Der Blick in den Postkasten lässt bei manchem Selbstständigen den Atem stocken. Die SVA schickt eine Nachzahlungsaufforderung, der Steuerberater seine Rechnung und die Bank lehnt die Zwischenfinanzierung eines neuen Projektes ab. Viele Einzelunternehmer ächzen unter den Belastungen.
In Oberösterreich haben ein Regionalentwickler, ein Filmemacher, ein Prozessbegleiter, ein Forscher, ein Mechatroniker, eine Mediendesignerin, eine Unternehmensberaterin und eine Jugendbildungsbetreuerin eine Genossenschaft gegründet. Jetzt sind sie angestellt und kreieren neue Dienstleistungsangebote.
Genossenschaften sind ein oft genutztes Unternehmenskonstrukt. Etwa zwei Drittel aller Banken und 42 Prozent aller Wohnungen in Geschoßbauten werden von Genossenschaften verwaltet. Auch die APA und AKM (seit 1897) sind Genossenschaften. Aber es gibt auch kleine Genossenschaften, wie die Brauerei Frastranz, die 1902 von 35 Gastwirten gegründet wurde, das Gerätewerk Matrei, wo 1948 52 Mitarbeiter durch die Gründung einer Produktivgenossenschaft eine Werkschließung verhinderten und die WAG, in der sich behinderte Menschen zusammenschlossen, um ihre Assistenz solidarisch zu organisieren.
Warum sollte man sich also nicht sich zusammen tun und selbstverwaltet, nach demokratischen Prinzipien, mit einer solidarischen Wirtschaftsgesinnung gemeinsam nachhaltige Erfolge in einer Genossenschaft erzielen? Und so den Qualen des Einpersonenunternehmens zu entkommen?
Interview mit Marianne Gugler
OTELO
OTELO (Offenes Technologie Labor) ermöglicht Menschen einen offenen Raum für kreative und technische Aktivitäten und die Möglichkeit in einem geschützten Entwicklungs- und Experimentierraum gemeinsam zu forschen und Projekte in verschiedenen Anwendungsfelder (Technik, Medien und Kunst) miteinander umzusetzen. Abseits von Ballungszentren stellt OTELO in Oberösterreich kostenlose Räume zur Verfügung, in denen Menschen ihre Ideen umsetzen können.
dieZeitschrift: Wie kamen Sie auf die Idee eine Genossenschaft zu gründen?
Marianne Gugler: Ich war jahrelang als Unternehmens- und Organisationsberaterin ein Einpersonenunternehmen. Seit 2012 studiere ich in München Gemeinwesenentwicklung und dort bin ich auf das Thema Genossenschaften gestossen. Es geht um Genossenschaftsgründungen im Zusammenhang mit solidarischer Ökonomie, lokalem und kooperativem Wirtschaften, einer demokratischen Unternehmensform. Ich dachte mir, das ist die Antwort auf das heutige Wirtschaften.
Als Unternehmensberaterin hatte ich das Gefühl, dass die Wirtschaftsbetriebe im globalen Konkurrenzkampf nur noch wenige Möglichkeiten haben zu agieren. Es braucht neue Modelle und neue Betriebe, die regional agieren, in denen man die Entscheidungsträger kennt und ein gutes Vertrauensverhältnis aufbauen kann.
Ich beschloss das Thema während meines Studium zu beforschen. Also machte ich mich auf die Suche nach einer Gruppe, die eine Genossenschaft gründen will, um herauszufinden, wie funktioniert eine Genossenschaftsgründung in Österreich.
Ich stieß auf Otelo und wir machten ein Tauschgeschäft: Sie wollten wissen wie man eine Genossenschaft gründet und ich wollte den Prozess beobachten. Im Herbst 2012 legten wir los, wobei ich nach kurzer Zeit beschloss, ebenfalls einzusteigen. Seit 01.01.2014 sind wir als Genossenschaft tätig.
Beschränkte Haftung
dieZeitschrift: Was zeichnet eine Genossenschaft aus?
Marianne Gugler: Eine Genossenschaft ist ein Unternehmensrahmen wie eine Ges.m.b.H, AG oder KG. Das Spezielle ist die offene Mitgliedschaft, d.h. mit Unterzeichnung eines Mitgliedsantrages und Einbezahlung eines Genossenschaftsanteils wird man Mitunternehmer und -eigentümer. Mit Kündigung trete ich wieder aus, bekomme aber nur den einbezahlten Betrag zurück. Es gibt keinen spekulativen Ansatz. Bei der Genossenschaft geht es um die Beständigkeit des Unternehmens und die Förderung der Mitglieder steht im Mittelpunkt.
dieZeitschrift: Kann eine Genossenschaft pleite gehen?
Marianne Gugler: Ja, wie jedes andere Unternehmen auch. Aber es passiert ganz selten. Die Genossenschaften sind auch in Zeiten der Krise viel resistenter. In der Wirtschaftskrise 2008/2009 sind die Genossenschaftsbanken besser ausgestiegen, als alle anderen Banken.
dieZeitschrift: Wer haftet in einer Genossenschaft?
