Die Polizei sagt es waren 20.000, die Veranstalter_innen sagen es waren 70.000 Demonstrant_innen, die gegen Sozialabbau, gegen Studiengebühren, gegen die Abschaffung der Jugendvertrauensrät_innen, gegen die Beschneidung der Arbeiterkammern, gegen die Abschaffung der Notstandshilfe und für Frauenrechte am 13. Jänner 2018 auf die Straße gingen. Veranstalter waren „Offensive gegen rechts“, „Plattform für menschliche Asylpolitik“ und die „Plattform Radikale Linke“.
Bruno Kreisky und Christian Broda
Treffpunkt war der Christian-Broda-Platz, benannt nach jenem Justizminster der während seiner beiden Amtszeiten (1960-1966 und 1970-1983) etwa 1968 die Todesstrafe abgeschaffte, 1974 die Fristenlösung einführte, 1975 das Familienrecht reformierte, 1975 die Strafbarkeit der Homosexualität aufhob, 1979 das Gleichbehandlungsgesetz und das Konsumentenschutzgesetz, 1981 das Mietsrechtsgesetz und 1985 das Unterhaltsvorschussgesetz durchsetzte.
Gesetze die laut der neue Bundesministers für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz Josef Moser mittels eines noch zu beschließenden Außerkraftsetzungsgesetz aufheben will. Bei der „Deregulierungsoffensive der Bundesregierung“ sollen sämtliche vor dem 1. Jänner 2000 kundgemachten Gesetze und Verordnungen des Bundes aufgehoben werden, außer ein Ministerium besteht auf die Beibehaltung einer Rechtsvorschrift. Während Rechtsexpert_innen fürchten, dass „das österreichische Rechtssystem in die Luft gesprengt wird“, behauptet der FPÖ-Vizekanzler HC Strache, beim FPÖ-Neujahrsempfang am 13. Jänner 2018, dass Bruno Kreisky heute die FPÖ wählen würde. Also dafür, dass alle während Kreiskys Amtszeit verabschiedeten Gesetze aufgehoben werden. Man hört förmlich das Rumoren am Wiener Zentralfriedhof. Was er davon hält, sagt Kreisky selbst im Clip.
Anna Boschek
Laut dem neuem FPÖ-Innenminister Herbert Kickl, seien es „linke, zivilgesellschaftliche Gruppen [die an] der Seite der gewaltbereiten, autonom-anarchistischen Verbindungen“, die zum Großprotest gegen die Regierung aufgerufen haben. Also die „Omas gegen Rechts“, die „GewerkschafterInnen gegen Rassismus & Sozialabbau“, die „Jungen Linken“, die „Antifacist Ballet School“, die Fachschaft Architektur, der Gedenkdienst, die Sozialdemokratische GewerkschafterInnen, die Vereine „aufbruch“, „System change not climate change und die „Österreichische Hochschülerschaft“ u.v.m..
Sie alle zogen friedlich an der Webgasse vorbei. Hier befand sich ab dem Jahr 1902 das Büro der Gewerkschaft der Heimarbeiterinnen, gegründet von der späteren Nationalratsabgeordneten (1919-1934) und Leiterin des Frauenreferates des Bundes Freier Gewerkschaften (1928-1934) Anna Boschek (1874-1957). Der Verein bot erstmals den sonst rechtlosen Heimarbeiterinnen Krankengeld, Arbeitsvermittlung, Entbindungsbeitrag, unentgeltlichen Rechtsschutz und Unterstützung im Krankheitsfall an.
Otto Bauer
Die Otto-Bauer-Gasse ist nach dem Austromarxisten und Theoretiker der Sozialdemokratie Otto Bauer (1881-1938) benannt. Er war Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung (1919-1920) und Teil der Sozialgesetzgebungsphase während der Ersten Republik, in der die Grundlagen des heutigen Sozialstaates gelegt wurden. Wie den Acht-Stundentags-, das Kollektivvertrags- und das Betriebsrätegesetz sowie die Einführung der Arbeitslosenunterstützung, die Einführung des Urlaubsanspruchs für Arbeitnehmer_innen und die Gründung der Arbeiterkammern.
