrzeiten. Dann gibt es noch den Ponal, der bringt schlechtes Wetter, die Vinessa, die von der Bora in Triest ausgelöst wird und bis zu vier Tage ununterbrochen bläst. Dazu kommen noch plötzliche Schwankungen im See, Gezeiten genannt die Sesse. Alles gut für Kitesurfer_innen, Windsurfer_innen und Segler_innen, jedoch abenteuerlich für Stand-up-Paddler_innen. Aber wir mögen Abenteuer, sonst hätten wir nichts von einem (angeblichen) Seeungeheuer gehört, keinen Weltrekordversuch gestartet und wären auch nicht fast abgesoffen.
Malcesine nach Limone Sul Garda - quer über den Gardasee
An den Uferpromenaden rechts und links vom Stadtkern Malcesines gibt es unzählige Einstiegsmöglichkeiten, aber keinen Stromanschluss für Pumpen. Also ist Handarbeit angesagt, Aufwärmtraining halt. Und, außer man bucht ein Hotel direkt am Strand, müssen die Boards täglich aufgeblasen und ausgelassen, über steile Wege durch den Ort zur Unterkunft getragen werden. Ein Nach-work-out sozusagen.
Der Blick auf die Scaligerburg entschädigt die Mühe. Gebaut von den Langobarden, zerstört von den Franken, aufgebaut unter Karl dem Großen fiel sie im Jahr 1277 an die Scaliger. Ein Geschlecht, dass nicht nur Hundenamen wie Mastino als Vornamen trug oder sich Cansignorio, Canfrancesco, Cangrande nannte, sondern sich untereinander so lange gegenseitig umbrachten, bis keiner mehr übrig war. Die Burg ging danach an die Viscontis, dann an die Republik Venedig, wurde von den Franzosen besetzt, fiel ans Kaisertum Österreich und ist seit 1866 italienisch. Berühmt geworden ist sie jedoch durch Johann Wolfgang von Goethe. Der Dichter war ein Opfer der unberechenbaren Winde und statt in Richtung Verona zu segeln, wurde sein Boot nach Malcesine getrieben. Es genügte ein Tag und eine seiner Zeichnungen um den Ort vom Fischerdorf zum Urlaubsort zu machen. Eine Gedenktafel erinnert an den Hauseingang von dem aus er das Burgtor zeichnete, Geschichten daran, dass die örtlichen Behörden ihm misstrauten und wegen vermeintlicher Spionage beinahe verhafteten, eine Ausstellung in der Burg an seinen Aufenthalt.
Der Blick auf die Burg verliert seine Attraktivität als zwei Fähren uns in die Zange nehmen. Eine Wellenkakophonie führt zum Bad im See. Nach rund fünf Kilometern quer über den See lockt am Westufer, in Limone Sul Garda eine Bar. Für die Boards gibt es genügend Möglichkeiten angekettet zu werden, für uns Paninis und Eistee. Ein Gitarrist singt spanische Liebeslieder, am See schaukeln Segelboot und in uns ein wohliges Gefühl.
Limone Sul Garda
Der Blick auf die Burg verliert seine Attraktivität als zwei Fähren uns in die Zange nehmen. Eine Wellenkakophonie führt zum Bad im See.
Nach rund fünf Kilometern quer über den See lockt am Westufer, in Limone Sul Garda eine Bar. Für die Boards gibt es genügend Möglichkeiten angekettet zu werden, für uns Paninis und Eistee. Ein Gitarrist singt spanische Liebeslieder, am See schaukeln Segelboot und in uns ein wohliges Gefühl.
Vom Gardasee aus betrachtet, ist Limone hässlich. Echte und vermeintliche Bausünden kleben am Hang. Erstere verschwinden beim Spaziergang durch die verwinkelten Gassen aus dem Blickwinkel, zweitere stellen sich bei näherer Betrachtung als ehemalige Zitronengärten heraus.
Limone wird seinem Namen gerecht, es ist zitronig. In den Läden werden Zitronenmarmelade in Tuben, Zitronenhautcremen und Zitronenlikör verkauft, die Straßenschilder sind von Zitronen umrankt und ganz oben im Dorf wird im Zitronengewächshaus die Geschichte der Zitrusfrüchte in Limone erzählt. Zuerst Quell des örtlichen Reichtums, machte eine Krankheit (1855), die Einigung Italiens und die damit verbundene Aufhebung des Zolls (1861), die industrielle Herstellung von Zitronensäure und ein außergewöhnlich strenger Winter (1928-1929) dem Anbau ein Ende. Die Betonsteher im Ort sind keine Bauruinen ruinierter Investoren, sondern die Reste der Gewächshäuser zwischen denen heute Urlauber_innen relaxen.
