Alexandra Gruber
Wirtschaftskammerwahl

„Absolute Machtmonopole brauchen absolute Kontrollprofis“

Mittwoch, 28. Januar 2015
Der Bundessprecher der Grünen Wirtschaft, Volker Plass, erklärt im Interview mit dieZeitschrift, aus welchem Grund er die Banken aus der Wirtschaftskammer werfen will und warum es trotz dem demoralisierenden WKO-Wahlrecht Sinn macht, dass EPUs ihre Stimme für kleinere Parteien abgeben.

Volker Plass ist Unternehmer und Bundessprecher der Grünen Wirtschaft. Im Interview erzählt er, wie auch kleine Fraktionen viel bewirken können.

dieZeitschrift: Können Sie verstehen, warum viele EPUS nicht zur WKO-Wahl gehen?

Plass: Viele Kleinunternehmer lehnen die Wirtschaftskammer (WKO) vollkommen ab. Sie haben das Gefühl, dass das eine veraltete Institution ist, die ihr Geld verschwendet und ihre Interessen nicht vertritt. Viele Leute gehen nicht wählen, weil eine Stimmabgabe ein Mindestmaß an Identifikation voraussetzen würde. Ich verstehe das, ich bin auch unzufrieden. Allerdings ist es der einzige Hebel zur Veränderung, den wir haben: Alle fünf Jahre über die Kräfteverhältnisse in der WKO mitentscheiden.
dieZeitschrift: Welche Erfahrungen haben denn Sie als Unternehmer persönlich mit WKO und SVA gemacht?
Plass: Auch ich hatte seit jeher das Gefühl, dass das eine Organisation ist, die sich hauptsächlich für Großbetriebe, Industrie und Banken einsetzt. Und bezüglich der SVA wird gerne vergessen, dass neun von zehn Österreichern von den Sozialversicherungsbeiträgen mehr belastet werden als von den Steuern. Das ist speziell für Geringverdiener ein großes Problem. Und das ist die Mehrheit der WKO-Mitglieder. Eine Steuerreform ist schon wichtig, aber wir müssen auch bei den SVA-Beiträgen mit der Entlastung ansetzen.

Sozialversicherungsbeiträge streichen

dieZeitschrift: Sie haben einmal in einem Kommentar geschrieben: „Die Sozialversicherungen gehören abgeschafft“. Was meinen Sie damit?
Plass: Im 21. Jahrhundert ist es fragwürdig, ob die Finanzierung der Pensions- und Gesundheitsvorsorge über Versicherungsmodelle laufen muss. Das Gesundheitssystem nehmen wir ja eigentlich ständig in Anspruch, und das Erreichen des Pensionsalters stellt heute kein Risiko mehr dar. Im Gegensatz zum 19. Jahrhundert ist die Pension heute ein dritter Lebensabschnitt, der Jahrzehnte dauern kann, und kein Versicherungsfall mehr. Wir könnten die Sozialversicherungsbeiträge streichen, die Steuern erhöhen und das Sozialsystem aus dem Steueraufkommen finanzieren. Das wäre einfacher, transparenter und gerechter. Zur Zeit haben wir ja das Problem, dass soziale Sicherheit, also Gesundheit und Pension, praktisch nur am Faktor Arbeit hängt. Sobald die Wirtschaft schwächelt, bekommen wir als erstes Finanzierungsprobleme im Sozialbereich.
dieZeitschrift: Die Grünen hatten bei der WKO-Wahl 2010 im Bund 5,8 Prozent der Stimmen, in Wien 9,4 Prozent. Selbst wenn Sie dazugewinnen, was könnten Sie denn wirklich ändern?
Plass: Auch wenn der ÖVP-Wirtschaftsbund nicht die absolute Mehrheit verliert, wäre es sehr wichtig, dass er einmal ordentlich federn lassen muss.

