Bettina Naihaip
Film

"Östürkreich"

Mittwoch, 4. März 2015
Der in Istanbul geborene Baris Dilaver war ein international erfolgreicher Balletttänzer und Ensemblemitglied des Cirque du Soleil. Heute dreht er Filme. DieZeitschrift sprach mit ihm über sein neues Werk Östürkreich, Rassismus, kaputte Knie und den Dschihad.

Es war einer der furchtbarsten Tage im Leben von Baris Dilaver, als der Arzt ihm offenbarte, dass seine Tanzkarriere zu Ende sei. Die Knie machten nicht mehr mit. Der Tänzer, dessen Karriere an der Staatsoper in Wien begonnen hatte, führte ihn durch 150 Städte und zuletzt mit dem Cirque du Soleil bis nach Montreal. „Bis zu zehn Auftritte pro Woche haben aber ihren Tribut gefordert.“ Es folgten jahrelang Operationen und letztlich die Rückkehr nach Wien.

Hier erwarteten ihn alte Freunde, aber auch Rassismus und Diskriminierung. „Früher sahen die Menschen in mir einen gefeierten Bühnenstar, die Nationalität war egal. Als ich nicht mehr tanzte, war ich in erster Linie nur mehr der Türke. Einige wandten sich wegen meiner Herkunft von mir ab. Andere fragten plötzlich, ob ich ein „moderner Türke“ sei. Das „goldene Wiener Herz“, das ihm früher so wohlgesonnen war, zeigte auf einmal seine Kehrseite. "Jetzt plötzlich sollte meine Herkunft wichtiger sein als meine Leistungen?“ Er, der sich stets als Weltbürger sah, wunderte sich, woher die Feindseligkeit den Türken gegenüber kam.

Der Stempel, der ihm aufgedrückt wurde, machte ihn zornig. „Ich habe aufgehört, die Frage nach meiner Herkunft zu beantworten. Auf meine Gegenfrage, warum das so wichtig sei, folgte meistens Stille.“

"Türkenbelagerung"

Auch wenn er - wahrscheinlich in guter Absicht - vom Fernsehen interviewt wurde, schwangen dennoch Stereotype mit. Man wollte von ihm Antworten zu Fragen wie „Wie kann man den Zusammenhang zwischen muslimischer Kultur und Sexualität beschreiben?“ „Braucht der Islam eine sexuelle Revolution?“ und „Wie konnten Sie aus der türkischen Macho-Gesellschaft entfliehen?“ Man traute Muslimen offenbar keine freie Sexualität zu und unterstellte alle türkischen Männern Machismus. Er lehnte das Interview ab.

Dilaver machte sich daraufhin auf die Suche nach den Ursprüngen der Vorurteile: Er drehte eine Dokumentation über die gemeinsame Geschichte der beiden Länder, hinterfragte, was die beiden Länder zusammenbringe und was sie trenne. „Was heißt Integration, wie sehr beeinflussen Politik und Medien die sozialen Kontakte zwischen unterschiedlichen Ethnien? Und was wissen wir über die gemeinsame Geschichte?“

Drei Jahre lang hat er recherchiert und Historiker, Zuwanderer und Österreicher interviewt. In der österreichischen Geschichtsschreibung sind die beiden Türkenbelagerungen ein zentrales Thema, ja ein Teil der österreichischen Identität – schließlich hätte man ja das Abendland vor dem türkischen Halbmond gerettet; in der türkischen Geschichtsschreibung ist die Belagerung von Wien hingegen nur ein Randthema.

Dreibund

Der Dreibund des österreichischen und deutschen Kaisers und des Sultans
Wikipedia (CC)
Der Dreibund

Was hingegen weniger ins österreichische Geschichtsbild passt, ist die Tatsache, dass man im ersten Weltkrieg mit dem Osmanischen Reich verbündet war und sogar Spenden für die „türkischen Waffenbrüder“ sammelte. Konterfeis von Sultan Mehmed V, Kaiser Wilhelm II und Franz Joseph I zierten zehntausende Postkarten, Kaffeekannen, Gläser und Teller. In seinen Briefen an Sisi war der Kaiser voll des Lobes für die Osmanen. Die drei Herrscher riefen 1914 gar gemeinsam den Dschihad aus. Erst nach dem Kriegsende und mit dem Zerfall sowohl des Habsburgerischen als auch des Osmanischen Reiches zerfielen auch die engen Beziehungen, die gemeinsamen Kulturstätten, Wirtschaftsverbindungen und Bildungseinrichtungen.

Böhmische Großmütter

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Zeit des Wirtschaftswunders, intensivierten sich die Beziehungen erneut: 1963 unterzeichnete die Vorläuferin der EU, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, ein Assoziierungsabkommen mit der Türkei. In dieser Zeit wurde auch vermehrt um türkische Gastarbeiter geworben. Als sich einige der Gastarbeiter entschieden, im Land zu bleiben, sahen sie sich bald den gleichen Vorurteilen ausgesetzt, wie die böhmischen Einwanderer sechzig Jahre zuvor: sie würden die deutsche Sprache verschandeln, zu viele Kinder haben und sich der österreichischen Kultur nicht anpassen. Inzwischen ist es aber ein Teil der österreichischen Identität, eine böhmische Großmutter gehabt zu haben.

Gegen Halbwahrheiten

Für seinen Film fragte Dilaver Passanten, was Österreicher heute mit der türkischen Geschichte assoziieren würden. Die Antworten waren relativ stereotyp: neben den beiden Türkenbelagerungen fielen den meisten die Rettung der Christenheit vor dem Islam, der Genozid an der armenischen  Bevölkerung, die Problematik mit den Kurden und die Diskussion um das Kopftuch ein. Die Meinungen gingen von „So lange sie nicht stänkern, sind sie eh okay“ bis zum Vorschlag, endlich die Kopftücher abzunehmen und sich „unserer“ Kultur anzupassen. Einige meinten hingegen, dass es an der Zeit sei, das Potential von Zweisprachigkeit und Vielfalt endlich zu nützen.  

„Der Film ist ein Versuch, die festgefahrenen Ansichten und die schwarz-weiß gemalten Bilder, die Generalisierungen, die Halbwahrheiten aufzulösen“, wie Dilaver meint. Im Film fragt er auch danach, wie man mit Erinnerungen umgeht, wie Vorurteile entstehen und wie man ihnen entgegentritt, wie die Angst vor Überschwemmung durch Fremde von Meinungsmachern erfunden und durch die Medien verstärkt wird. Er sucht Antworten, was Integration eigentlich bedeutet und stößt auf zahlreiche, oft widersprüchliche Diskurse.

Mit seinem Film will er eine Diskussion eröffnen, er fürchtet sich nicht vor Kritik, sondern ermuntert diese. Er möchte, dass die Zuseher sich letztlich fragen, wie man die unterschiedlichen Talente nützen kann, anstatt an Vorurteilen festzuhalten. Sicherheitshalber polarisiert er schon mit dem Titel seines Films, Östürkreich, und einem Logo, das so aussieht wie der Titel eines Gratisblatts, welches dafür bekannt ist, mit den Ängsten der Bevölkerung zu spielen.

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