Köpf sei der Konjunktiv von Kopf – ein Kopf voller Möglichkeiten, sagt der Moderator der WDR-Radiosendung „Zeichen und Wunder“ Michael Kothes über den Literaturwissenschafter, Schauspieler und Autor Gerhard Köpf. Er meint damit auch die Figuren in Köpfs Romanen, den Gelehrten der an Demenz erkrankt („Der alte Herr“), die Protagonist_innen im fiktiven Ort Thulsern - einem Ort zwischen Ironie und Wahnsinn („Das Dorf der 13 Orte“) – den Streckenwärter Aggwyler, dem die Dorfsanierung die Zukunft kostet („Die Strecke“) und Marandjosef, den zarten Wirtssohnes aus Vils. Der als Mara in Frauenkleidern, als Josef in Männernkleidern im 18. Jahrhundert durch Tirol zieht. Er ist der Protagonist im soeben erschienen Roman „Außerfern.“ Nicht nur die Geographie spielt auf seinen ersten Roman „Innernfern“ (1983) an, sondern auch die Geschichten von Verlierer_innen, Verhunzten, Verschrammten und Abweichler_innen.
Innerfern
In „Innerfern“ setzt er der surrealistischen Lyrikerin, Fotografin und Kunsthistorikerin - von den Einheimischen die „Hex‘ vom Bannwaldsee“ genannten - Ilse Schneider-Lengyel ein literarisches Denkmal. In der Radiosendung erzählt er von ihr. Der Frau, die in einem kleinen Haus am See im Allgäu wohnte, umgeben von Enzianwiesen, Viehweiden und Schilfgürteln und in dem der literarische „Nicht-Verein“, die Gruppe 47 sich im September 1947 erstmals traf, über Literatur sprach, sich gegenseitig vorlasen und Texte kritisierten.
Sie war es, die dem jugendlichen Köpf bei langen Spaziergängen und Ruderpartien von Figuren der Weltliteratur erzählte. So als seien sie ihre Bekannten. Er wunderte sich darüber, wen sie alles kennt. Erst später gesteht sie ihm, es seien literarische Figuren. Da nahm er schon Bücher mit ins Bett oder hörte Lesungen und Hörspiele unter der Bettdecke. Nach einer Komparsenrolle in der Hollywoodproduktion „Gesprengte Ketten“ - er jagte Steve McQueen – Sommerjobs als Landbriefträger, einem abgeschlossenem Germanistikstudium und noch bevor er Literaturprofessor an Uni Duisburg und Gastprofessor an der Psychiatrischen Klinik München wurde, machte er sich auf die Suche nach Schneider-Lengyel. Denn sie war ganz plötzlich aus seinem Leben verschwunden. Es war nicht ungewöhnlich, dass sie verreiste, aber von ihrer letzten Reise war sie nicht zurückgekehrt. Nach jahrelanger Recherche fand er ihre Geschichte. Sie war in Konstanz aufgegriffen, in frühen dementen Zustand in ein Krankenhaus eingeliefert und nach ihrem Tod vergessen worden. 1997 brachte die Gemeinde Schwandau eine Gedenktafel an ihrem Haus an und hofften mit „der, die sie verhungern haben lassen“, Literaturtourismus anzulocken.
Außerfern
In „Außerfern“ liest ein emeritierter Literaturprofessor von einem Buch, das in Menschenhaut gebunden sein soll. Bei der Suche danach trifft er Leander Gscheidt. Den Besitzer der Buchhandlung „Parnassische Buch- und Literaturhandlung“, in der Bücher, die niemand lesen will in den Regalen stehen, der sich „bisweilen weigert Bücher überhaupt zu verkaufen, um sie vor Lesern zu schützen,“ Diebstähle durchgehen lässt und „Schnupperer“ verachtet. Jene die nur ein Buch eines Autors, einer Autorin statt des Gesamtwerkes kaufen wollen.
Der Literaturprofessor und der Buchhändler spüren gemeinsam dem Buch und der damit verbundenen Lebensgeschichte Marandjosefs nach. Jenes Mannes, bei dessen Geburt die Mutter vor Entsetzen Marandjosef ausrief: Er sah aus wie ein Mädchen. Eine Wahrsagerin sagte ihm einen seltsamen Weg vorher und behielt Recht. Als Crossdresser, als Dieb oder Diebin, als Betrüger oder Betrügerin, als Knecht oder Dienstbotin schwindelt er sich durch Tirol und Umgebung. Stets ohne schlechtes Gewissen, stets die Identität wechselnd und immer auf der Flucht. Als Erzähler oder Erzählerin seiner/ihrer Abenteuer verdient er/sie nebenher Brot und Schnaps. Solange bis er/sie zur Legende wird, seine/ihre Geschichten sogar in der fernen Schweiz erzählt werden. Geschichten davon wie sie, als Mara, liebestolle Männer ausnimmt oder als Josef Kirchen ausräumt, davon wie er verhaftet wird, exkommuniziert und in Ketten in eine Burg gebracht wird. Hier arbeitet er als Koch, als ein so guter, dass der Kaiser von Österreich Ferdinand der Gütige ihn begnadigt. Nach seiner Freilassung wird er Eremit, sitzt in den vom heiligen Magnus hinterlassenen Gesäßabdrücken auf einem Stein und schreibt seine Memoiren. Er gibt einem Tierpräparator den Auftrag, diese nach seinem Ableben in seine Haut zu binden.
Fast ein Schelmenroman, eine fast glaubhafte Geschichte mit einem Hauch Umberto Eco und Paul Auster. Ein Buch so gut, dass man Gescheits Philosophie folgen muss, nicht nur ein Buch von Köpf, sondern sein Gesamtwerk zu lesen.
Gerhard Köpf "Außerfern"
Braumüller Verlag
ISBN: 978-3-99200-212-2
20,00 Euro