Screenshot Correctiv
Investigativ

Datenjournalismus satt Skandalanekdoten

Montag, 22. Dezember 2014
Im Juli 2014 ging die Webseite des gemeinnützigen Recherchebüros CORRECT!V online. In den letzten sechs Monaten hat das 15-köpfige Team vier große Themen recherchiert und durch die Publikation in Deutschland mehrere Gesetzesinitiativen angestoßen. Das Team sieht sich nicht als Retter der Journalismus, sondern als zusätzliches Angebot zu den etablierten Medien. Und seit letzter Woche kann man über die Correcitv-Plattform Recherchen freier Journalisten unterstützen.

Bevor das gemeinnützige Rechercheteam Correctiv im Juli 2014 online ging, rauschte es schon gehörig im digitalen Blätterwald. Ein Team recherchiert Themen, die auf den ersten Blick unsexy erscheinen: Krankenhauskeime, Verwendung von Justizgeldern und Finanzbetrüger. Dabei muss es mit den Veröffentlichungen keine Erlöse erzielen. Gerade das macht die Plattform aber so interessant: sie hat die Freiheit, unabhängig von Reichweitenvorgaben sperrige, arbeitsintensive Themen zu recherchieren und konzis aufzubereiten.

Die recherchierten Themen sind stets von allgemeinem Interesse, deshalb ist es dem Team umso wichtiger, neben den Ergebnissen auch die Recherchemethoden offenzulegen und die erhobenen Rohdaten zur Verfügung zu stellen.

Lokale und gemeinnützige Journalistenbüro

Infobox

Brost-Stiftung: Anneliese Brost war Mitbegründerin der WAZ-Gruppe. Die Brost-Stiftung  unterstützt u.a kulturelle und journalistische Projekte.
Eine Jahresmitgliedschaft für Privatpersonen kostet 60 Euro pro Jahr. Mit dem Abo hat das Mitglied Zugriff auf den Community-Bereich, dort gibt es u.a. die Möglichkeit, sich mit anderen Mitgliedern zu vernetzen und über die nächsten Themenschwerpunkte abzustimmen.

Jonathan Sachse studierte angewandte Medienwirtschaft im Fachbereich Sportjournalismus, arbeitete als freier Journalist u.a. für die taz, Die Zeit, Spiegel Online, Arte und ZDF. Seit Juli 2014 ist er fixes Redaktionsmitglied von Correctiv.

Unter freien Journalisten und in manchen Redaktionen gibt es leise Kritik: Der ehemalige Recherchechef der Funke-Mediengruppe (WAZ), David Schraven, wurde Leiter des neu gegründeten Mediums. Die von der WAZ-Mitbegründerin Anneliese Brost gegründete Stiftung fördert das Projekt mit drei Millionen Euro.

Correctiv-Journalist Jonathan Sachse widerspricht der Möglichkeit von Einflussnahme: „Die Brost-Stiftung ist unser Initialförderer, der das Projekt überhaupt erst ermöglicht hat und nimmt keinen Einfluss auf die Recherchen oder Themen. Wir würden das nicht zulassen.” Den eigenen Richtlinien entsprechend werden Förderer, die mehr als 1000 € spenden, jedes Quartal veröffentlicht. Dem aktuellen Bericht zufolge wird z. B. die Rudolf-Augstein-Stiftung Correctiv im Februar 2015 mit 35.000 Euro unterstützen.

Auch den Vorwurf, freien Journalisten Aufträge wegzunehmen, lässt Sachse nicht gelten: "Recherchen von diesem Umfang würden sich durch einen Freien ohne die nötigen Finanzmittel gar nicht realisieren lassen." Selbst für viele der “gesundgeschrumpften” Redaktionen sind groß angelegte Recherchen heute schwierig.

