Ich bin eine leidenschaftliche Spaziergängerin, dass war ich allerdings auch schon vor der Corona-Pandemie, nur jetzt hat es eine neue Qualität. Im Wald, auf den Stadtwanderwegen und am Wiener rundumadum-Wanderweg ist einfach zu viel los. Also beschloss ich wieder einmal in die Stadt zu gehen. Aber statt Gebäude und Statuten anzuschauen oder Gedenktafeln zu lesen, suchte ich nach Zeichen der Pandemie in der Stadt. Die Erkenntnis: es ist eine Zettelwirtschaft.
Es war ein sonniger Tag. In den Parks schleppten Menschen Bänke zu den sonnigen Platzerln, breiteten ihr Mittagessen aus und genossen das Spontan-Picknick. In einigen Geschäften wurde eifrig geputzt – soll doch am Montag (8. Februar 2021) der Handel und die Friseure wieder aufmachen dürfen. Auf vielen Eingangstüren hingen Zettel mit der Aufforderung anzurufen, fest an die Tür zu klopfen oder zu läuten falls etwas benötigt wird. Andere hatten kleine Tische vor dem Geschäft stehen und Kund_innen ließen sich von Verkäufer_innen Kleider zeigen und aus einem Friseurladen schlüpfte ein wohl illegal frisch frisierter Mann.
„Corona-Ferien“
Auslagen schauen bekommt eine ganz neue Dimension. Die Geschichte der Pandemie und der Lockdowns ist ablesbar – auch wann, welches Geschäft, welches Restaurant wohl für immer zugemacht hat.
Ein Chinarestaurant hat die Lockdowns nicht überlebt: die letzte Nachricht ist, dass sie im Mai 2020 wieder aufmachen werden. Im Kasten – wo sonst das Wochenmenü eines Beisls hängt – informiert ein Zettel, dass nun Registrierungspflicht aller Gäste gilt. Ein Blick durch die dreckige Fensterscheibe genügt, um zu wissen, dass wohl nie wieder auf dem Wochenmenü Grammelknödel, der Schnitzel-Mittwoch und der traditionelle gebackenen Fisch am Freitag stehen wird. Der Innenraum ist verstaubt, die Sessel stehen auf den Tischen und auf der Theke eine leere Bierflasche aus der der Schimmel wächst.
Zettelwirtschaft
Eine Schneiderei wünscht für die „Corona-Ferien“ Frieden, Glück und Gesundheit. In einem Brötchenladen steht noch ein Lebkuchenhäuschen in der Auslage, vor einem Kaffeehaus verrotten die Gartenstühle und -tische. In einem Schaufenster werden noch die Weihnachts-Einkaufssamstage im Winter 2020 angekündigt. Auf der grauen Tür eines Sexclubs klebt neben Aufforderungen die Tür leise zu schließen und auch leise zu sprechen, die Aufforderung mindestens einen Meter Abstand zu halten. Das Resultat von Sex mit Abstand würde mich schon interessieren, aber es ist niemand da, den ich fragen könnte.
Einige der Mitteilungen sind liebevoll gestaltet, andere mit der Hand geschrieben und einfach unter das „Offen“-Schild geklebt. Ein Theater nimmt die Verschwörungstheorien aufs Korn und plakatiert den abgewandelten Spruch Buddhas „Niemand kann uns beherrschen, wenn wir es nicht wollen.“ Oder: „Keine Macht dem ORF! Keine Macht der gleichgeschalteten Presse!“
Chessus-Burger
Und es gibt auch ganz neue Kreationen in der Gastro. So bietet ein Take-Away im 9. Bezirk den „Chessus-Burger“ an. Ob der aus Hostien gemacht ist, konnte ich nicht eruieren. Ganz aufgegeben hat ein Italiener: seine Tafel auf dem eigentlich das Lockdown-Menü von 11.00 bis 14.00 Uhr angeboten werden sollte, ist leer.
Wohl ein Sinnbild: den viele Läden sind genauso leer wie das Schild. Einige Zettel kündigen an, dass der Laden für immer geschlossen bleiben wird, man danke den langjährigen Kund_innen, aber man habe die Corona-Maßnahmen finanziell nicht überlebt, auf anderen suchen Plakate von Immobilienmaklern schon nach neuen Mieter_innen.
Der Spaziergang war einfach zu deprimierend – also geh ich jetzt wieder in den Wald.