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Bild, by Amnesty International/ Marcel Nimführ
Traiskirchen

„Unmenschlich, unnötig, beschämend“

Montag, 17. August 2015
Die „Research Mission“ von Amnesty International im Flüchtlingslager Traiskirchen ergab grobe Missstände, die vielfach leicht zu beseitigen wären.

„Ich habe so etwas in Österreich nicht für möglich halten. Traiskirchen ist wie ein aufplatztes Krebsgeschwür in einem längst Metastasen-zerfressenen Körper“: Heinz Patzelt, dem Generalsekretär von Amnesty International Österreich, steht bei der Präsentation der Ergebnisse der reasearch mission in der Bundesbetreuungsstelle der Zorn ins Gesicht geschrieben. Er habe früher Flüchtlingslager in Süditalien betreut und in Albanien mitorganisiert. Dort sei mit wesentlich weniger Mitteln ein Vielfaches an Menschenwürde erreicht worden, betonte Patzelt.

Konkret ergaben die Untersuchungen der Menschenrechtsorganisation eine unzureichende medizinische und soziale Versorgung, grobe, auch bei größter Ressourcenknappheit vermeidbare Ignoranz und Gedankenlosigkeit im Umgang mit den Flüchtlingen und eine besonders prekäre Situation für Kinder und Jugendliche, die allein nach Österreich geflüchtet sind.

Stundenlanges Anstehen in sengender Hitze

Daniela Pichler, die Leiterin des AI-Research-Teams, berichtete von fehlenden Unterkünften und elendslangen Warteschlangen: „Als wir vor Ort waren, mussten rund 1500 Menschen in Traiskirchen im Freien schlafen. Dazu kommen noch jene, die außerhalb des Geländes übernachten. Ein unhaltbarer Zustand“, so Pichler. Vielfach müssten sich die AsylwerberInnen, darunter auch Schwangere und Frauen mit Babys, stundenlang bei sengender Hitze um ihre Identitätskarten anstellen, berichtet die Amnesty-Expertin: „Ein einfaches Wartenummern-System wäre schon eine deutliche Verbesserung“.

Besonders prekär sei auch die Situation der Kinder und Jugendlichen, die allein nach Österreich geflüchtet seien. Pichler: „Es gibt für sie keine adäquate Betreuung. Viele von ihnen sind noch immer obdachlos.“ Insgesamt sei die Behandlung von unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen „eine klare Verletzung des Kindeswohls“, so Pichler. Die UN-Kinderrechtskonvention, die auch Österreich unterzeichnet habe, werde mit Füßen getreten.

Von einer mangelnden medizinischen Versorgung der Flüchtlinge in Traiskirchen spricht Siroos Mirzaei, der als medizinischer Experte von Amnesty International ebenfalls dem Research-Team angehörte: „Die Menschen müssen oft lange, manchmal sogar tagelang warten, bis sie behandelt werden. Dadurch können ersthafte medizinische Probleme entstehen“, betonte der Arzt. Patzelt berichtete von einem ein Monate alten Baby, das mit einer Gehirnerschütterung und mit einem Nabelbruch unversorgt neben einem Bus im Schatten liegend vorgefunden wurde.

Insgesamt sind in Traiskirchen jeweils vier ÄrztInnen vor Ort. Für die Behandlung von kranken Flüchtlingen bleiben ihnen nur wenige Stunden pro Tag. Den Großteil ihrer Zeit sind sie mit Kontrolluntersuchungen bei der Registrierung der Menschen beschäftigt. Dazu kommt die unzureichende psychologische Betreuung: Für das gesamte Flüchtlingslager mit Tausenden, teils schwer traumatisierten Menschen, stehen nur drei PsychologInnen zur Verfügung.

Vor diesem Hintergrund stößt Mirzaei sauer auf, dass Österreich gleichzeitig für die – aus seiner Sicht unzuverlässige –Altersbestimmung viel Geld ausgibt: „Diese radiologischen Untersuchungen kosten insgesamt mehrere Hunderttausend Euro im Jahr. Wenn Sie mich fragen: Das Geld wäre in der Versorgung der Flüchtlinge viel, viel besser angelegt.“

Die Duschen und Toilettenanlagen der Betreuungsstelle fand das Research-Team in einem fürchterlichen hygienischen Zustand vor: „Teilweise schwammen noch Exkremente herum“, berichtete Mirzaei.

Am meisten erzürnt die MenschenrechtsexpertInnen, dass viele Missstände leicht und ohne finanziellen Aufwand vermeidbar wären: „Es ist völlig unnötig und beschämend, beispielsweise einen zwölfjährigen Bub getrennt von seinem Vater unterzubringen – mit dem Ergebnis, dass beide lieber im Freien schlafen, als getrennt zu sein“, nennt Patzelt ein Beispiel. Pichler nennt ein anderes: „Für die Frauen ist verheerend, dass es keine geschützten Duschräume gibt. Die Duschen sind zwar voneinander abgetrennt, sie haben aber keinen Duschvorhang und sind direkt zu den Fenstern ausgerichtet. Sprich: Man kann von außen hereinsehen.“ Manche Frauen duschen deshalb lieber gar nicht, als sich dieser Situation auszusetzen.

Strukturelles Systemversagen

Patzelt: „Traiskirchen ist das zentrale Symptom für ein fast vollständiges, strukturelles Versagen des föderalen Österreich im Umgang mit Kriegsflüchtlingen. Und dieses Systemversagen in der Flüchtlingsversorgung ist selbst verursacht, selbst verschuldet und von manchen sogar gewollt.“

Amnesty International hat nun eine Reihe an Forderungen ausgearbeitet, die die Lage der Flüchtlinge schnellstmöglich verbessern sollen: Neben der vordringlichen rechtlichen Neugestaltung des Zuweisungs- und Unterbringungssystems zur sofortigen Beseitigung der Obdachlosigkeit in der Betreuungsstelle Traiskirchen fordert Amnesty International etwa eine ausreichende, menschenrechtskonforme medizinische Versorgung.

Besonders schutzbedürftige Gruppen, darunter Überlebende von Folter, gesundheitlich schwer beeinträchtigte Personen, Schwangere, ältere Menschen sowie unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge sollen verstärkt in den Blickpunkt rücken. Für Kinder und Jugendliche, die allein nach Österreich geflüchtet sind, verlangt Amnesty International eine umgehende, altersadäquate Betreuung und einen gesetzlicher Vormund, der ihre Interessen wahrt.

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