Marliese Mendel
Kaffeefabrik

Geschmacksfreudenhaus in Wieden

Mittwoch, 13. Mai 2015
Tobias Radinger röstet seit vier Jahren Kaffee, ist Staatsmeister im Kaffeeverkosten und weiß außerdem, was mit dem dritten Mitglied der Kabarett-Gruppe Maschek passiert ist: der ist ausgewandert und baut jetzt in Nicaragua Bio-Kaffee an.

Tobias Radingers Leidenschaft für Kaffee begann auf Ebay. Gemeinsam mit einem Freund hatte er gerade die Buchhandlung Phil mit angeschlossenem Kaffeehaus gegründet. Sie brauchten eine Kaffeemaschine, und natürlich sollte es eine italienische sein.

Das Gerät, das sie ersteigerten, stand in einem Schuppen auf einem Campingplatz in der Nähe von Genua. Sie brachten es nach Wien und ließen es restaurieren. Anfangs waren Tobias' Ansprüche moderat: „Oben Kaffeebohnen rein und unten Kaffee raus.“ Das änderte sich rasch: er brachte sich bei, wie man die Maschine repariert und wartet, besuchte Kaffeesommelier-Kurse. Als er anfing, seinen Kaffee in einer kleinen Handtrommel selbst zu rösten, hatte ihn das Röster-Virus endgültig infiziert.

Kleine Kaffeebauern

Dass kleine Röstereien funktionieren können, sah er bei einem Aufenthalt in San Francisco. Dort stellten Jungcafetiers in unverputzten Lagerhallen sündteure Kaffeemaschinen auf, brühten fair gehandelten Bio-Kaffee auf und die Leute standen Schlange. Tobias beschloss, in Wien eine Rösterei samt kleinem Shop aufzumachen und sich seine Kaffeebauern selbst auszusuchen. Inzwischen importiert er rund 10 Tonnen Bio-Kaffee pro Jahr aus Sumatra, Columbien, Äthiopien, Nicaragua, Honduras, Indien und Guatemala. In Breitenbrunn röstet Tobias die Ware und produziert sowohl sortenreinen Kaffee als auch ausgewählte Mischungen.

Tobias machte sich in Äthiopien, dem Ursprungsland der Arabica-Bohne, auf die Suche nach kleinen Kaffeebauern und Kooperativen.

Der Geruch

Seit Jahren arbeitet er nun mit den gleichen Kaffeegärtner zusammen und finanziert 60% der Ernte zinsfrei vor. Doch „die Bauern wissen wenig über die Potentiale ihres eigenen Produktes. Zwar pflegen sie die wunderbare Tradition einer Kaffeezeremonie - leider rösten sie ihre Bohnen dabei über offenem Feuer bis sie kohlrabenschwarz sind.“ Deshalb hat Tobias bei einem seiner nächsten Besuche „seinen“ Kaffeegärtnern den Kaffee mitgebracht, den er aus ihren Bohnen geröstet hat: „Sie rochen daran und wollten wissen was wir dazutun. Sie waren vom Geruch überwältigt und konnten es kaum glauben, dass ihr Kaffee so riecht, wenn man ihn richtig röstet.“

Um den Import von kleinen Kaffeemengen rentabel zu machen, haben sich sieben Röster aus Österreich, Deutschland, Frankreich und Dänemark zu den Roasters United zusammengeschlossen. Sie besuchen jedes Jahr „ihre Kaffeebauern“. Sie kaufen nicht nur ein, sondern bringen auch Know-How mit. In Indien baut Freiburger Cafetier gerade den Anbau von Robustabohnen auf. In Sumatra lädt ein Kollege aus Paris die Kaffeebauern zu Verkostungsworkshop, um zu zeigen, was man aus den Bohnen machen kann. „Die Bauern sind begeistert.“

Weltmeisterschaften

Die Roasters United möchten den Kaffeebauern die Geschmacksrichtungen nicht aufoktroyieren. Durch die Workshops wollen sie den Produzenten aber zeigen, wie sie auf dem Weltmarkt bessere Chancen haben. Immerhin ist Kaffee für viele Anbauländer eines der Hauptexportgüter; Äthiopien zum Beispiel exportiert rund 300.000 Tonnen pro Jahr, das macht 31 % der gesamten Exporte aus. Die rund 33.000 Kaffeebauern in Nicaragua erwirtschaften rund 200 Millionen Dollar pro Jahr aus den Exporten und Indonesien verschifft pro Jahr rund 400.000 Tonnen Kaffee.

Die Kaffeegärtner schicken nach jeder Ernte zuerst Samples nach Europa, daraus wählen die Roasters United die passenden Kaffeesorten aus. Tobias hat seine Geschmacksnerven inzwischen so gut trainiert, dass er 2015 Österreichischer Staatsmeister in Kaffeeverkostung geworden ist. Bei dem Wettbewerb werden acht mal drei Tassen, zwei mit identischem Kaffee und eine „falsche“, serviert. Die Aufgabe ist es den „Falschen“ zu identifizieren. Gerade bereitet er sich auf die Weltmeisterschaften im Juni in Göteborg vor.

Instantkaffee

Den Kaffee aus Nicaragua – den Grandoro – bezieht Tobias von Maschek-Mann Ulrich Salamun. Das Mitglied der Kabarett-Gruppe betreibt in der Casa de los tres mundos in Granada ein Kaffeehaus, baut in der Provinz Jinotega biologischen Hochlandkaffee an. Was er zukauft, stammt ausschließlich von kleinen Bauern, die nachhaltig anbauen und weit über Marktpreis bezahlt werden. Einen Großteil der Bohnen exportiert Salamun. Um die Wertschöpfung auch im Land zu halten, vor Ort eine Rösterei eröffnet. Damit liegt er im Trend: viele Initiativen beginnen, für den lokalen Markt zu produzieren. Paradoxerweise ist das nicht die Regel: „Brasilien ist das größte Kaffeeanbauland, trotzdem trinken die meisten dort nur Instantkaffee.“

Tobias' eigene Röstungen kann man in seinem Lokal, der Kaffeefabrik in der Favoritenstraße verkosten, aber auch andere Gastronomen schwören auf seinen Kaffee. Kaffeefabrik-Kaffee ist u.a. im Engel, im Salon am Park, im Zweistern und im Vestibül im Burgtheater und im Gasthaus zur Dankbarkeit in Podersdorf erhältlich. Beliefert werden die Privatkunden und Lokale in Wien ausschließlich mit dem Lastenfahrrad.  

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