dieZeitschrift: Worin unterscheidet sich die Initiative Neue Wirtschaft (INW) von der Facebookgruppe Amici delle SVA?
MA: Wir sind nicht monothematisch, haben nicht nur die SVA als Thema. Aber ich habe sehr viel gelernt von den Amici, was die richtig gemacht haben und was man auch besser machen könnte. Wir versuchen, nicht nur virtuell zu bleiben. Das heißt, wir treffen uns einmal im Monat. Wir sind auch kein Verein, es gibt keinen Vorstand. Jeder ist eingeladen und willkommen.
dieZeitschrift: Wie wurde die INW gegründet und wieviele seid ihr?
MA: Wir sind vor ungefähr eineinhalb Jahren zu fünft in meiner Agentur gesessen und haben Ideen entwickelt. Der konkrete Anlass für dieses Brainstorming war ein mobiler Würstelstand, der aus Sicht des Spartenobmanns der Wirtschaftskammer illegal ist. Beim nächsten Treffen waren wir schon zwanzig. Die Resonanz wurde dann immer größer. Mittlerweile hat unsere Facebookseite 1500 Likes. Außerdem gibt es eine Facebookgruppe mit rund 500 Mitgliedern. Das sind die Leute, die zu den Veranstaltungen eingeladen werden. Zu den Treffen kommen im Schnitt fünfzig bis achtzig Leute. Wir möchten das ganze wachsen lassen, ohne uns zu übernehmen. Wir haben weder Geld noch Infrastruktur, sind uns aber auch bewusst, dass wir den Leuten Service anbieten müssen.
„Wenn niemand an der Armutsgrenze schrammt, könnten auch alle ihre Beiträge zahlen“
dieZeitschrift: Wer ist eure Zielgruppe?
MA: Wir möchten uns auf ganz Österreich ausbreiten und uns nicht einschränken. Wir möchten auch nicht explizit nur Einpersonenunternehmen (EPU) und kleine und mittlere Unternehmen (KMU) vertreten, weil wir nicht in Schubladen denken sondern das große Ganze sehen. Eigentlich geht es um den Begriff Arbeit, auch um unselbstständige. Teilzeit, prekäre Dienstverhältnisse, Praktika, geringe Einkommen, soziale Absicherung und Perspektivenlosigkeit gibt es in allen Bereichen der Beschäftigung. Die INW hat sich für eine Zielgruppe entschieden, bei der das doppelt augenfällig wird. Es sind die Leute, die nicht aus der Not heraus sondern mit einem Plan die Selbstständigkeit gewählt haben. Die stoßen aber trotzdem auf Probleme.
dieZeitschrift. Sprechen Sie die Probleme mit der SVA an?
MA: Das ist jetzt wieder ein Unterschied zwischen den Amici und der INW. Bei den Amici sind viele Leute dabei, die unter der Mindestbeitragsgrundlage verdienen. Das ist natürlich ungerecht, dass die bis zu fünfzig Prozent ihres Einkommens zahlen. Aber das Grundproblem ist nicht die SVA, sondern das geringe Einkommen. Wenn niemand an der Armutsgrenze schrammt, könnten auch alle ihre Beiträge bezahlen. Die ich trotzdem zu hoch finde. Im Bereich der Unselbstständigen kann man das mit Kollektivverträgen lösen, indem man Mindestlöhne definiert. Im Selbstständigen-Bereich geht das nicht. Die Eigenverantwortung kann man den Selbstständigen leider nicht abnehmen. Ich kann nicht ohne Plan in die Selbstständigkeit gehen und dann sagen: „Bitte, lieber Staat, regle das für mich, indem ich gratis versichert bin.“
„Der Selbstbehalt ist nicht das brennenste Problem“
dieZeitschrift: Bei den Amici geht es ja nicht nur um die Höhe der SVA-Beiträge, sondern auch darum, dass es so kompliziert ist.