Correctiv sieht sich nicht als Retter des Journalismus, sondern als Ergänzung. Recherchejournalismus ist momentan wegen der Konzernstrukturen und wegen der internen Abhängigkeiten kaum möglich. "Wir würden uns wünschen, dass es in Zukunft mehr solcher Konstrukte gibt, damit wir nicht singulär bleiben. Ich würde es gut finden, wenn sich in Zukunft lokale, gemeinnützige Journalistenbüros gründen könnten. Das ist momentan noch sehr schwierig. Aber Österreich hat mit dossier.at ein tolles Medium.“

Undercover im Krankenhaus

Correctiv-Recherche Tödliche Keime
Screenshot Correctiv
Correctiv-Recherche Tödliche Keime

Vier große Themen hat das Correctiv-Team bisher recherchiert. Der Reporter Benedict Wermter arbeitete zwölf Tage lang als Pflegepraktikant undercover in einem Berliner Krankenhaus. Er wollte wissen, wie das Spital mit Keimen und Hygiene umgeht. Seinen Kollegen in der Redaktion bereiteten Unmengen von Daten aus ganz Deutschland auf. Seit einigen Wochen erscheinen die Artikel „Tödliche Keime“ bei Medienpartnern und auf der Correctiv-Webseite. Ein E-Book steht kostenlos zum Download bereit.

(Die Publikation wurde von der taz kritisiert. Zur Diskussion siehe taz "Das Correctiv korrigiert sich" und Correctiv "Kritik der taz - Wir antworten".)

Recherche

Eine weitere Recherche mit weitreichenden Folgen war jene um die unkontrollierte Vergabe von Bußgeldern durch die deutsche Justiz. Richter und Staatsanwälte hatten bisher die Möglichkeit, Bußgelder aus vorzeitig eingestellten Verfahren quasi “freihändig” an Projekte zu vergeben, die der Vorbeugung von Verbrechen, der Opferhilfe oder der Resozialisierung entlassener Straftäter dienen. Eine Monate dauernde Recherche ergab, dass die Nutznieser fallweise Vereine waren, zu denen die Richter ein Naheverhältnis pflegten und die mit Verbrechensprävention wenig zu tun haben, etwa Eisenbahn-, Karnevals- und Schützenvereine.

Eine Woche nach der Veröffentlichung gab es bereits erste Schritte von Seiten diverser Behörden, um die Missstände zu beheben und mittlerweile gibt es Gesetzesinitiativen, die Geldvergabe transparenter zu gestalten.

Keine Skandalanekdoten

Die Vorgehensweise von Correctiv ist stark datenorientiert: „Wir versuchen bei jedem Thema ein großes Datenpaket mit zu recherchieren. Wir wollen keine Skandalanekdoten erzählen, sondern wir versuchen, Probleme möglichst strukturiert zu analysieren“, sagt Jonathan Sachse. Zu allen Recherchen gibt es auf der Webseite frei verfügbare Datensätze. Jeder, vom Blog bis zum etablierten Medium, kann sie übernehmen. “Obwohl auch unsere fertigen Artikel übernommen werden können, ziehen es viele Redaktionen vor, sich für ihre Artikel aus den von uns zur Verfügung gestellten Recherchen zu bedienen.”

Crowdfunding

Online-Magazin Correctiv - Rechercheteam für die Gesellschaft - goes Crowdfunding
Screenshot Correctiv
Online-Magazin Correctiv - Rechercheteam für die Gesellschaft - goes Crowdfunding

Seit Mitte Dezember arbeitet Correctiv gemeinsam mit der Crowdfunding-Plattform startnext zusammen, um auch anderen Journalisten die Möglichkeit zu geben, ihre Recherchen vom Schwarm finanzieren zu lassen. Jeder Journalist, dessen Kampagne erfolgreich ist, wird durch das Correctiv-Team vom Start des Crowdfundings bis zur Publikation unterstützt.

Momentan sind sechs Recherche-Projekte am Start: von intransparenten Zahnarztzusatzkosten über undurchsichtige Postenvergaben in mit öffentlichen Geldern finanzierten Unternehmen bis hin zur Ökonomisierung von deutschen Gefängnissen. Zwischen 2.000 und 4.500 Euro sollen die Recherchen kosten, 40 Tage lang kann jedes Projekt mit bis zu 100 Euro unterstützt werden.

Interview mit Correctiv-Journalist Jonathan Sachse

Correctiv-Journalist Jonathan Sachse
Correctiv
Correctiv-Journalist Jonathan Sachse

dieZeitschrift: Seit Mitte Dezember können Spender Recherchen auf Ihrer Webseite via Crowdfunding finanzieren.

