Marliese Mendel
Finanzierung

„Wer Angst vorm kacken hat, isst auch nicht“

Sonntag, 14. September 2014
Vor 20 Jahren ging die amerikanische Lokalzeitung „The News & Observer in Raleigh", North Carolina, online. Im Oktober 1994 folgte der "Spiegel Online". Seither sind endlose Debatten über die Vor- und Nachteile des Online-Journalismus geführt worden. Für eines der Probleme gibt es bis heute keine zufriedenstellende Lösung: Die Finanzierung.

Im Betreff des E-Mails steht „Kooperation“. Wir freuen uns. Die Ernüchterung folgt sofort: Man bietet uns für einen Artikel drei Fläschchen einer Flüssigkeit an und großzügigerweise ein viertes, falls wir die Geschichte in unseren Social-Media-Kanälen teilen: Gegenwert 16 Euro. Selbstverständlich wäre der Beitrag nicht als Kooperation oder Advertorial zu kennzeichnen. Man wolle doch keine Konsumenten vergraulen. Uns haben sie vergrault.

Wer aber soll den Online-Journalismus und Blogs finanzieren? Kooperationen, AdSense, Affiliates, Rankseller, bezahlte Anzeigen oder die Leser? Wir haben in der Facebookgruppe „Österreichs Blogger“ nachgefragt, mit erfolgreichen Crowdfundern gesprochen und nach Micropaymentsolutions gesucht.

Sind Leser bereit, für Inhalte im Netz zu bezahlen?

Laut IAB Trendmonitor (Stand Q2 2013) sind nur zehn Prozent der österreichischen Internetsurfer bereit, „sicher“ oder „eher schon“ im Netz für News zu zahlen. Die Nutzer sind es gewohnt Nachrichten gratis zu lesen.

Die Bloggerin Heike Rössler glaubt, dass Rezipienten bereits an kostenlose Online-Angebote gewöhnt sind. Das spiegele sich auch in der Offline-Welt wider - Stichwort: Gratiszeitungen. Über kurz oder lang wird den Bloggern wohl nichts anderes übrig bleiben, als ihre Artikel über sponsored posts, etc. zu finanzieren.“

Erziehungsarbeit

Der deutsche Journalist Kai Schächtele hat via Crowdfunding 130 Backers gefunden, die den Blog Brafus finanziell unterstützten. 34 Tage lang berichteten er, Christian Frey und Birte Fuchs von der WM in Brasilien. Schächtele ist der Meinung, dass die „Erziehung“ der Leser, für Projekte zu bezahlen noch weiter entwickelt werden muss. „Die Leute haben immer noch das Gefühl dass sie für Journalismus spenden, anstatt für ihn zu bezahlen. Diese Kluft gilt es zu schließen.“

Er glaubt, dass die Zukunft eine Kombination von freien und bezahlten Inhalten sein wird. „Nicht um die Leute zu erpressen: ihr könnt es nur sehen, wenn ihr bezahlt. Sondern um den Lesern immer das Gefühl zu geben, Journalismus ist Arbeit. Wir machen diese, weil wir daran glauben, weil wir sie wichtig finden und wenn ihr die auch wichtig findet, dann müsst ihr dafür auch Euren Beitrag leisten.“

Fachspezifische Blogs

Nur mit speziellen Blogs und Webseiten sei überhaupt Geld zu verdienen, sagen einige und die Umfrage von IAB scheint ihnen recht zu geben. 34 Prozent der Befragten gaben an, sie würden für fachspezifische Blogs, Artikel und Onlinepublikationen bezahlen.

Bernhard Rems ist Gründer eines sehr spezifischen Blogs: Whiskey Experts. Er ist skeptisch, ob Nutzer für Beiträge bezahlen würden: „Leser sind die Währung des Bloggers, einzutauschen gegen Geld bei den entsprechenden Stellen.“

Auch der Blogger und Online-Marketing-Berater Richie Pettauer glaubt nicht, das leserfinanzierter Online-Journalismus funktioniert. Blogs ließen sich über Umwege viel besser monetarisieren. Trotzdem hat er sich – zwecks Selbsttest - bei Patreon eingeschrieben. Die US-Plattform Patreon ermöglicht Lesern Blogs monatlich finanziell zu unterstützen. Ab einem US-Dollar pro Monat kann man Mäzen von Musikern, Photografen, Podcastern, Cartoonisten und Bloggern werden. Der deutsche Spiele-Podcast insertmoin hat 244 Backers die den drei Betreibern monatlich 1.419 US-Dollar überweisen.

Crowdfunding oder Crowdbettelei?

Das Start-up Godeepr hilft Journalisten ihre Recherchen und Reportagen durch Crowdfunding zu finanzieren. Die Artikel werden vom Godeepr-Team multimedial aufbereitet und nur den Spendern zur Verfügung gestellt. Paroli.at finanzierte 2013 über Krautreporter eine multimediale Webdoku, die sich mit der Situation von jungen Erwachsenen in Europa auseinandersetzt.

