Hoch aufs Pferd

Eine Hommage an die beste aller Schachfiguren: Die einzige, die ihr wahres Gesicht zeigt.

Es gibt immer ein Lieblings-. Ein Lieblingsplatzerl, ein Lieblingsessen, ein Lieblingskind und selbstverständlich eine Lieblingsschachfigur. Sechzehn Steine stehen jedem Spieler zu Beginn einer Begegnung zur Verfügung, aber nur sechs verschiedene Arten davon. Eigentlich eine ganz gute Zahl, die einerseits genug Variationsmöglichkeiten bietet, andererseits den menschlichen Geist nicht überfordert. Entscheiden muss man sich trotzdem, zu welcher man greift und welche einen nach der Partie nächtelang im Traum heimsuchen wird. Es hängt immer von der jeweiligen Situation ab, welche Figur gerade die am sinnvollsten einsetzbar ist. Aber über diese Gesamtheit hinweg oute ich mich: Ich mag die Ferdln.

Springer – so der Schachfachbegriff – sind alleine wegen ihrer Gangart pfiffig. Zwar hüpfen sie nicht allzu weit, doch weil sie im Gegensatz zu allen anderen Figuren nicht linear ziehen und außerdem andere Steine überspringen können, sorgen ihre Kapriolen immer wieder für Überraschungen auf dem Brett. Mit dem „erstickten Matt“ verfügt selbst die letzte Schindmähre über eine gar nicht so selten vorkommende Option, einen eingesperrten gegnerischen Monarchen ganz alleine zu erledigen (blöd ist, dass zwei Springer selbiges Kunststück gegen einen klugen König auf freier Flur nicht zustande bringen). Dieser Superkraft zollt auch der Schachfreund Respekt: Schafft er es einmal, einen Bauern bis ans andere Ende des Brettes zu dirigieren, so stellt er sich laut einer Statistik unter starken Spielern zwar zu 97 Prozent eine Dame auf, mit einer Wahrscheinlichkeit von fast 2 Prozent wird es aber ein Springer, und nur gut 1 Prozent der Verwandlungen entfallen auf Turm und Läufer gemeinsam (und das sind häufig Scherzverwandlungen, weil’s schon wurscht ist).

Lebensnah

Der Schachnachwuchs liebt ebenfalls die Gäule, obwohl deren Gangart am schwersten zu erlernen ist. Kleine Mädchen tun das sowieso, diese Eigenschaft steckt offenbar fix im zweiten X-Chromosom. Das Ross ist für die Kinder aber vor allem die am besten begreifbare aller Figuren. Da kommt nur noch der König halbwegs heran, den sie zumindest aus dem Märchen kennen. Das Pferd ist unsrer Lebenswelt am allernächsten, denn das Pferd ist ein Pferd ist ein Pferd aus Fleisch und Blut. Rösser kennen wir alle, Könige eher nicht. Und hat gar schon einmal jemand einen Läufer mit Bischofsmütze an der roten Ampel warten sehen?

Nächster Sympathiepunkt: Springer sind ihrem Wesen nach unsymmetrisch, auch figürlich. Viele Schachfreunde richten die Rösser zu Beginn einer Partie mit dem Gesicht (Ohren, Augen, Nüstern – welche Figur hat das denn sonst noch?) bewusst aus, was bei den anderen Steinen nicht nötig ist, da sie ohnehin von jeder Seite gleich aussehen. Außer wiederum dem Kreuz tragenden König, dem man aber eine Sonderbehandlung schon deshalb erweist, weil er halt König ist. Das Pferd tanzt mehr als alle andren aus der Reihe, es ist innerhalb der Figurenpalette einzigartig. Es hat Charisma. Dafür bekommt es Aufmerksamkeit.

E. T.

Nicht zuletzt ist equus ferus caballus, das Hauspferd, seit etwa 6000 Jahren ein verlässlicher Begleiter des Menschen, was man von den Königen nicht unbedingt behaupten kann. Fury, Rosinante, Bukephalos und E. T. legen ein wiehernd Zeugnis davon ab. Als alter Kavallerist – ehrlicher gesagt: Tragtierführer – weiß ich um die Nützlichkeit des Pferds. Schon die bloße Pflege der Tiere wie der Umgang mit ihnen machen Spaß und stiften Sinn, und Reiten ist ohnehin ein Non plus ultra. Wer einmal durch ein unberührtes Schneefeld galoppiert ist, dem bleibt das unvergesslich. Zugegebenermaßen können die Einhufer auch zur Belastung werden. Im echten Leben versorgt der Berittene immer vorrangig sein Ross, dann erst hat er Zeit für sich. Auch am Schachbrett bereitet einem der Springer nicht nur am Rand oft sprichwörtlich „Kummer und Schand“. Andererseits ist er eine starke Blockadefigur, bewährt sich hervorragend in verschachtelten Stellungen und hat mit einem feschen Gaberl schon so manche unachtsame Dame zur Strecke gebracht.

So halte ich es also mit Shakespeares Richard III.: Ein Pferd! Ein Pferd! Mein Königreich für ein Pferd! – Man versuche freilich, auf seine Gäule besser aufzupassen als der König aus dem Drama. Dieser hat nämlich nach seinem Schlachtross sein ganzes Leben verloren.