Jonathan Sachse: Es passierte oft, dass Journalisten mit Ideen und Rechercheansätzen zu uns kamen. Als wir das Crowdfundingprojekt entwickelten, gingen wir auf sechs Reporter zu und boten ihnen an, bei uns zu starten. Wir können durch unsere gemeinnützige Struktur Reporter unterstützen: Vom Rechercheansatz über die Festlegung von realistischen Kosten bis hin zum fertigen Artikel.

Gerade bei journalistischen Produkten ist es oft nicht einfach, als einzelner Journalist die Zielgerade zu finden. Ich habe die letzten drei Jahre als freier Journalist gearbeitet und es war als Einzelner schwierig, den roten Faden zu finden. Das ist eine große Herausforderung. Durch das Konstrukt, dass wir als Berater dabei sind, helfen wir, die Qualität zu steigern und dem Spender zu garantieren, dass die Geschichte in einem definierten Zeitraum fertig wird. Wenn der Reporter es aus irgendeinem Grund nicht schafft, den Artikel fertig zu machen, springen wir als Kollektiv ein und vollenden die Arbeit. Ein weiterer Vorteil für die Spender ist, dass sie Steuern sparen. Die Beiträge können abgesetzt werden.

Regionale Recherchen

dieZeitschrift: Wer kann mitmachen?

Jonathan Sachse: Jeder Reporter kann mitmachen und Recherche-, Kosten- und Zeitpläne einreichen.  Von der Themenausrichtung her gibt es kaum Einschränkungen. Der Artikel sollte dem Gemeinwohl dienen: Steuergelder, Gesundheit, Bildung. Es wäre auch spannend, regionale Recherchen zu unterstützen. Es geht nicht darum, dass man eine große Reichweite hat, sondern darum, dass man eine gute Recherche, eine gute Geschichte hat, die für eine Region wichtig sein kann. Schon am ersten Tag ging die erste Bewerbung ein.

dieZeitschrift: Was passiert, nachdem die Kampagne erfolgreich war und der Artikel fertig ist?

Jonathan Sachse:  Wir reden mit den Reportern darüber, welchem Medium der Artikel angeboten wird. Hat ein Reporter keinen Medienpartner, helfen wir, ein Medium zu finden, oder die Geschichte erscheint nur auf Correctiv. Wir wollen zum Beispiel nicht, dass die Reportage in einem fragwürdigen Medium erscheint. Deshalb hat Correctiv die Erstnutzungsrechte. Sobald die Geschichte fertig ist, wird der Artikel Medienpartnern angeboten. Der Journalist verdient bei der Veröffentlichung zusätzliches Geld. Einen Tag später steht der Artikel frei verfügbar auf unserer Webseite und die Geschichten dürfen von Bloggern und anderen Medien weiterverwendet werden.

dieZeitschrift: Verdient Correctiv daran?

Jonathan Sachse: Wir arbeiten mit der Crowdfunding-Plattform startnext zusammen. Wir vermitteln den Reportern eindeutig, dass wir nichts verdienen. Fünf Prozent der Gesamtsumme gehen an startnext und fünf Prozent gehen an die Fidorbank für die Verwaltung des Treuhandkontos.

dieZeitschrift: Gibt es Goodies für die Spender?

Jonathan Sachse: Die Spenden laufen aus rechtlichen Gründen über Correctiv und wir bezahlen die Gelder an die Reporter aus. Deshalb müssen wir darauf achten, welche Goodies wir hergeben. Momentan gibt es drei Goodies: die Namensnennung, eine Mitgliedschaft bei Correctiv für drei oder für neun Monate.

dieZeitschrift: Wie funktioniert das Marketing?

Jonathan Sachse: Wie bei allen Crowdfundingprojekten. Der Großteil der Spender kommt aus den Netzwerken der Projektinitiatoren, die restlichen Investoren kommen über die Zusammenarbeit mit startnext und aus Organisationen, die sich besonders für eines der Themen interessieren. Aber für den ersten Klick ist meist der projektwerbende Reporter selbst verantwortlich.

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