Die Rechercheplattform Dossier hat eine Art Dauer-Crowdfunding-Kampagne bei Respekt.net laufen. Die Plattformbetreiber bieten auch anderen Onlinepublikationen an, unter gewissen Voraussetzungen, sich vom Schwarm bei ihrer Arbeit unterstützen zu lassen.

Lisa Altmeier und Steffi Fetz von Crowdspondent haben einen anderen Ansatz: Sie erfüllen Rechercheaufträge vom Schwarm. Mit 5316 Euro der Crowd haben die beiden Reportagen über eine Nacht im Zirkuszelt samt korpulierenden Karmelen geschrieben, sich in Helgoland für Plastikmüll interessiert und sich eine Nacht mit Hackern um die Ohren geschlagen.

Alles gute Beispiele wie man Journalismus von Lesern finanzieren lassen kann. Doch meinen Andere: „Diese Crowd-Bettel-Dinger gehen überhaupt nicht.“ Sie seien viel zu kompliziert, undurchsichtig und stünden eher für: „Ich bin so arm helft mir doch etwas.“ Auf der Crowdfunding-Plattform Visionbakery schafften vier von neun journalistischen Projekten den Schwarm von ihren Publikationen zu überzeugen. Auf Kickstarter bemüh(t)en sich 118, auf startnext.de 76 Kampagnen um eine Finanzierung.

Funktionieren Microbezahlsysteme?

Einen anderen Ansatz versucht das deutsche Start-Up-Unternehmen LaterPay. Der Micropayment-Enabler ermöglicht Lesern von Blogs und Online-Medien für einzelne Artikel, Grafiken und Videos geringe Beträge zu bezahlen. Webseitenbetreiber können mit der LaterPay-Lösung Artikel individuell bepreisen, einzeln oder paketiert, und verkaufen. Der Leser muss sich weder registrieren noch einloggen, um den Beitrag zu lesen, sondern nur via Mausklick zustimmen, später für den Inhalt zu bezahlen. Sobald der Leser fünf Euro ausgegeben hat, wird der Betrag von ihm eingehoben und an die Online-Medien ausbezahlt.

Blogger haben das Bezahlsystem ausprobiert und sind zufrieden. Richard Gutjahr schrieb in seinem Fazit: er verdiente pro 1000 Pageimpressions 17 Euro. (Im Gegensatz zu einer durchschnittlichen 1000er Preis von Google AdSense von 1 Euro ist das doch sehr beachtlich). Auch die Reaktionen seiner Leser waren positiv, nicht ein Einziger beschwerte sich. Viele meinten sogar, er würde seine Inhalte zu billig verkaufen.

Wie viele Leser beim Aufpoppen der Laterpayaufforderung abspringen, ist noch nicht erhoben. Kai Schächtele sagt: „Klar wird man am Anfang Leute verschrecken, und die werden sagen, "poah ne". Da muss ich jetzt meine Kreditkarteninformationen eintragen, ich muss denen vertrauen, was machen die mit meinen Daten? Auf der anderen Seite, die Leute kaufen bei Amazon oder Ebay. Das dauert ein bisschen. Man darf nicht aufgeben.“

Pro und Kontra Microdonations

Flattr hat sich in Österreich nicht wirklich durchgesetzt. Das Social-Payment-Service ermöglicht Lesern via eines virtuellen Kontos monatlich einen frei wählbaren Abonnementsbetrag als Spende an Medienanbieter zu überweisen. Einige Blogger versuchten mit dem Microbezahldienst Geld zu verdienen, gaben aber nach einigen Monaten wieder auf.

Journalist und Blogger Tom Schaffer findet Microdonations wie z.B. Flattr sympathisch und sieht keinen Grund diese als Bettelei zu denunzieren. „Aber es ist eher ein Streit um des Kaisers Bart, denn die Micropaymentmöglichkeiten sind noch nicht verbreitet genug. Es läppern sich nur Peanuts zusammen, mit denen man bei einem Hobbyblog zumindest die Hostingkosten decken kann.“

Schächtele ist von Flattr auch nicht wirklich überzeugt: „Der Unterschied zwischen Laterpay und Flattr ist, dass man bei Flattr eine Idee finanziell unterstützt, während man bei Laterpay für ein konkretes Produkt bezahlt. Man bezahlt ein konkretes PDF, einen konkreten Artikel. Das Prinzip ist viel griffiger, weil man genau weiß wofür man bezahlt.“

Sein Ratschlag für Blogger und Webseitenbetreiber stammt von einem Imker in Brasilien: „Wer Angst vorm kacken hat, isst auch nicht“.

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