Wirtschaftskammerwahlrecht erinnert an Kurienwahlrecht

Volker Plass, Grüne Wirtschaft
Alexandra Gruber
Plass erklärt das WK-Wahlrecht

dieZeitschrift: In Wien könnte es sich ausgehen.
Plass: Ja, vom Anteil der Stimmen her schon, was symbolisch extrem wichtig wäre. Ob das dann bis zum Wirtschaftsparlament durchschlägt, das kann man nur hoffen. Das Wirtschaftskammerwahlrecht ist ja eine Mischung aus marxistisch-leninistischem Rätesystem und einen Kurienwahlrecht des 19. Jahrhunderts. Ein Beispiel: Wir haben 2010 bundesweit fast sechs Prozent der Stimmen bekommen und sind im Bundeswirtschaftsparlament mit vier Mandaten vertreten. Die Liste Industrie hat bundesweit 0,1 Prozent der Stimmen erhalten und sitzt mit 18 Mandaten drinnen. Die Mandatszuteilung ist äußerst ungerecht und stützt die Allmachtstellung der Schwarzen.
dieZeitschrift: Wie erklären Sie einem Außenstehenden das WKO-Wahlrecht?
Plass: Die bundesweit 875 Fachgruppen werden in sehr unterschiedlichem Ausmaß mit Mandaten dotiert. Alle diese Mandate werden dann gleichwertig ins Parlament hochgerechnet, wodurch die kleinen, traditionellen Branchen gegenüber den modernen, boomenden Dienstleistungsbranchen bevorzugt sind. Wieder ein Beispiel: Wir haben bei den Vorarlberger Fotografen mit sieben Stimmen vier Mandate errungen, in der steirischen Gastronomie mit 75 Stimmen aber kein einziges Mandat. Dann gibt es noch die Hochrechnung in die sieben Sparten der WKO, das ist jetzt das was ich als Kurienwahlrecht bezeichne. 6.000 Industriebetriebe in ganz Österreich werden mit der gleichen Mandatszahl bedacht wie 250.000 Handwerks- und Gewerbebetriebe.

„Wir haben in der WKO viel verändert“

dieZeitschrift: Es ist kein Wunder, dass viele EPUs die Wahl nicht interessiert.
Plass: Genau das ist das Problem. Und je mehr ich den Leuten von dem ungerechten Wahlsystem erzähle, desto mehr wirkt das demobilisierend. Es geht aber auch um die Dynamik eines Wahlergebnisses! Falls der Wirtschaftsbund fünf Prozent verliert, und wir gewinnen fünf Prozent, dann ist das ein deutliches Signal. Alle großen sozialen und politischen Veränderungen der letzten Jahrhunderte sind nicht von absoluten Mehrheiten angestoßen worden. Egal, ob Frauengleichberechtigung, Abschaffung der Sklaverei oder der Fall des Eisernen Vorhangs: Es waren immer kleine, mutige und innovative Minderheiten, die Veränderungen eingeleitet haben. Auch wir haben die WKO in den letzten Jahren nennenswert verändert, obwohl wir nie die Mehrheit hatten.
dieZeitschrift: Können Sie mir Beispiele nennen?
Plass: Den Begriff „Einpersonen-Unternehmen“ hat es bis 2006 nicht gegeben. In diesem Jahr haben wir eine Kampagne zu diesem Thema gemacht. Mittlerweile reden alle davon. Die konkrete Politik dazu passt zwar noch nicht, aber zumindest wird wahrgenommen, dass 57 Prozent der WKO-Mitglieder EPU sind. Ein anderes Beispiel ist, dass die Themen Erneuerbare Energie und Umwelttechnik von der WKO mittlerweile ernst genommen werden. Vor nicht allzu langer Zeit wurden wir deshalb von der Kammerspitze noch ausgelacht. Und wir haben in den letzten Jahren Skandale aufgedeckt. Das beste Beispiel: In der WKO Wien und in der Bundeskammer sind rund 15 Millionen Kammervermögen verspekuliert worden. Wir haben das ans Tageslicht gebracht. Daraufhin ist die Haushaltsordnung verschärft worden. Eine kleine, innovative, kontrollierende Fraktion kann sehr wohl neue Ideen und Trends in die Kammern bringen und den Mächtigen auf die Finger schauen. Absolute Machtmonopole brauchen Ideengeber und absolute Kontrollprofis.