Marianne Gugler: Es ist eine beschränkte Haftung. Die Mitglieder haften maximal mit ihrer doppelten Einlage.
Herausforderungen
dieZeitschrift: Was sind die Voraussetzungen zur Gründung einer Genossenschaft?
Marianne Gugler: Es braucht eine Satzung, einen Wirtschaftsplan und die Mitgliedschaft in einem Revisionsverband. Man legt einem der Verbände sein Konzept vor und der Revisionsverband stimmt darüber ab. In unserem Bereich kamen der Raiffeisenverband und der ÖGV Österreichische Genossenschaftsverband in Frage.
dieZeitschrift: Was waren die größten Herausforderungen bei der Gründung?
Marianne Gugler: Es waren viele interessante Erfahrungen. Man versuchte uns die Gründung auszureden: das sei viel zu kompliziert. Spannend war auch die Entscheidungsfindung bezüglich der Frage, wer überhaupt Mitglied werden darf. Bei uns sind es jene Menschen, die auch ihr Auskommen mit einer Anstellung bei der Genossenschaft haben wollen. Es gilt: ein Kopf. eine Stimme, egal wie viel die Person in die Genossenschaft einbezahlt hat. Zusätzlich können Otelo Vereine bei uns Mitglied werden, damit eine lebendige Beziehung zum gemeinsamen Netzwerk erhalten bleibt.
Anfangs dachten wir uns, dass jeder mitmachen kann: Vereine, Privatpersonen, Einpersonenunternehmen und lokale Betriebe. Die Frage war, würden all diese Mitglieder am gleichen Strang ziehen? Schließlich entschieden wir uns für die Beschäftigtengenossenschaft und für Menschen, die gemeinsam in der Region einen kreativen Unternehmensraum schaffen und wirtschaftlich verwertbare Projekte umsetzen wollen.
Das Ziel ist es, dass Leute eigenständig arbeiten können, das tun können was sie wirklich wollen und dabei gut abgesichert sind. Damit Arbeit als etwas mit dem Leben tief verbundenes erfahren werden kann. Wir verstehen uns als Modell und wir versuchen zu lernen, wie wir mit den diversen Herausforderungen umgehen können.
Keine Alleinkämpfer mehr
dieZeitschrift: Wie viele Mitglieder habt ihr jetzt?
Marianne Gugler: Neun Mitglieder, die auch angestellt sind und zusätzlich noch drei Otelo-Vereine. Die Grundlage ist eine gemeinsame Charta in der unsere Werte niedergeschrieben sind. Wir teilen unser Wissen, agieren demokratisch, unterstützen uns gegenseitig, haben eine Willkommenskultur und wollen Neues in die Gesellschaft bringen.
dieZeitschrift: Wie funktioniert eine Beschäftigtengenossenschaft?
Marianne Gugler: Nach der Aufnahme als Mitglied und Einzahlung des Geschäftsanteiles kann man von der Genossenschaft angestellt werden. Wir errechnen gemeinsam einen Jahresumsatz und leiten davon unser Anstellungsausmaß und unsere Gehälter ab. Mit der Anstellung ist das regelmässige Einkommen gesichert und wir haben keine Schwankungen, wie es bei Selbstständigen vorkommt.
dieZeitschrift: Was passiert, wenn die Umsätze höher sind als prognostiziert?
Marianne Gugler: Entweder können die Angestellten einen Inspirationsurlaub nehmen oder wir erhöhen die Gehälter. Eine andere Möglichkeit ist, sinnvolle Investitionen für das Unternehmen zu machen.
dieZeitschrift: Welche Vorteile gibt es für die Angestellten der Otelo (eingetrageneGenossenschaft)
Marianne Gugler: Als Angestellte müssen wir uns nicht mehr um die eigene Steuerberatung kümmern. Alle haben eine Pensions-, Gesundheits- und Arbeitslosenversicherung. Wir sind im gesellschaftlichen Sozialsystem eingebettet und keine Alleinkämpfer mehr, die, wenn es prekär wird, schauen müssen wo sie bleiben. Für die Genossenschaft ist es wesentlich einfacher Zwischenfinanzierungen für neue Projekte bei Banken zu erhalten.
Vortrag
Genossenschaften neu gedacht
Die Genossenschaftsidee und ihre Relevanz für Selbständige
dieLICHTFABRIK
1150, Sparkassaplatz 3
Donnerstag, 27.11.2014, 19:00 bis 21:00 Uhr
dieZeitschrift: Was sind die Voraussetzungen um selbst eine Genossenschaft zu gründen?
Marianne Gugler: Man sollte sich fragen, wozu eine Genossenschaft gegründet werden soll, wer Mitglied werden kann, was der Förderzweck für die Mitglieder ist. Womit macht man Umsätze und wie hoch sind die Ausgaben. Wir bieten auch Workshops und Vorträge dazu an. Sehr gerne unterstützen wir alle Genossenschaftsgründer, bei der Umsetzung ihrer Ideen.