Eine kleine Gruppe saß an einem regnerischen Sonntagnachmittag im Keller eines Schrebergartenhäuschens. Die Kulturarbeiterin Ulli Fuchs und der Verein Labor Alltagskultur hatten zu einem historischen Salon geladen. Bei Suppe, Kaffee und Süßigkeiten vom Weihnachtsbaum sprachen die Historiker Anton Tantner und Georg Fingerlos über Revolten in Wien und entadelte Adelige.
Revolten in Wien
Österreicher_innen wird ja immer nachgesagt, dass sie eher streikfaul seien und zu gemütlich, um gegen Missstände zu protestieren. Mit diesem Vorurteil räumt Tantner auf. Es gibt eine lange Tradition des zivilgesellschaftlichen Widerstandes. Nachdem im 17. Jahrhundert in Wien die Straßenbeleuchtung eingeführt worden war, waren die Laternen während Protesten immer Ziel von Zerstörung. Die Menschen vermuteten hinter der Maßnahme staatliche Spitzeleien, um „lichtscheues Gesindel“ besser sehen zu können. Noch im Jahr 1911 blieb während der Teuerungsdemonstrationen keine einzige Straßenlampe in Wien heil.
Der Staat ging und geht aber mit Widerständigen nicht zimperlich um und missbraucht(e) „Aufständige“ für politische Propaganda. Sind es heute Haftstrafen – man erinnert sich an den Fall Josef S. - waren es früher Hinrichtungen. Im Juli 1700 stürmte eine wütende Menge Büros des Bankhauses Oppenheimer, 1704 kam es zum Lakaientumult, im Jänner 1706 rebellierten die Kutscher in der Alserstraße und 1722 revoltierten die Wiener Schuhknechte. Die Antwort des Staates waren statt sozialer Verbesserungen: Hinrichtungen. Zwei angebliche Anführer der Plünderung des Bankhauses, ein „widersetzlicher“ Kutscher, zwei Schuhmacherknechte und ein zwanzigjähriger Mann aus dem Kongo wurden gehängt oder enthauptet.
Der Afrikaner Jacob Bocks wurde am 23. August 1704 wegen seiner angeblichen Beteiligung am Lakaientumult gehängt. Er wäre der Anführer des Aufstandes gewesen, sagten die Behörden. Die Beweisführung war schlampig und in Wirklichkeit diente er als Sündenbock. Denn Kaiser Leopold I war unter Bedrängnis. Er führte Krieg um sein spanisches Erbe einzufordern und einen Aufstand in Siebenbürgen niederschlagen. Die Behörden behaupteten nun der Afrikaner sei ein Agent, der im Herzen des Reiches eine Rebellion anzetteln wolle. Dies reichte zum Entfachen einer Terrorhysterie in der Öffentlichkeit. Die Hinrichtung Bocks erfolgte unter besonderen Sicherheitsmaßnahmen, befürchtete die Obrigkeit doch Befreiungsversuche und eine neuerliche Revolte.
Entadelter Adel
Georg Fingerlos übersetzt Comics und Bücher für bahoe books und sammelt Geschichten aus der bisher ungeschriebenen Geschichte. Etwa über den misslungenen Putschversuch des ehemaligen Kaisers Karl oder 200 Arbeitslosen die im Mai 1928 in Richtung besseres Leben nach Afrika loszogen und entadelte Adelige.
In seinem Buch „Verlottertes Blaublut“ hat er Geschichten von Mördern, Dieben, Räubern, Geldfälschern, Kindsmörder, Majestätsbeleidigung, Feigheit vor dem Feind, Aufständischen, Hochverräter und Deserteure zusammengetragen. Sie alle wurden zu schwerem Kerker oder zum Tod, aber alle zum Adelstitelverlust verurteilt worden sind. Meist war es niedriger Adel, der vor Gericht gestellt wurde, den der Höhere konnte sich meist freikaufen. Zwischen 1621 und 1918 wurden 852 Angehörige des niederen Adels verurteilt, unter den Hochadeligen waren es „nur“ 51 Freiherren und Freifrauen sowie 25 Gräf_innen. Fingerlos vermutet jedoch, dass die Dunkelziffer viel höher liegt. Sei doch bekannt dass der Kinderschänder Fürst Kaunitz-Rietberg-Questenberg nie angeklagt worden ist und viele „kleinere Schandtaten“ der „Blaublütigen“ wegen „Vitamin B“ nie ans Tageslicht kamen und somit nie zur für Adelsenthebungen zuständigen Adelsbehörde.
Aus den mehr als 900 Adelssuspensionen erzählt Fingerlos in seinem Buch von 43 Fällen. Etwa von Wladimir Krynicki Ritter von Korab, der als Kanzleileiter des Generalkonsulats in Warschau über 80.000 Kronen aus der Kassa entwendet hatte und nach einem missglückten Vertuschungsversuch durch die Wiener Rechnungsprüfer doch zu einer zweijährigen schweren Kerkerstrafe verurteilt wurde. Josef Julius Jankovich de Jessenice war einer der „gefährlichsten internationalen Hochstapler“ in der Monarchie, der über 100 Mal angezeigt worden war und schließlich 1913 zu fünf Jahren schweren Kerker verurteilt wurde. Karl Graf Martini von Griengarten & Neuhof kostete 1916 sein italienischer Patriotismus den Adelstitel. Er wurde wegen Hochverrats, staatsfeindlichen Bestrebungen der Irredenta, Aufruf zum Loslösen Südtirols vom Kaisertum Österreich und Majestätsbeleidigung zu acht Jahren schweren Kerkers verurteilt.
Der wahrscheinlich spektakulärste Fall ist der von Milica Vukobrankovics de Vuko et Branko. Ihr wurde Mordversuch vorgeworfen. Sie habe versucht die Ehefrau ihres Vorgesetzten zu vergiften. Dies konnte ihr jedoch nicht bewiesen werden. Verurteilt wurde sie trotzdem: Nämlich wegen Verleumdung zu zwei Jahren schweren Kerkers und natürlich Verlust des Adelstitels. Nach ihrer Freilassung nahm sie eine Stelle in einem Verlag an und 1923 stand sie wieder vor Gericht. Angeklagt wegen versuchten Mordes an ihrem Geliebten und Arbeitgebers sowie dessen Familie, abermals wurde sie verurteilt. Diesmal zu dreieinhalb Jahren Kerker. Nach ihrer vorzeitigen Haftentlassung nahm sie den Namen Thury an und wurde Journalistin. Die Nationalsozialisten verhafteten sie und deportierten sie ins Konzentrationslager Ravensbrück. Sie überlebte, kehrte nach Wien zurück, blieb Journalistin und wurde Mitbegründerin der Austria Presse Agentur.
Infos:
Anton Tantner lädt immer wieder zu Stadtflanerien ein, Termine gibt es auf seiner Webseite und verkauft auch T-Shirts mit geschichtsträchtigen Hausnummern. Seine Bücher: "Zu den historischen Wurzeln der Kontrollgesellschaft" sowie "Die ersten Suchmaschinen" gibt es im gut sortierten Buchhandel.
Georg Fingerlos präsentiert sein Buch „Ein bisserl aufhängen tät‘ ihm nix schaden“ - Karl Habsburg und eine Bahnhofsbesetzung 1921 am 09.03.2018 im W23, Wipplingerstraße 23, 1010.
Die nächste Aktivität des Vereins Labor Alltagskultur sind die Kritischen Literaturtage vom 11. bis 13. Mai 2018 in der Brunnenpassage.