„Hiermit gelobe ich, das Bad und seine Attraktionen, Sauna und Tepidarium, Schwimmbecken und Whirlpool zu schätzen, zu pflegen, zu bewahren, auf dass sie lange leben und Freude spenden …“ rezitiert Bademeister Walter Urbanek aus dem Badegesellen-Schwur, der nach erfolgter Einschulung auf eine Muschel, die im Whirlpool zu Wasser gelassen wird, geleistet werden muss. Wer über einen längeren Zeitraum eine Mitgliedschaft im Badeclub haben will, hat viele Rechte, aber auch ein paar Pflichten.
Denn das Badehaus im Penzinger Wohnprojekt Sargfabrik wird von den Mitgliedern selbst verwaltet und erfordert Verantwortung für sich selbst und seine Gäste. Im Gegenzug kann man die kleine, aber feine Infrastruktur nutzen, und zwar 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Eine finnische Sauna mit Sternenhimmel, ein kleiner Pool mit Gegenstromanlage, ein Massageraum und eben das Tepidarium und der Whirlpool stehen den Gesellen und Gesellinnen quasi rund um die Uhr zur Verfügung. Eine weitere Besonderheit im Gegensatz zu anderen Hallenbädern: Ob FKK oder Badeanzug ist egal, es gibt keine Kleidervorschriften.
Mondscheinbaden und öffentliche Events
Rainer Tietel wohnt seit 18 Jahren in der „Sargfabrik“. Der Name kommt ganz einfach daher, dass die Wohnhäuser auf dem Areal der ehemals größten Sargtischlerei der Monarchie gebaut worden sind. Tietel kümmert sich um die Administration des Badehauses, während Walter Urbanek für die technischen Belange zuständig ist. „Wir haben zur Zeit rund 450 Badehausclubmitglieder,“ erzählt Tietel. „500 sind die Obergrenze.“
An manchen Abenden ist das Badehaus entweder öffentlich zugänglich oder steht nur bestimmten Gruppen wie Frauen oder schwulen Männern offen. Die günstigste Variante für Badeclubmitglieder ist das Mondscheinbaden von 22 Uhr bis 6 Uhr, ein spezielles Angebot für Nachtschwärmer. Nichtmitglieder können nur bei den öffentlichen Bade-Events ins Badehaus Sargfabrik. Am Vormittag gibt es Babyschwimmkurse. Zusätzlich kann man die Räumlichkeiten exklusiv für sich mieten. „Partys wie Junggesellenabschiede machen wir aber nicht mehr,“ sagt Tietel. „Um ehrlich zu sein, am liebsten sind uns chillig feiernde Frauen.. Gemischte Gruppen sind oft viel zu laut und lassen manchmal einen ziemlichen Saustall zurück.“
Die Sargfabrik
Vor 25 Jahren haben sich die Gründungsmitglieder in diese Backsteinbauten verliebt,“ erzählt Tietel. Damals wollten ungefähr dreißig Leute aus verschiedenen Wohngemeinschaften eine Utopie zur Realität werden lassen. Gemeinschaftlich zusammenleben, sich selber organisieren, quasi ein Dorf mitten in der Großstadt schaffen. Ein Vierteljahrhundert später existiert Österreichs größtes selbstverwaltetes Wohnprojekt noch immer.
Etwa 240 Menschen haben sich in der Sargfabrik niedergelassen und teilen sich den üppigen Dachgarten, einen Teich, einen Hühnerstall, sowie Seminarraum, Partyraum und Gemeinschaftsküche. Damit es friedlich bleibt, gibt es außerdem ein internes Schiedsgericht für Streithanseln. „ Die Idee ist, dass die Bewohner mehr Qualität haben als in anderen Wohnungen. Wer bei uns auf 30 m² lebt, kann trotzdem zwanzig Leute zum Essen einladen.“ Das Konzept scheint aufzugehen, denn kaum jemand zieht freiwillig wieder aus. „ Es gibt fast keine Fluktuation. Man kann sich auf eine Liste setzen lassen, aber die Chancen, dass man Mitbewohner wird, sind ziemlich gering,“ weiß das Sargfabrik-Urgestein.
Neue Heimat für eine alte Dame
Factbox
Neues Angebot Partnermitgliedschaft: Ein Mitglied kann eine zweite Person als Partner nominieren. Der Partner erhält 50 Prozent Ermäßigung auf Beitrittsgebühr und Clubbeitrag.
Badehaus in der Sargfabrik
1140. Wien, Goldschlagstraße 169
www.sargfabrik.at
Eintrittspreise und Details für Badegesellen
Termine
An eine besonders rührende Geschichte kann sich Tietel auch erinnern: „Einer alten Dame wurde von ihrem Arzt ein Besuch im Tepidarium verschrieben. Sie kam hierher und war so begeistert, dass sie das Altersheim verließ und zu uns gezogen ist. Sie hat bis zu ihrem Tod hier gelebt und ist völlig aufgeblüht. In ihren letzten Lebensjahren hat Anni bei uns eine neue Heimat gefunden.“