Von Limone aus paddeln wir wieder zurück nach Malcesine, man hätte auch eine der Fähren nehmen können. Aber wir lassen uns lieber von deren Bugwellen aufschaukeln und von einem langen schwarzen Etwas verwundern. Ein Ast oder doch ein Seeungeheuer?
Seeungeheuer oder Ast?
Schon der ZDF hat gefragt, gibt es ein Monster im Gardasee?
Das Mitglied der Vereinigung CICAP die paranormale und pseudowissenschaftliche Phänomene widerlegt und Forschungstaucher Angelo Modina findet nicht nur versunkene Flugzeuge, sondern auch etwas „dass seinen Atem stocken lässt.“ Ein mysteriöses Gebilde, ein schlangenartiges, acht Meter langes Wesen. Dazu die üblichen verschwommenen Bilder und Zeitungsartikel voller Konjunktive. Gefunden hat er es nicht.
Berichte über Seeungeheuer gibt es bereits im 16. Jahrhundert, ein Taucher soll fast vor „Schreck gestorben sein“ als er vor der Isola di Garda ein „maßlos große Ungeheuer“ gesehen haben will. Malcesine soll nach der Seejungfrau Melsioine benannt worden sein, wahrscheinlicher ist jedoch, dass der Dorfname „stark befestigter Ort“ bedeutet. Ein 40 Zentimeter langes kurioses Seemonster: Kopf einer Katze, Rückmähne und spitzer Schwanz - soll in einer Glaskugel vom Dach der Kirche Santa Maria die Campiglio gehangen sein. 1897 soll in Campiglio ein Drachen-Ei ausgestellt worden sein. Im Jahr 1965 sorgte ein zehn Meter langes „Krokodilmonster“ bei Garda für Aufregung, 1990 wollen zwei Studenten bei Lazise von einem Monsterwels angegriffen worden sein. Zu all den Ungeheuergeschichten gesellen sich noch rund ein Dutzend Ufosichtungen und die Legende um den Fisch Carpione – einer Forellenart, die nur am Gardasee vorkommt. Sie handelt vom Gott Saturn, der diebische goldgierige Fischer in Fische verwandelte, sie dazu verdammte am Seegrund nach Gold zu suchen. Den Fisch gibt es wirklich, aber statt Gold wird im See nur Munition und Bomben geborgen. Auf der Isola del Trimelone war 1954 ein Munitionslager explodiert und seither ist die Insel Sperrgebiet.
Ist das Seeungeheuer ein Ast? Oder doch ein Stör. Der bis 100 Jahre alt werden kann und der längste Süßwasserfisch der Welt ist. Allerdings gilt er seit den 1960er Jahren in Italien als ausgestorben.
Malcesine – Cassone
Am Morgen, kaum Segelschiffe, keine Kitesurfer. Dem Weltrekordversuch, den kürzesten Fluss der Welt als erste Stand-up-Paddler_in entlang zu fahren, steht nichts im Wege. Avil heißt er und ist nur 175 lang und fließt durch den Ort Cassone. Wäre da nicht Google. Gefragt nach dem kürzesten Fluss der Welt, listet die Suchmaschine den 36,5 Meter langen Roe River im US-Bundesstaat Montana, den 27 Meter langen Reprua in Abchasien am Schwarzen Meer und den 20 Meter langen Fluss Tamborasi in Indonesien auf. Es sollte nicht das einzige Hindernis zum Weltrekord bleiben.
Der Plan war, mit dem Pelèr im Rücken die vier Kilometer nach Cassone und mit der Ora wieder zurück nach Malcesine zu paddeln. Der italienische Windgott Eolo erlaubte sich einen Scherz und dreht kurzerhand die Winde um. Schlecht für eine gemütliche Paddeltour, gut für die Muskeln. Am Weg nach Cassone liegt eine der fünf Inseln des Gardasees, die unbewohnte und paddlerunfreundliche Isola degli Olivi. Schroffe Steine umranden die Insel, davor liegt eine Boje an der man die Boards festmachen könnte, wären nicht schon Motorboote angebunden. Ein paar Paddelschläge später, öffnet sich die Bucht Val die Sogno: ruhiges Wasser und Segellehrlinge in kleinen Nussschalen mit gelben Segeln.
Im Cassone ist eine gute Anlegestelle vor dem Restaurant Al Vogaór. Im Lokal servieren die Wirtsleute herrlichen geräucherten Schwertfisch und Tortellini. In der Aussicht steht eine Bronzestatue, die nackte Badende, mit blank polierten Busen. Die Wirtin verneint unsere Frage, ob es Glück bringe auf den Busen der Statue zu greifen.
In Cassone liegt am kleinen Hafen das Museo Lago die Garda, leicht zu erkennen an den beiden großen Seesternen. Zu sehen gibt es Fischereiwerkzeuge, Segelboote gezeigt und Geschichten erzählt.
Dann der Avil.
