Micky Klemsch besuchte mehrere Craft-Bier-Festivals in Deutschland. Die Idee, handgemachte Biere aus kleinen Brauereien abseits des Mainstreams zu präsentieren, gefiel ihm. In Österreich wartete er vergeblich darauf, dass jemand ein ähnliches Fest veranstaltet. Also beschloss er, gemeinsam mit einem Bierblogger und Onlinehändler ein Craft-Bier-Fest in Österreich zu veranstalten. 21. und 22. November 2014 findet es bereits zum zweiten Mal statt. 220 verschiedene Biere aus elf Ländern stehen zur Verkostung.
In 194 Braustätten werden mehr als 1000 verschiedene Biere gebraut und rund neun Millionen Hektoliter Bier pro Jahr produziert. Jeder Österreicher trinkt durchschnittlich 107 Liter Bier – 251 Krügerl - pro Jahr und liegen weltweit beim Bierkonsum, hinter Tschechien, auf dem zweiten Platz.
In Österreich gibt es Ausbildungen zum Biersommeliers*. Diese findet meist in Brauereien statt. Die Teilnehmer kennen sich danach mit dem Bierherstellungsprozess aus, können Köche bei Biergerichten beraten und wissen über die positiven, gesundheitlichen Auswirkungen des moderaten Bierkonsums. (*Korrektur nach Hinweis von Torsten Goffin - es gibt selbstverständlich auch Biersommelierausbildungen in anderen Ländern, nicht nur in Österreich - herzlichen Dank).
Mainstream-Abwaschwasser
„Bier soll von seinem schlechten Image befreit und als Genussmittel etabliert werden,“ sagt Klemsch. „Die weltweit agierenden Braukonzerne produzieren Biere, die zwischen Kapstadt und Helsinki auf den kleinsten gemeinsamen Geschmacksnenner reduziert worden sind. Ein Mainstream-Abwaschwasser. Dem gegenüber steht die Craft-Beer-Szene. Kleine Betriebe brauen nicht für den Massengeschmack, sondern Biere, die ihnen selber schmecken.“
Aber auch große Brauereien entdecken die alten Bierstile. Ottakringer hat einen ehemaligen Lagertank in eine Craft-Bier-Brauerei umgebaut. Der Kreativbraumeister des „Brauwerks“ braut drei Sorten. Rund 1.500 Hektoliter sollen abgefüllt werden.
Stiegl hat ein Pale Ale auf den Markt gebracht. Sie experimentieren schon seit 20 Jahren mit Craft-Bieren und bringen sie unter kreativen Namen wie „Ghmade Wiesn“-Kräuterbiere oder „Schneeweißchen & Orangenrot“-Weizenbiere auf den noch kleinen Markt. Die Craft-Biere halten zirka fünf Prozent des Marktanteils.
Kreativbrauer
Die Szene der Craft-Bier-Brauer wächst langsam. „Ich kenne viele, die anfangs Sude in Kochtöpfen gekocht und am Balkon abgekühlt und dann im Keller gelagert haben. Bei den Treffen der Hobbybrauer werden die Biere verkostet.“ Klemsch hat selbst probiert, Bier zu brauen. Es gelang nicht. „Die Biere der Anderen sind besser.“
Die Kreativbrauer experimentieren mit Dinkel, Roggen, Urgetreide, verwenden Hopfen-Raritäten und mischen exotische Früchte oder Rosenextrakt in ihre Sude. Die Biere reifen mancherorts in ehemaligen Rum- oder Whiskey-Barriquefässern. Andere lassen alte Brautraditionen wieder aufleben, wie Markus Führer.
Zwischen 1642 bis zum Brand in der Brauerei 1895 wurde in Gablitz Bier gebraut. Führer nimmt die Tradition wieder auf und baut gerade ein Brauhaus in einer ehemaligen Fleischerei. Rund 650 Hektoliter will er pro Jahr produzieren. Abgefüllt in Flaschen und auch in Fässern. Er braute seine ersten Sude im Keller. 50 Liter stellte er her und gewann mit dem „Gablitzer Original“ den Pils-Staatsmeistertitel in der Kategorie Klein- und Hausbrauer. Schon jetzt braut er das „Wiener Lager“, das „Böhmische Pils“, das „Bernstein Märzen“, das Whiskey Stout und plant das Kleinod- Rosenbier für das Craft-Bier-Fest. „Meine Frau liebt Rosen“, sagt Führer, „ich habe lange mit hochwertiger Rosenessenz, die ist abartig teuer, experimentiert.“
„Dunkle Materie“
Die vier Jungs von BrewAge brauen seit Mai 2014 vier Sorten: Pale Ale, Wiener Lager, Holunderblütenbier und die „Dunkle Materie“: ein Black IPA oder American Black Ale: ein tiefschwarzes Bier mit cremiger Schaumkrone, mit intensiven Hopfenaromen. Es schmeckt beim Antrunck nach Espresso und Zartbitterschokolade.
Die Beschreibungen der Biere erinnern an die der Weine: dezente Hopfungen seien die ideale Grundlage zur Entfaltung von Holunderblüten, Malzsorten erzeugen einen komplexen Körper mit Noten nach Biskuit und herrlichen exotischen Noten, die im Antrunck an Ananas erinnern und dann ins Bittere übergehen.
Waldbier, Honigbier und Haselnussbier
Die handwerklichen Biere sind nicht billig. Zwischen 1,50 Euro bis 380 Euro pro Flasche. „Beim Doppler fragt auch keiner warum er billiger ist als der Qualitätswein“, sagt Klemsch.
Der Craft-Bier-Spezialist, der Großhändler Ammersin auf der Wiedner Hauptstraße, bietet momentan rund 350 Biersorten an. Kosten zwischen 1,50 bis 380 Euro pro Flasche. Wöchentlich kommen neue Kreationen dazu. Nicht nur Beergeeks kaufen hier ein, sondern auch Gastronomen lassen sich von den beiden Biersommeliers beraten. Köche kaufen etwa Chocolate-Stout, um den Tafelspitz zu verfeinern.
Auf Speisekarten wird Bierbegleitung zu mehrgängigen Menüs angeboten. Auch der Chefkoch des Badeschiffs, Sandro Balogh, kocht mit bitteren Bieren Innviertler Knödel, mit sauren Bieren Fisch, mit Honigbier Lebkuchenmousse, Rollgerste mit Waldbier und Bergkäsemousse mit Haselnussbier und hauseigenem Honig. Seit einem Jahr wohnen im Sommer rund 90.000 Bienen in zwei Stöcken am Badeschiff.
Der Bierpapst Conrad Seidl freut sich, dass die Craft-Biere endlich in Österreich Mode werden. Er hofft, dass es keine Mode bleibt, sondern dass die Brauerszene in den nächsten Jahrzehnten weiter wächst.
Immer mehr Lokale bieten Craft-Biere an:
Craft-Bier-Fest
Factbox:
Craft-Bier-Fest:
21.-22. November 2014,
ehem. Anker-Expedithalle
Puchsbaumgasse 1C, 1100 Wien
Eintritt: rund 10 Euro, Festivalglas kostet 7 Euro
220 Biere aller Stile
aus elf Ländern
Badeschiff hat ein Craft-Zimmer
Donaukanallände, 1010 Wien
Dogstar im Shamrock
Kirchengasse 3, 1070 Wien
Fassldippler
Johann Strauss Gasse 42, 1040 Wien
Mel's Diner
Passauer Platz 2, 1010 Wien
Paul's
Herrenstraße 36, 4020 Linz an der Donau