Dort also zogen die Demonstrant_innen vorbei und der FPÖ-Politiker Harald Vilimsky schrieb auf Facebook, dass die SPÖ-Politiker den linken Mob mobilisiert hätten und in einem anderen Post das dies das „verzweifelte letzte Aufgebot der Grünen und Roten“ sei. Dieses „verzweifelte Aufgebot“ ging an der Gedenktafel von Emilie Flöge vorbei, die in der Mariahilfer Straße 1b ihren Modesalon betrieb in dem bis zu 80 Näherinnen auch Reformkleider für Frauenrechtlerinnen fertigten und erst nach einem Streik im Jahr 1908 ihre Arbeitsbedingungen verbessern konnten und schließlich 1916 einen Kollektivvertrag durchsetzten. Heute sind 98 Prozent aller unselbstständig Erwerbstätigen von der „Bibel der Arbeitnehmer_innen“ geschützt. Die türkis-blaue Regierung will nicht nur die Pflichtmitgliedschaft bei der Arbeiterkammer und der Wirtschaftskammer abschaffen, sondern damit auch gleich einen der Verhandlungspartner der Betriebsrät_innen und Gewerkschaft_innen für Kollektivverträge. Gleichzeitig soll das Mitsprachrecht in den Betrieben eingeschränkt werden, durch die Zusammenlegung von Betriebsratskörperschaften der Arbeiter_innen und Angestellten und durch die Herabsetzung des Wahlalters die Jugendvertrauensrät_innen abschaffen.
Während der „rote Mob“ weiterzog, hielt HC Strache in der Eventpyramide in Vösendorf vor 5.000 Zuhörer_innen seine Rede, griff die „Jammersozialisten“ an und sagte „Wir sind die soziale Heimatpartei“ und fast zeitgleich taucht auf Facebook die „Basti & Bumsti HALL of FAME“ mit einer Aufzählung der angekündigten und bereits beschlossenen Maßnahmen auf. Etwa Hartz IV in neuem Gewand, der Zwölf-Stunden-Tag, Eingriffe in das Mietsrechtsgesetz, Ende der „Aktion 20.000“ und des „Beschäftigtenbonuses“.
Marianne Hainisch
In der Rahlgasse erinnern mehrere Gedenktafeln an das erste Mädchengymnasium im heutigen Österreich. Im 19. Jahrhundert durften nur Buben Gymnasien besuchen. Als die Frauenrechtlerin Marianne Hainisch (1839-1936) im März 1870 vorschlug ein Unter-Realgymnasium für Mädchen zu gründen, stieß sie noch auf Unverständnis. Es sollte bis 1892 dauern, bis das erste private Mädchengymnasium in Wien eröffnete und Mädchen maturieren konnten. Im Jahr 1910 übersiedelte die Schule in die Rahlgasse 4. Hier maturierten u.a. die Physikerinnen Olga-Ehrenhaft-Steindler (1879-1933) und Marietta Blau (1894-1970), die Lehrerin, Widerstandkämpferin und Politikerin Stella Klein-Löw (1904-1986) und die Philologin Gertrud Herzog-Hauser (1894-1953), die ab 1937 Direktorin des Gymnasiums war. Sie wurde von den Nationalsozialisten, ob ihrer jüdischen Abstammung, ihres Amtes enthoben. Nach dem Zweiten Weltkrieg baute die Gewerkschafterin (Gewerkschaft öffentlicher Dienst) Marie Jacot (1912-2000) die Schule trotz schlechter Versorgungslage und fehlender Unterrichtsmaterialen wieder auf. Seit 1978 dürfen auch Buben die Schule besuchen.
Johanna Dohnal
Gegenüber der Schule ist der Johanna-Dohnal-Platz, benannt nach der Feministin, Initiatorin des ersten Frauenhauses (1978) und ersten Frauenministerin Österreichs (1990-1995) Johanna Dohnal (1939-2010). Sie kämpfte u.a. für die Enttabuisierung des Themas Gewalt gegen Frauen und erreichte grundlegende Reformen von Gewaltschutzgesetzen. Auch all die während ihrer Amtszeit verabschiedeten Gesetze könnten der Moserschen „Deregulierungsoffensive“ zum Opfer fallen.
Demonstrationen
Als die ersten Demonstrant_innen bereits am Heldenplatz eintrafen, gingen einige erst am Christian-Broda-Platz los und zogen in Richtung Ring. Der seit dem späten 19. Jahrhunderts eine Vielzahl von Demonstrationen Platz bot: von streikenden Kleidermacherinnen über protestierenden Fahrradfahrer_innen, Regierungsgegner_innen und die über 100.000 Teilnehmer_innen der „Hageldemo“ gegen die Pensionsreform im Mai 2003 oder Asylbefürworter_innen im Jahr 2015 bis hin zu tausenden Demonstrant_innen, die im Jahr 1905 das allgemeine, direkte und gleiche Wahlrecht forderten. Bei der Wahlrechtsdemo „verhinderte die berittene Polizei“ das Vordringen der Demonstrant_innen zur Hofburg. Der ehemalige Stronach/ÖVP-Politiker Marcus Franz brachte bereits im Jahr 2015 den Entschließungsantrag „Aufstellung einer berittenen Exekutiveinheit der Bundespolizei“ im Parlament ein. Die Begründung: „Zunahme von Veranstaltungen und Demonstrationen vor allem in den Ballungszentren.“ Kickl nahm die Idee. Woraufhin die Tierschutzorganisation „Vier Pfoten“ schrieb: „Es gilt, jede Gefahrensituation zwischen Mensch und Tier zu vermeiden. Gerade im Einsatz von Pferden etwa auf Demonstrationen und Fußballspielen sind sowohl Menschen als auch Tiere Verletzungsrisiken ausgesetzt. Und startete sofort eine Online-Petition.