Schon bei der Besichtigung ist klar, dass der Weltrekordversuch gescheitert ist. Er entspringt in der Ortsmitte, bildet einen großen Pool und fließt über einen Wasserfall in Richtung See. Aber wenigstens ein Foto wollen wir in der Flußmündung machen. Unter einer blumengeschmückten Steinbrücke fließt der Avil in den See. Aber unter der Brücke ist ein Abwasserrohr und versperrt die Einfahrt. Also kein Foto und keine Ora im Rücken.
Torbole Nago bis Navene
In Torbole versperren Windsurfer_innen die Aussicht auf den südlichen Teil des Sees. Sie fliegen nicht über den See, sondern stehen. Es weht kein Wind, kein Pelèr. Der See ist spiegelglatt, samtig, grün. Entlang von steilen Berghängen, in den Fels gegrabenen Straßen und ohne jegliche Anlegemöglichkeiten paddeln wir die zehn Kilometer bis Navene. Kein Motorboote, keine Fähren schlagen Wellen. Kein böiger Pelèr im Rücken, keine launenhafte Ora im Gesicht. Das ändert sich am frühen Nachmittag bei Navene. Plötzlich wehen Winde aus allen Richtungen, peitschen den See. Wir legen an, schlagen das Angebot für 60 Euro Kitesurfen zu lernen aus und fahren mit dem Bus zurück nach Malcesine.
Malcesine bis Campione del Garda
Campione del Garda liegt nur fünf Kilometer von Malcesine entfernt. Eine gute Stunde paddeln, ein Snack, ein Spaziergang und wieder zurück. Das ist der Plan, der Wettergott Neptun hat einen anderen. Wir hätten gewarnt sein können. Hinter Campione steigt eine schroffe Felswand auf vor dem Ort ist ein dichter Segelwald: Kitesurfer_innen, Windsurfer_innen und Segler_innen. Aber die Sonne scheint, der See ist ruhig und die Winde machen vor Malcesine Mittagspause – aber nicht auf dem See.
Das Dorf Campione am Sturzbach San Michele samt ehemaliger Baumwollweberei mit rund 600 Beschäftigten und einem Arbeiterdorf inklusive Kino, Kindergarten und Orchester mit 20 Mann versinkt immer wieder hinter Wellen. Das Dorf selbst ist in Spekulationen versunken. 1989 an Investoren verkauft und immer wieder weiterverkauft. Einkaufszentrum, Schönheitsfarm, Seilbahn zu noch zu bauenden Golfplätzen und Luxushotels geplant. Im Juli 2013 wegen Vorwürfen des Amtsmissbrauchs, Bestechung und illegaler Grundstückvergabe vom Staat beschlagnahmt und wieder freigegeben. Geblieben ist ein Segelstützpunkt statt des Campingplatzes und dass 50 Prozent des Seeufers nicht mehr öffentlich zugänglich sind, ein von 15.000 m³ herabgestürzten Gesteins zerstörtes Parkhaus und ein insolventer Projektentwickler.
Hinter den Bergen ziehen schwarze Wolken auf, es donnert, eine Segelregatta geht weiter und die Kitesurfer_innen bleiben am Wasser. „Die müssen es wissen,“ sagen wir und machen uns wieder auf den Weg nach Malcesine, durch hohe Wellen, starken Wind und Gewittergrollen im Rücken.
Total irrsinnig.
Die Kitesurfer_innen verschwinden, Motorboote ziehen die Regattateilnehmer_innen nach Campione und wir paddeln dennoch weiter. Nach knapp zwei Stunden sind wir in Malcesine, müde, hungrig, durstig, windgepeitscht, aber dem Gewitter entkommen. Am kleinen Strand unter der Burg legen wir an. Drei junge Männer tuscheln aufgeregt. Nicht wegen uns, sondern ob der Schlangen in der kleinen Höhle neben den Boards. Es sind Zornnattern, die Größte rund einen Meter lang. Nicht giftig aber angriffslustig – daher ihr Name.
Das Gewitter erwischt uns doch noch, wir betrachten es mit schmerzenden Muskeln bei einem Aperol Spritz.
In diesem Sinne, seien die Winde und die Strömungen mit euch.
Infos
Anreise ohne Auto:
Nightjet von Wien nach Pesciera
Bus 483 oder 484 von Pesciera nach Malcesine (Der Bus fährt nicht vom Bahnhof in Pesciera ab. Es sind rund 900 Meter Fußweg bis zur Station Pesciera Centro.)
Boardverleih: Eviva Sport Lakeshop für 30 Euro am Tag, Board inklusive Tasche und Paddle ab 700 Euro.
Weitere Angebote: Kitesurfen, Paragliden und Sportkleidung sowie Ersatzteile. Außerdem Service und Reparaturen.
Via Gardesana 302
37018 Malcesine
Tel.: 0039 0456 570 459