„Ich höre das gar nicht mehr,“ sagt Michaela Hudecova Königshofer, als über die hohen und lichtdurchfluteten Räume zum wiederholten Mal die U-Bahn donnert. Die 39-jährige Kleidermacherin hat sich vor zwei Jahren in den Wiener Gürtelbögen ihren Traum erfüllt und den Designer-Co-Working-Space schnittBOGEN gegründet. Die Ausstattung mit Spezialgeräten, erschwingliche Mietpreise und der Austausch mit Spezialisten aus unterschiedlichsten Moderichtungen machen die Werkstatt zur eierlegenden Wollmilchsau für Designer-Start-Ups.
„In hinteren Raum vermiete ich sechs Plätze fix an Selbständige, im vorderen arbeiten Hobbyschneider stunden- oder tageweise. Manche nutzen nur die Geräte, andere wollen professionelle Hilfe.“ Zwischen den Kleiderbüsten und bunten Stoffballen huschen mit Maßband und Schere bewaffnete Frauen herum, die Hudecova Königshofer zwischendurch immer wieder um Rat fragen.
„Es es lange gedauert, bis ich gemerkt habe, dass ich keine Designerin bin sondern die Handwerkerin, die anderen hilft“, erklärt die gelernte Schneiderin. „Ich unterstütze Designer bei ihren Kollektionen, aber ich selbst will diesen Zwang nicht verspüren.“ Mit der Gründung von schnittBOGEN habe sie genau ihre Schiene gefunden. „Ich schaue darauf, dass nicht alle CO-Worker das gleiche machen. Eine ehemalige Mieterin hat coole Färbeverfahren entwickelt, ab März arbeitet eine Hundemodedesignerin hier. Jeder ist auch auf anderes Material spezialisiert. Wir befruchten und unterstützen uns gegenseitig, das ist einfach super.“
„Jeder hat sein Spezialgebiet“
„Ich liebe schnittBOGEN,“ sagt Goran Bugaric. „Es ist am Anfang schwierig, ein Atelier zu finden, meistens sind sie teuer, klein und schäbig. Hier stehen auch Spezialmaschinen zur Verfügung, die ich mir selber noch gar nicht leisten könnte.“ Der Designer hat sich vor eineinhalb Jahren in dem Co-Working-Space in Wien-Mariahilf eingemietet, um seine Hochzeits- und Ballkleider zu nähen. „Die anderen Mieter sind auch alle vom Fach, aber jeder hat ein anderes Spezialgebiet. Der Austausch mit Gleichgesinnten ist spitze.“
Veronika Jork-Lutzer arbeitet gerade an einem schwarzen Spitzenkleid. „Ich mache hauptsächlich Tanzmode“, erzählt die junge Frau. Sie ist von der guten Infrastruktur begeistert: Spezielle Geräte wie Ledernähmaschinen, Fixierpressen oder Färbebecken stehen den Co-Workern zur Verfügung.
Verwertung von Stoff- und Lederresten
„Man braucht viel Vorstellungskraft beim nähen. Es gibt Leute, die sehen einen Stoff und dann schon das fertige Kleidungsstück. Sie haben diese fixe Idee, die sie nicht mehr los lässt“, sagt Hudecova Königshofer. „Ich beherrsche sehr viele Verarbeitungsmethoden, aber ich kann mich nie für ein Kleidungsstück entscheiden, weil ich fünfzehn verschiedene Modelle im Kopf habe. Darum bin ich wahrscheinlich keine Designerin.“
Eine weitere Linie von schnittBOGEN ist die Verwertung von Stoff- oder Lederresten. Daraus werden Accessoires wie Armbänder oder Taschen hergestellt. „Die Produkte werden in der Boutique auferstanden in Wien-Neubau verkauft. Außerdem veranstalten wir Workshops und Modeschauen.“
zahnBogen
Factbox
SchnittBOGEN
Offene Werkstatt für Textil / Mode / Design
U-Bahn Bogen 3-4, 1060 Wien
auferstanden
Recycling-Laden
Neubaugasse 86, 1070 Wien
Ein Folgeprojekt einer ganz anderen Zunft ist schon geplant. Hudecova Königshofer's Mann wird bald seine Ausbildung zum Zahnarzt beenden und will unter der U-6 einen „zahnBogen“ gründen. „Verschiedene Zahnärzte sollen miteinander kooperieren. Einer wird wahrscheinlich auf Hypnose spezialisiert sein, ein anderer auf Homeopathie.“ Verläuft alles nach Zeitplan, soll ab 2016 in Gehweite von schnittBOGEN gebohrt und gerissen werden.