MA: Ja. es gibt verschiedene Punkte. Zum Beispiel den Selbstbehalt. Wer über ein regelmäßiges Mindesteinkommen verfügt, von dem man halbwegs leben kann, und man geht ein paar mal im Jahr zum Arzt, dann zahlt man 50 Euro Selbstbehalt. Das ist unfair, und ich bin gegen den Selbstbehalt. Aber das brennenste Problem ist er nicht.
dieZeitschrift: Was ist das brennenste Problem?
MA: Die Vorauszahlungen. Nachzahlungen, die du nicht mehr im Kopf hast. Zum Teil machen die Leute da aber auch Fehler, weil sie Geld ausgeben, das ihnen nicht gehört. Sie sollten die Nachzahlungen berechnen und dafür ansparen. Ich verstehe aber auch, dass sich jemand, der ständig am Existenzminimum lebt, nichts zurücklegen kann. Aber das ist schon wieder kein SVA-Problem, sondern die Einkommensproblematik.
dieZeitschrift: Trotzdem wäre es einfacher, wenn ich monatlich einen bestimmen Betrag zahlen muss, und damit ist alles erledigt.
MA: Ja, aber ich kann auch jedes Monat 30 Prozent auf ein Sparkonto legen. Eigentlich ist das SVA-Modell ein zinsenloser Kredit, weil ich meine Leistungen erst drei Jahre nach Fälligkeit zahlen muss. Aber Rücklagen muss man sich natürlich leisten können. Ich verstehe, dass jemand, der nur 700 Euro verdient, nicht jedes Monat die Hälfte davon weglegen kann.
„Diese Leute arbeiten mit Leidenschaft“
dieZeitschrift: Eure Mitglieder sind also hauptsächlich Selbstständige, die einen Plan haben?
Marcus Arige: Ja, diese Leute arbeiten mit Leidenschaft und sind qualifiziert. Meistens gibt es diese Arbeitsplätze als Unselbstständiger gar nicht, man muss ihn sich selber schaffen, mit Innovation und Kreativität. Viele davon sind EPUS. Es schließen sich aber immer mehr Leute in KMUS zusammen. Das ist jetzt so ein Phänomen. Die Leute empfinden sich mehr als Partner, und nicht als Konkurrenten. Es geht auch nicht um Gewinnmaximierung um jeden Preis, aber selbstverständlich muss man als Selbstständiger Gewinn machen, um davon leben zu können.
dieZeitschrift: Was sind eure ganz konkreten Ziele?
Marcus Arige: Wir wollen erstens ein Netzwerk bilden, das dazu dienen soll, Wissen auszutauschen, zum Beispiel über Bürokratie. Zweitens wollen wir collaboration statt competition, also eine Basis schaffen, damit sich Leute kennen lernen und Projekte gemeinsam angehen. Drittens wollen wir eine Lobby bilden, die bei Institutionen unsere Interessen vorantreibt. Der vierte Punkt ist eine Pressure Group. Das heißt, wenn völlig undurchdacht gegen unsere Interessen verstoßen wird, werden wir in der Öffentlichkeit Druck auf die Entscheidungsträger machen.
„Wir wollen Lobbying auch positiv besetzen“
DieZeitschrift: Steht am Ende eine Partei?
Marcus Arige: Nein. Wir wollen wie im angelsächsischen Raum Lobbying auch positiv besetzen. Das möchten wir in der Wirtschaft etablieren. Wenn Christof Leitl von Wirtschaft spricht, meint er die Industriellen-Vereinigung. Das ist aber nicht die Wirtschaft. 90 Prozent sind von den Aktivitäten der Wirtschaftskammer nicht betroffen. Die meisten sind keine Spitzenverdiener. Aber diese Leute gehen meist mit ihren Mitarbeitern pfleglich um und sehen sie mehr als Partner denn als Angestellte. Diese Betriebe sind globalisierungsunabhängig, das müsste man als großes Potential für den Standort sehen. Wenn nur jeder zweite EPU in Österreich einen Arbeitsplatz schaffen würde, wären das 120.000 Jobs. Soviel Großbetriebe kann ich gar nicht fördern.
Den zweiten Teil des Interviews lesen Sie demnächst auf dieZeitschrift.at
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