„Die Roten machen den Schwarzen die Mauer“

dieZeitschrift: Das Programm der Grünen Wirtschaft überschneidet sich in vielen Punkten mit dem von Rot und Pink. Zum Beispiel fordern alle mehr Transparenz oder ein demokratischeres Wahlsystem. Worin unterscheiden sich die Grünen konkret von den beiden Fraktionen?
Plass: Die UNOS will ich nicht beurteilen, da kenne ich die Programme noch zuwenig. Zum Sozialdemokratischen Wirtschaftsverband (SWV) gibt es einen ganz wesentlichen Unterschied. 2006 wurde das Wirtschaftskammer-Gesetz novelliert. Damals hatten wir einen Forderungskatalog, der über weite Strecken mit jenem der Roten deckungsgleich war. Der ÖVP-Wirtschaftsbund hat dann zu allen Reformvorschlägen „Njet“ gesagt, und der SWV hat trotzdem zugestimmt. Das ist der Unterschied: Die Roten reden groß, aber letztendlich machen sie in sozialpartnerschaftlicher Disziplin den Schwarzen die Mauer.
dieZeitschrift: Derzeit nimmt man aber zumindest in Wien bei den EPUs so etwas wie Aufbruchsstimmung wahr. Wenn Rot, Grün und Pink zusammen mehr als 50 Prozent in Wien hätten, wäre dann eine Koalition möglich?
Plass: Natürlich wäre ein Wechsel in der größten Landeskammer Österreichs reizvoll. Bloß die Farbe Schwarz gegen Rot auszutauschen reicht allerdings nicht. In so einem Fall würde ich dann gerne über Demokratieverständnis der Sozialdemokraten reden.

„Banken raus aus der WKO!“

dieZeitschrift: Wie kann dieses undemokratische Wahlrecht in Zukunft geändert werden?
Plass: Ausschließlich von einem mutigen Parlament. Dafür braucht man nur eine einfache Mehrheit. Wenn es wieder einmal eine Koalition geben sollte, der die ÖVP nicht angehört, wäre es möglich.
dieZeitschrift: Noch einmal zurück zur WKO: Wie stellen Sie sich eine reformierte Kammer vor? Was brennt am meisten unter den Nägeln?
Plass: Die WKO müsste endlich den grundlegenden Wandel des Wirtschaftslebens zur Kenntnis nehmen. Die ehemalige Arbeitgeberorganisation hat mittlerweile mehrheitlich Mitglieder, die keine Arbeitgeber mehr sind. Stichwort Steuerpolitik: Es ist nicht die Aufgabe der WKO, krampfhaft die Superreichen und die Millionenerben zu verteidigen. Eigentlich sollte für die WKO eine Steuerentlastung für die hart arbeitenden Kleinunternehmer das Wichtigste sein. Der nächste wichtige Punkt – Banken raus aus der WKO! Denn die Banken sind die natürlichen Gegenspieler von Kleingewerbetreibenden. Und die WKO sollte verstehen, dass wir mit unserem Wirtschaftsmodell, das im 20. Jahrhundert gut funktioniert hat, jetzt an ökologische Grenzen stoßen. Das Thema der nächsten Jahrzehnte wird nicht mehr Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum um jeden Preis sein. Vielmehr müssen wir versuchen, dass wir ein gutes Leben für alle mit Nachhaltigkeit und Klimaschutz vereinbaren und regional widerstandsfähiger werden, indem wir Ernährung und Energieversorgung selbstständig sichern können.

www.gruenewirtschaft.at

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