Schachadel, Teil 2

Wer trotz großer Anstrengungen kein Spitzenschachspieler werden kann, trägt manchmal einen Minderwertigkeitskomplex mit sich herum. Ein Titel kann Abhilfe schaffen.

Vergangenen Monat war an dieser Stelle vom Schach-Hochadel die Rede: Großmeister (GM) und Internationale Meister (IM) sind die Titel, die an jene verliehen werden, die nachweislich etwas vom Spiel verstehen. Etwa 5000 dieser Koryphäen gibt es auf der Welt. Sie beziehen aus dem Schachspielen und -unterrichten bereits nennenswerte Einkünfte, und wer es darauf anlegt, kann – obwohl meist eher schlecht als recht – sogar davon leben. Sie sind also quasi die Bundesliga- bis Weltklassefußballer des Schach.

Doch es gibt auch die Regionalligakicker, die den Sprung nach ganz oben eben nie schaffen. Das muss nicht, aber es kann ziemlich frustrierend sein. Um diese Leute davon abzuhalten, Amok zu laufen und in vollen Turniersälen Blutbäder anzurichten, hat man auch für sie schöne Titel geschaffen, mit denen sie sich schmücken dürfen, nachdem sie gewisse Leistungen erbracht sowie die Verleihungsgebühren überwiesen haben. Die nächstniedrigeren Kategorien sind die FIDE-Meister (FM), die Nationalen Meister (NM) und als letztes Glied der Auszeichnungskette die Meisterkandidaten (CM). NM und CM wurden bis vor ein paar Jahren noch als ÖM (Österreichischer Meister) und MK geführt, wobei ein ÖM skurrilerweise niemals österreichischer Staatsmeister gewesen sein muss. Dass all diese Bezeichnungen zusätzlich noch mit einem vorangestellten W („Woman“) existieren, ist etwas, worüber man eigentlich den Mantel des Schweigens breiten sollte: Damit werden – nach Erbringung wesentlich geringerer Anforderungen – Frauen gede…, äh, geehrt.

Huber, einfach Huber

Mit der Würde eines GM und IM ist, wie bereits beschrieben, ein konkreter Nutzen verbunden. Ein FM ist zumindest nicht der Schlechteste, ein ÖM klingt wenigstens noch halbwegs gut, aber was in aller Welt bewegt jemanden dazu, sich den Titel MK verleihen zu lassen? „Meister-Kandidat“, das hört sich ja schon fast wie eine Beleidigung an – und tatsächlich nimmt er in der Hierarchie ungefähr den Rang eines Untervizestellvertreterassistentenaspiranten ein, wird von oben her belächelt und von unten her, von vollkommen Besitzlosen wie meinereinem, zum „Märchenkönig“ oder „Mistkäfer“ verballhornt. Okay, ein Titel. Sich damit bei einem Turnier anzumelden, ist freilich ungefähr so, als würde man mit dem Blutspendeorden beim Opernball antanzen (wobei der Blutspendeorden vermutlich ehrlicher verdient ist als die meisten anderen dort präsentierten Auszeichnungen…). Diese Ansicht dürften sogar die meisten potentiellen Meisterkandidaten teilen. Anders ist es wohl nicht zu erklären, dass in der österreichischen Elo-Liste weniger MK als IM aufgeführt sind, obwohl natürlich weitaus mehr Personen die Voraussetzungen für ersteren Titel erfüllen als für zweiteren.

Fanny Starhemberg – einst Fürstin, dann christlichsoziale Politikerin – sagte in den 1920er-Jahren: „Uns macht die Aufhebung des Adels nichts, wir bleiben mit oder ohne den Titel immer die Starhembergs.“ Daran ist nicht zu rütteln: Ab einem gewissen Status ist man auf dessen formelle Bestätigung nicht mehr angewiesen. Ein Großmeister ist von dieser Ehrenbezeichnung nicht mehr abhängig, er ist auch ohne sie ein großmeisterlicher Schachspieler, dessen Namen man kennt. Bitter würde es dagegen für den Meisterkandidaten Huber, nähme man ihm seinen MK weg. Niemand würde mehr auf den ersten Blick erkennen können, dass er in seinem Leben schon einmal ein paar gute Partien gespielt hat. Er wäre einfach wieder ein Schachspieler wie alle anderen.