pomali/Hemma Rüggen
Co-Housing

Paradise found

Freitag, 20. Februar 2015
Katharina Lechthaler war plötzlich Alleinerzieherin. Lebte am Land. Ohne soziales Netzwerk. Also machte sie sich auf die Suche nach kooperativ agierenden Gemeinschaften und Co-Housing-Projekten. Nach jahrelanger Suche fand sie Pomali in Niederösterreich. dieZeitschrift hat mit ihr über Soziokratie, Indianer und kleine Katastrophen gesprochen.

Als Alleinerzieherin am Land spürte Frau Katharina Lechthaler, was es für ein Wahnsinn ist, ein Kind ganz allein aufzuziehen, ohne familiäres Netzwerk, ohne Gemeinschaft, ohne andere Bezugspersonen. Freunde gab es zwar, wirklich tragfähig waren sie im Alltag nicht.

Also machte sie sich auf die Suche nach einer Gemeinschaft. Sie reiste zu 13 Wohngemeinschaften und Co-Housingprojekten in Österreich, Italien und Deutschland. Kochte mit den Hare Krishnas, plauderte mit Bewohnern von Hofgemeinschaften und schloss sich schließlich der Gemeinschaft „Lebensgarten Steyerberg“ in der Nähe von Hannover an. Da die Gemeinschaft bereits lange bestand, lag der Altersdurchschnitt zwischen 50 und 60 Jahren, die 30jährige gemeinsame Geschichte und die informelle Strukturen machten es nicht leicht, mit den Bewohnern in tieferen Kontakt zu kommen. Auch entsprach die Siedlungsgemeinschaft nicht ganz ihrer Vorstellung: Gemeinsamkeit reduzierte sich auf Doppelkopfspielen und Singen im Chor. „Es war wunderschön, all diese Menschen kennenzulernen, aber bei soviel Beziehungsangebot war es schwierig echte Freundschaften zu schließen. Außerdem gab es nur ein kleines Gemeinschaftszimmer. Die restlichen Räume wurden für Seminare genützt,“ sagt Katharina Lechthaler.

Alles Pomali?

Pomali

Pomali kommt aus dem Tschechischen und wurde in den Wiener und niederösterreichischen Dialekt übernommen, es heißt„immer mit der Ruhe“. Das niederösterreichische Co-Housing-Projekt Pomali hat dem Dialektwort eine neue Bedeutung gegeben: Praktisch, Ökologisch, Miteinander, Achtsam, Lustvoll und Integrativ.

Ein Newsletter sollte ihr Leben verändern. In Niederösterreich hatten sich Menschen gefunden, die in der kleinen Ortschaft Wölbling das Co-Housing-Projekt Pomali aufbauen wollten. Im Newsletter wurden Menschen gesucht, die bereit wären in der Nähe von Hannover ein Glashaus abzubauen. „Ich dachte mir, ganz wunderbar, die „Pomalis“ kommen zu mir! Ich fuhr hin.“ Zwei Tage lang halfen sie und ihre vierjährige Tochter in Kälte und Schneeregen, das Glashaus abzubauen. Sie lernten die anderen Pomalimitglieder kennen und waren von ihnen begeistert. Also packte Katharina Lechthaler ihre Sachen und zog nach Niederösterreich. Als Erfahrung nahm sie mit, dass Gemeinschaften viel Platz für ihre Aktivitäten brauchen. Die erste Lektion sozusagen, die für ein Co-Housing-Projekt wichtig ist.

Anfangsschwierigkeiten

Die Ortschaft Wölbling liegt zwischen Krems und St. Pölten, dort wurde der passende Baugrund gefunden. Einer der Initiatoren des Projektes kommt aus dem Nachbardorf. „Also kamen wir nie in den Ruf, Wiener Hippies zu sein, die aufs Land ziehen wollen. Allerdings vermuteten einige Dorfbewohner, dass es wie in einer Kommune zugeht und jeder mit jedem Sex hätte, dass wir Indianer wären, dass wir vielleicht Umweltschützer sein könnten, die sich an Bäume ketten. Dabei gibt es auf unserem Grundstück gar keine Bäume.“ Die Bedenken der Nachbarn wurden bei Festen, Kaffeepläuschchen und gemeinsamem Musizieren zerstreut.