Sprecher_innen
Die Demonstrant_innen gingen durch das Burgtor, wo im Jahr 1792 Männer erfolglos gegen die Frauenarbeit in Manufakturen protestierten auf den geschichtsträchtigen Heldenplatz. Der Gewerkschafter und Betriebsrat Axel Magnus sprach bei der Abschlusskundgebung von „sozialer Kälte“ und dass vor 80 Jahren hier die Massen Adolf Hitler zugejubelt haben und von dem gegenteiligen Signal, dass am 13. Jänner 2018 gesetzt wird. Ein Signal für Gemeinsamkeit und „gegen den erzreaktionären Umbau der Gesellschaft.“ Lisa Mittendrein von Attac stellte sich gegen diese Regierung und deren Rassismus, den Sozialabbau, gegen Kickls Vorschlag Flüchtlinge in Massenquartien zu „konzentrieren“ und rief zum Kampf für eine bessere Zukunft auf, eine Zukunft ohne Hass und Ausbeutung, in der alle Menschen gut leben können, egal woher sie kommen. Susanne Scholl von „Omas gegen Rechts“ sagte diese Regierung habe nur ein Ziel, nämlich die Demokratie auszuhöhlen, um ihren eigenen Machterhalt zu festigen, das könne nicht zugelassen werden. Und fuhr fort: „Ältere Frauen gehen auf die Straße, weil die Zeitzeug_innen aus der NS-Zeit können das Wort nicht mehr ergreifen. Wir sind in der zweiten Generation wissen was es heißt Menschen zu entmenschlichen. Johanna Zechmeister, Hannah Lutz und Marita Gasteiger von der der Österreichischen HochschülerInnenschaft stehen gegen die Beschränkung des politischen Mitspracherechts und gegen die Einführung von Studiengebühren und weiteren Zugangsbeschränkungen auf. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Bildung klaut.“
Karoline Kalke von „System Change not Climate Change“ rief zum Widerstand gegen die Regierung auf, warnte vor Rückschritten in Klimapolitik und positionierte sich gegen das schon von den Austrofaschisten und Nationalsozialisten propagierte Bild der Familie von Mann und Frau mit gemeinsamen Kindern als die "natürliche Keimzelle für eine funktionierende Gesellschaft."
Gözde Taşkaya vom Netzwerk „Muslimische Zivilgesellschaft“ sagte: „Wir sind gekommen um gemeinsam mit euch zu stehen und gegen die ungerechten Vorhaben der Regierung zu protestieren. Wir haben es satt als Ablenkungsmanöver herzuhalten für eine asoziale Politik, die allen schadet, als Feindbilder abgestempelt zu werden, nur damit Politiker ihren medialen Egomastorbationen nachgehen zu können.“
Die Regierung wird ausgebuht und der Widerstand bejubelt. Und der Satz „Ihr werdet euch noch wundern, wie viele wir sein können“ macht die Runde. Die Kundgebung endet mit einem Lichtermeer, einem Hoch auf die Internationale Solidarität, dem Protestlied Bella Ciao und einem Sprechchor mit einem ganz klaren Ansage: Widerstand
Nächste Demonstrationen und Lichtermeere
Am 24. Jänner 15.00 Uhr Platz der Menschenrechte, Protestmarsch der Gewerkschaften GPA-djp für die Einführung der 35-Stunden-Woche, faire Bezahlung für die rund 100.000 Beschäftigten im privaten Gesundheits- und Sozialbereich.
Am 25. Jänner, Flashmob of Shame-Rechtsextremen-Event darf kein Staatsakt sein, 11.45-12.30 am Heldenplatz, organisiert von Jetzt Zeichen Setzen.
Am 26. Jänner Kundgebung am Vorabend des Holocaust-Gedenktages, organisiert von Jetzt Zeichen Setzen, 19.00 – 21.00 Uhr, am Heldenplatz
Am 02. Februar, Lichtermeer für Ute Bock, 17.00 Uhr, Heldenplatz, organisiert vom Verein Flüchtlingsprojekt Ute Bock und Bock auf Kultur