Manche der Schuhmacherhandwerk-Begriffe sind doppeldeutig. Afterleder bedeutet im Maßschuhjargon Hinterkappe, im Wörterbuch steht „gegerbte Gesäßhaut“. Beim kraftaufwendigen Stuppen werden kleine Zacken von Hand in den Schuhrahmen eingepresst. Im österreichischen Dialekt heißt stuppen auch pudern – also das Gesicht pudern.
Exquisite Schuhe
Christian Schörghofer und Lukas Biermann kennen sich seit der Lehre bei einem Wiener Maßschuhmacher. Christian lernte eigentlich einen Sozialberuf, arbeitete als Lagerlogistiker in einem Tiefkühlhaus, bis ihn eine Freundin in die Schuhmacherwerkstatt der Modeschule Hetzendorf mitnahm. Danach beschloss er eine Lehre zu machen und suchte ein Jahr lang nach einer Ausbildungsstelle, bis der Traditionsbetrieb Rudolf Scheer und Söhne ihn schließlich als Lehrling einstellte. Dort traf er den Hamburger Lukas, der eigentlich Geschichte und Anglistik studiert hatte. Doch kurz vor der letzten Abschlussarbeit entschied er, lieber Schuhmacher zu werden. Er bewarb sich bei Betrieben in England, Ungarn, Italien, Frankreich, USA und eben auch in Wien bei Rudolf Scheer. Drei Jahre lang saßen Christian und Lukas nebeneinander, drückten gemeinsam die Schulbank und bauten exquisite Schuhe: Verkaufspreis pro Paar ab 3.500 Euro.
Wieselmann
Nach seiner Ankunft in Wien und einigem Sofahopping fand Lukas einen kleinen Laden in der Wiedner Hauptstraße. Er wohnte hinten und veranstaltete im straßenseitigen Teil Konzerte und Ausstellungen. Nach der Gesellenprüfung im Februar 2014 richtete er sich eine Werkstatt ein, kaufte hundert Jahre alte fußbetriebene Nähmaschinen, Ahlen, Leisten und Hirschkleber ein. Christian kam öfters zu Besuch, sie bauten Schuhe, um nicht aus der Übung zu kommen und beschlossen schließlich gemeinsam. den Maßschuhladen Wieselmann aufzumachen. Maßschuhe kann man aber erst Mai 2015 bestellen, momentan reparieren sie Schuhe, Taschen und Ledermäntel.
Wieselmann ist eigentlich Lukas Spitzname. Ein Relikt, das von einer sehr kurzlebigen Punkband übrig geblieben ist. Es sollte sein Bühnennamen werden: Klaus Wieselmann. Die Band zerfiel, der Spitzname blieb. Der hängt jetzt über dem Laden.
Der perfekte Schuh
In 40 bis 60 Stunden bauen sie in Handarbeit Schuhe. Dreimal muss der Kunde vorbeikommen. Zum Maßnehmen, den Probeschuh testen und zum Abholen des Maßschuhes. Jeder Schuhkäufer bekommt eine eigene Holzform, Leiste genannt. Der Rohling wird mittels Schnitzen und Holzkitt genau an den Fuß angepasst.
Der Reiz des Schuhmachens liegt für die Beiden darin, eigene Muster zu zeichnen, das passende Leder auszusuchen und ein individuelles Produkt entstehen zu lassen. Es ist auch ein Statement gegen den Weg-Werf-Schuh, der unter prekären Bedingungen in überfüllten Fabriken in Bangladesch hergestellt wird. Wieselmanns Maßschuhe halten ein Leben lang. „Für jeden Kunden werden die perfekten Schuhe gemacht. Wir nehmen Blaupausen, bauen Probeschuhe um sicher zu gehen, dass der fertige Schuh für optimalen Komfort sorgt, den Fuß schöner macht und dass beim Gehen weder Blasen noch Druckstellen entstehen,“ sagt Christian.
Factbox
Handgemachte Schuhe ab 1.500 Euro,
Service: Schuhe, Handtaschen und Lederprodukte reparieren und pflegen.
Wieselmann
Wiedner Hauptstraße 83,
1050 Wien
Tel.: +43 6991 24 37 626
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag: 10.00 bis 18.00 Uhr, Samstag 11.00 bis 18.00 Uhr
Die meiste Arbeit passiert im Schoß der Schuhmacher. Mit dem synthetischen Fäden wird die Sohle mit dem Oberteil verbunden. Die Risslippe versteckt die Laufsohlennaht, damit sie den Boden nicht berührt. Die Güte der Rahmennaht macht den Qualitätsunterschied aus. Sie hält den Schuh zusammen. Die perfekte Ausführung erlaubt den beiden Schuhmachern, eine lange Garantie auf die Haltbarkeit des Schuhes zu geben. Der wichtigste Teil des Schuhs ist die Brandsohle, die aus drei bis fünf Millimeter dünnen pflanzlich gegerbten Leder besteht. Sie „schwimmt“ bei jedem Schritt mit und erhöht den Gehkomfort. Hunderte kleine Handgriffe sind notwendig, bis der Kunde nach vier Monaten seinen Maßschuh abholen kann.