Friedrich Nietzsche starrt auf die Kaffeemaschine. Dabei mochte er gar keinen Kaffee, der würde nur die Gedanken verdüstern. Vielleicht hätte ihn jedoch Fraunschiels Deluxe-Royce-Rolls-Espresso-Spender im Philogreissler vom Gegenteil überzeugt. Schließlich bereitet genussvolles Reden über die Philosophen bei gutem Kaffee noch mehr Vergnügen. „Ich habe vom Wiener Kaffeeröster Charles Fürth viel gelernt. Nur die Latte Art muss ich noch üben.“ Sein Ziel ist es, statt Herzen Nietzsches Schnauzer oder Karl Marx's Bart in den Milchschaum zu zeichnen.
Der Sport- und Philosophielehrer Gerd Fraunschiel war neugierig. Er wollte wissen, was sein Leben vor dem 40. Geburtstag noch bringen könnte. Da bei Philosophen bekanntlich nichts schnell geht, dauert es auch etwas, bis er die Idee einer Philosophiebuchhandlung mit einem Kaffeehaus zu verbinden, durchgedacht, für gut befunden und schließlich umgesetzt hat. Letzten Monat eröffnete er den Philogreissler in der Kaiserstraße.
Der Pessimist Schopenhauer
In den bequemen Vintagestühlen lässt es sich bei Kuchenbegleitung entspannt nachdenken, um danach etwaige Erkenntnisse auf den bereitliegenden Klippboards zu notieren. Arthur Schopenhauer, Karl Marx und Simone de Beauvoir schauen von der Wand aus zu. „Der alte Pessimist Schopenhauer würde seinen Kaffee sicherlich schwarz trinken,“ lacht Fraunschiel. „Den chronisch an Geldmangel leidenden Karl Marx müsste man wohl einladen und Beauvoir würde man wahrscheinlich nur beim Schreiben stören.“ Ihre Werke stehen in der Buchhandlung.
Jedem der rund 230 Bücher wird im luftig hellen Laden viel Platz eingeräumt. Auf den Tischen liegen Titel wie „Arschlöcher“, „Wie werde ich Philosoph?“, aber auch Immanuel Kants „Kritik der reinen Vernunft.“ Fraunschiel hat jeden einzelnen Titel selbst ausgesucht. Auch wenn sein Hauptaugenmerk auf niederschwelligen und heutigen Philosophen liegt, bietet er auch die Klassiker an. „Oida, Wittgenstein, darf nicht fehlen.“ Schließlich hat er in Kaffeehäusern mit den Mitgliedern des Wiener Kreises viel debattiert.
Ideologiekritik
Bei der Auswahl der Bücher fragte Fraunschiel sich, wie man Philosophie alltagstauglich machen kann. Wie kann man jungen Leuten Philosophie näher bringen? Wie kann man Gedanken der letzten 2000 Jahre am besten vermitteln und auf aktuelle Themen anwenden? „Ein bisschen Kant geht einfach nicht“, sagt er. „Andererseits muss man nicht immer bei Aristoteles anfangen.“
Für Fraunschiel bedeutet Philosophie in Ruhe darüber nachzudenken, was hält mich in meinem Hamsterrad, was erhöht oder senkt meinen Leidensdruck. Eine persönliche Ideologiekritik sozusagen und nachzufragen: was hält mich davon ab, das Leben zu führen, dass ich führen will und die Diskrepanz zwischen Denken und Sein aufzudecken. Deshalb findet man bei ihm keine esoterischen Bücher, sondern Denkvorschläge. Er ist ein philosophischer Nahversorger.
Tagsüber können Kunden in die Bücher reinlesen. Kaffeeflecken nötigten allerdings zum Kauf. Abends lässt Fraunschiel die alte Wiener Tradition des Salons wieder aufleben. Philosophen halten kurze Vorträge über gesellschaftspolitisch relevante Themen wie Angst oder Geheimnisse. Danach diskutieren sie mit den Besuchern. „Es ist so konzipiert, dass jeder kommen kann.“ Fraunschiel kratzt am Vorurteil, dass Philosophie etwas Abgehobenes sei: „Philosophie muss einen Bezug zum täglichen Leben haben, sonst ist es Science Fiction.“
Philogreissler
Kaiserstraße 35, 1070 Wien
Öffnungszeiten: Di.- Fr. bis 10.00 – 17.00 Uhr,
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