Katastrophen passierten andernorts. „Wir versuchten, basisdemokratisch über alles zu entscheiden. Das hätte geheißen, dass bis zu 30 Menschen zu jedem Thema wohl vorbereitet sind. Es zeigte sich natürlich, dass Eltern mit Kleinkindern oder berufstätige Menschen nicht in der Lage waren, sich auf alle anstehenden Themen auch gut vorzubereiten um dann die richtige Wahl zu treffen. Schließlich ging es um wichtige Entscheidungen wie Passiv- oder Niedrigenergiehaus, welche Beziehungspflegestrukturen und Werkzeuge, Schnittstellenarbeit zum Bauträger, Finanzgebahrung etc. In den Diskussionen setzten sich die Lauten durch und die Weisheit der Leisen ging verloren. Immer mehr Menschen stiegen aus.“ Drei Jahre lang wurde geplant, besprochen und wieder verworfen. Der Bauträger stand ebenfalls unter Druck. Und dann gab es noch eine einjährige Verzögerung bei der Zuteilung der Wohnbauförderung. „Die Gruppe wäre fast zerbrochen.“

Die Rettung

Soziokratie

Es gibt mehrere Organisationsebenen: Die Leitungsebene hält Zusammenschau und Überblick über die Detailebenen wie Finanzen Buchhaltung, Finanzierung, Bauplanung und Gemeinschaftsleben. Es werden Arbeitskreise installiert, die Delegationen daraus arbeiten bei Bedarf mit anderen Kreisen zusammen arbeiten. Alle Entscheidungen werden im Konsens getroffen auf Basis der gemeinsamen Ziele (und nicht der eigenen Interessen), damit sie jeder mittragen kann. Es gibt seither kaum Streitereien. Die Basis für eine Gemeinschaft sind klare Ziele. Jedes neue Projekt wird an den definierten Zielen gemessen. Entspricht es dem Ziel, kann es umgesetzt werden. Jeder Kreis hat seine Ziele, die dem übergeordneten Ziel der gesamten Gruppe zuarbeiten, um eine Vision und eine Mission umzusetzen.

Alle Fäden liefen beim ehrenamtlich arbeitenden Vorstand zusammen, Katharina Lechthaler war die Vereinsobfrau. Das Zerbröckeln der Gruppe und die bereits getätigten Investitionen wie der Landkauf und die Bauvorlaufkosten raubten ihr den Schlaf. So beschloss der Vorstand, die Gemeinschaftsberaterin Barbara Strauch zu Rate zu ziehen. Sie erkannte die Defizite: keine klare Struktur, keine Entscheidungsformen, die Menschen waren durch die Vielzahl der zu treffenden Entscheidungen überfordert. „Sie empfahl uns die Organisationsform „Soziokratie“. Wir probierten es einfach. Es war eine Verzweiflungsaktion, die jedoch das Projekt rettete. Als erstes begannen wir, unsere gemeinsame Vision und unsere Ziele klar zu definieren: Ein generationenübergreifendes Co-Housing-Projekt in dem wir gute Beziehungen pflegen, möglichst nachhaltig und in Vielfalt leben.

Synergieeffekte

Das Projekt ist klassisch konzipiert: ein Bauträger errichtete die Wohnungen. Jeder kann einen Genossenschaftsanteil kaufen, zehn Jahre lang Miete zahlen und danach die Einheit kaufen. Obwohl momentan diskutiert wird, ob nicht der Verein die Wohnungen kaufen soll, um zu vermeiden, dass Einheiten am freien Markt gehandelt werden.

Die erste Bauphase wurde 2014 fertiggestellt. 30 Erwachsene und 20 Kinder leben in 17 Wohnungen. Sie nutzen die Synergieeffekte: gemeinsames Kochen und Essen, den Gemeinschaftsgarten, den Car-Sharing-Pool, die Food-Coop mit Biogemüse und Brot aus der nahen Umgebung und einen Fahrdienst, der die Kinder zum Kindergarten bringt. Ein Teil der Bewohner sind Selbstständige, die von zu Hause aus arbeiten, andere pendeln nach St. Pölten, Krems oder Wien, ein Paar ist bereits in Pension oder Andere zur Zeit in Karenz.

Momentan wird gerade der zweite Abschnitt gebaut: zwölf zusätzliche Wohnungen sind schon vergeben an weitere 24 Erwachsene mit neun Kindern. Falls eine Wohnung in den Passivhäusern mit Ökostrom und Solar-Warmwasseraufbereitung frei werden sollte, kann man sich auf eine Warteliste setzen lassen.

Führungen, Kurse und Workshops

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