Ich stand in der letzten Reihe. Vor mir warteten Welt- und Landesmeister_innen auf den Startschuss zum Long distance Rennen – zwölf Kilometer Stand up paddeln am Wolfgangsee. Ich wusste, ich würde Letzte werden und fragte mich die ganze Zeit: wer tritt zu einem Rennen an, wissend, dass sie sicher Letzte wird und auch noch mit einem satten Rückstand auf den Ersten von mindestens einer halben Stunde. Ich tat es trotzdem und heulte bei der Zieleinfahrt.
Die Legende vom Ochsen
Seit drei Jahren findet das Stand up Paddling Event in St. Gilgen am Wolfgangsee statt. Die Idee stammt vom Bürgermeister Otto Kloiber. Er sah während eines Kroatienurlaubs ein Rennen und schlug dem ehemaligen Rennradprofi Rupert Hödlmoser vor, so etwas auch am Wolfgangsee zu veranstalten. Die Organisatoren benannten das Event nach einer Sage: ein Ochse soll einen Metzker vor dem ertrinken gerettet haben, indem er ihn auf eine winzige Insel zog. Heute steht dort ein Marterl.
Das Rennen
Rund 150 Paddler_innen aus Österreich, Ungarn, Deutschland und sogar aus Kuba und Australien trugen ihre Boards in das Seebad. Sie nahmen an einem oder mehreren der Rennen teil: Technical Race, Legend of ox race über drei Kilometer, Kids race und einem Battle.
Gleich beim ersten Wettkampf, dem Technical Race, sah ich, was ich alles nicht kann. Am Board in leicht tänzelnden Schritten nach hinten steigen, das Heck im Wasser versenken, den Bug weit in die Luft gestreckt und mit einem einzigen Paddelschlag das Brett um eine Boje drehen.
Bei jedem Turn krachten die Bretter zusammen, manch eine/r stürzte ins Wasser, kletterte wieder auf das Board und paddelte weiter. Es gewann: Norman Weber – der so gut ist, dass er einen eigenen Wikipediaeintrag hat, mit ewig langen Listen von Weltmeister- und Europameitertiteln, gewonnen bei Kanurennen und deutscher Landesmeister im Stand up Paddling – gegen ihn und 55 andere Paddler_innen sollte ich also am antreten.
Long distance Race
Vor mir stand sie dann – die Reihe der Paddler_innen mit muskulösen Oberarmen, durchtrainierten Bauchmuskeln und strammen Beinen. Bei mir legte sich das orange Leiberl sanft über den runden Bauch. Ich stand ganz hinten, ich wollte niemandem im Weg sein.
Ein Gewehrschuss ertönte, Oberkörper beugten sich und Paddel schlugen ins Wasser und steuerten auf die erste Boje zu. Sie hinterließen einen aufgewühlten See und ich wäre beinahe schon an den Wellen gescheitert. Bis ich wieder fest am Brett stand, waren die ersten schon weit weg und der Mann vor mir hunderte Paddelschläge voraus. Ich haute ordentlich rein – also für meine Verhältnisse ordentlich.
Norman Weber zog an mir vorbei, gefolgt vom mehrfachen deutschen Meister Peter Weidert und Ondrej Petrak aus Tschechien. Ich fuhr weiter auf den See hinaus, um die beiden und ihre Nachfolger_innen nicht zu behindern. Ein bisschen demotivierend war es schon zu sehen, wie die Männer und Frauen in perfekter Technik einen Paddelschlag nach dem anderen setzten und mir davon zogen. Ich blieb auf der äußeren Linie, um auch die Nachkommenden nicht zu stören. Jemand rief mir zu, go girl und war auch schon wieder weg. Bei der letzten Runde war ich ganz alleine am See. Grünes Wasser, leichter Wind und Sonnenschein. Besser wirds nicht – für einen normalen Paddelausflug, aber zum Genießen war keine Zeit.
Ich hörte wie der Platzsprecher Norman Weber als Sieger ankündigte und ich stand verloren am See. Zu welcher Boje musste ich noch? Da hörte ich von hinten einen Ruf. Marliese, du musst noch um die rote Boje, dann hast du es geschafft. Ich paddelte los, so schnell es ging, wollte ich doch keinesfalls den nächsten Rennstart verzögern und überlegte mir, wie ich mich am besten ins Ziel schleichen könnte. Als ich um die letzte Boje bog, spielte es im Walkman das Lied vom Tod.
Bei der Zieleinfahrt hörte ich meinen Namen und als ich über die Ziellinie fuhr brandete Applaus auf, mir trieb es die Tränen in die Augen und ich war ein bisserl stolz auf mich. Auch wenn Norman Weber nur 47 Minuten für die zwölf Kilometer gebraucht hatte und ich eine Stunde und 26 Minuten. Ich wurde 56. Mein Ziel für nächstes Jahr: Vorletzte werden.