Die Schmähs der Orchideen
Podcast mit Manfred Speckmaier
Von wegen Hobby für ältere Männer: Manfred Speckmaier züchtet Orchideen - seit seinem zwölften Lebensjahr. Der gelernte Braumeister und Obmann der Wiener Orchideengesellschaft ist heute für die rund 300.000 Orchideen des botanischen Gartens der Uni Wien zuständig. Seine Leidenschaft begründet er – neben den ästhetischen Aspekten – mit der Raffinesse der Orchideen bei der Fortpflanzung: „Orchideen sind schlau und haben die tollsten Tricks entwickelt, um Insekten als Kuriere für Pollenpakete einzusetzen.“ Bestimmte Arten haben eines der Blütenblätter zu einem „Landeplatz“ für bestäubende Insekten umgeformt. Mit der Aussicht auf eine leckere Nektarmahlzeit oder einem schnellen Sexabenteuer locken die Blumen Bestäuber auf diese „Lippe“ - entweder durch spezielle Düfte oder Lippen, die aussehen, wie Sexualpartnerinnen.
Längenwettbewerb
Einziger Nachteil der Täuschaktionen: die einzelnen Orchideenarten sind so spezialisiert, dass jede von einer separaten Insektenart abhängig ist. So ist etwa der „Stern von Madagaskar“ (Angraecum sesquipedale) auf einen Nachtfalter angewiesen: Das Pollenpaket klebt an der Blüte. Um den Nachtfalter Xantophan morganii praedicta dazu zu bringen seinen Kopf an die weißen sternförmigen Blütenblätter zu legen, versteckt die Orchidee den Nektar in einem bis zu 40 Zentimeter langen schlauchförmigen Sporn. Der Falter muss seinen Kopf an die Blüte anlegen, um mit seinem Rüssel an den Boden des Sporns zu gelangen und nimmt dadurch das Pollenpaket auf. Wäre der Rüssel zu lang, würde die Orchidee das Nachsehen haben, weil der Kopf des Falters nicht bis an die Blüte gelangt. Man nimmt an, dass die Orchideen sich daher mit den Faltern einen evolutionären „Längenwettbewerb“ lieferte: der Sporn wurde zunehmend länger.
Orchideenschmähs
Ragwurzen scheinen überhaupt hinterlistig zu sein. Die Lippe von „Helenes Ragwurz“ (Ophrys helenae) ist weinrot bis dunkelbraun gefärbt und erscheint in der Dämmerung als schwarz. Dadurch wird Bienenarten, die in Erdlöchern leben, eine Höhle vorgegaukelt. Will die Biene zum Übernachten in diese „Höhle“ fliegen, stößt sie aber an die Blüte; wenn sie enttäuscht weiterfliegt, hat sie am Kopf die Pollenpakete der Ragwurze kleben.
Andere Varianten der Ragwurze setzen auf optische Täuschung. Drohnen schlüpfen früher als die Bienenköniginnen. Dass zu diesem Zeitpunkt noch keine Sexualpartnerinnen verfügbar sind, nutzen diese Orchideen aus: sie haben eine Lippe entwickelt, die wie ein Bienenweibchen aussieht und die Drohnen anlockt. Die „bremsigen“ Insekten lassen sich davon täuschen und nach einer kurzen „Pseudokopulation“ im Luxusbett bemerken sie den Betrug. Doch da klebt schon das Pollenpaket an ihren Körpern. Und bei der nächsten Blüte fällt die Drohne wieder auf den Orchideentrick rein.
Kolibris
Aber nicht nur Insekten werden als Pollenkuriere „missbraucht“, sondern auch Frösche, Fledermäuse und Kolibris. Auch hier haben die verschiedenen Orchideenarten einzigartige Tricks entwickelt. Da Kolibris die üblicherweise gelb gefärbten Pollenpakete sofort abstreifen würden, sind die Pollen der entsprechenden Orchideenarten grün gefärbt. In der grünen Dschungelkulisse merkt der Vogel nicht, dass er den Pollen am Schnabel kleben hat.
Orchideenschau
Weltweit gibt es rund 30.000 Orchideenarten. Immerhin 90 davon kommen in Österreich vor. „Wien ist orchideenmäßig fantastisch“ sagt Speckmaier. Gelegen zwischen Wienerwald und pannonischer Ebene gibt es feuchte bis trockene Böden, ideale Lebensräume für die heimischen Arten, etwa in den Donauauen, am Bisamberg und am Kahlenberg. „Und sie sind alle mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen.“ Weniger wanderfreudige können einmal pro Jahr – während der Raritätenbörse – die Gewächshäuser im Botanischen Garten besichtigen. Alle zwei Jahre findet außerdem in den Bundesgärten Hirschstätten die Internationalen Orchideen- und Tillansienschau statt. Auf 2.000 Quadratmetern stellen 30 Gärtnereien aus Europa und Südamerika Orchideen aus.