Vor fünf Jahren in Bozen: eine Gruppe von Idealisten will ein gesellschaftspolitisches Zeichen setzen. Sie wollen ein Online-Medium gründen, das der Südtiroler Realität Rechnung trägt – anders als die Zeitungen der etablierten Medienhäuser: man will zweisprachig sein, Bürger*innenjournalismus fördern und außerdem demokratisch organisiert sein. Ein ambitioniertes Projekt in dem von einem Monopolisten beherrschten Südtiroler Medienmarkt.
Sie gründen die Genossenschaft demos2.0 als Herausgeber der Online-Tageszeitung salto.bz. Jedes Mitglied der Genossenschaft hat eine Stimme, unabhängig von der Höhe der finanziellen Einlage. Damit sollen demokratische Mitbestimmung und Unabhängigkeit von finanzstarken Einflüsterern garantiert werden.
„Anfangs war es schwierig Unterstützerinnen zu finden, die Kapital in ein Onlinemedium ohne großes Medienhaus im Rücken investieren und Journalistinnen zu überzeugen, sich auf so ein verrücktes Experiment einzulassen. Schließlich ist es „nur“ eine Idee von idealistischen Aktivistinnen,“ sagt der Arzt und Genossenschaftspräsident Max Benedikter. Heute gibt es bei salto.bz rund 150 Genossenschaftsmitglieder, sechs gerecht entlohnte Mitarbeiterinnen und eine Vielzahl von Selbstständigen. Auch bekannte Journalist*innen internationaler Blätter tragen ehrenamtlich zur Onlinezeitung bei. Die Finanzierung gelingt über die Beiträge der Genossenschaftsmitglieder, Werbeeinnahmen und Spendenabos. 2017 hat salto.bz immerhin erstmals positiv bilanziert.
Jutta Kußtatscher
Geburtshelferin ist die Journalistin und Autorin Jutta Kußtatscher: als sie gefragt wird, ob sie Interesse hätte, ein Onlinemedium aufzubauen, verwirft sie ihre Pläne einer Grönlandreise. Sie baut eine Redaktion auf, investiert ihre Kontakte, um Interviewpartner*innen zu finden und schreibt Leitartikel. Bereits von Anfang an erscheinen täglich zehn Artikel, von traditionellen Chroniknachrichten bis hin zu Aufdeckergeschichten. Geschrieben wird entweder auf Deutsch oder Italienisch – übersetzt wird nicht. Ist es doch eines der Ziele des Portals, der Zweisprachigkeit der Südtiroler Gesellschaft gerecht zu werden.
Gleich zu Anfang wird auch die Community aufgebaut. Jeder registrierte Userin kann auf dem Portal einen eigenen Blog betreiben. Hält die Redaktion einen Communitybeitrag für interessant, kann sie ihn in den redaktionellen Teil der Zeitung übernehmen.
Mit der Community kommen aber auch die Trolle: Immer wieder versuchen Individuen, die (für Südtiroler Medien damals relativ neue) Freiheit für Stänkereien auszunützen. Einige der Protagonist*innen erkennt Kußtatscher wieder: sie waren schon während ihrer Zeit als Bloggerin für das Südtiroler Wochenmagazin ff aktiv gewesen. „Manchmal sind das hochintelligente Leute, die Anerkennung suchen“, meint Kußtatscher. In solchen Fällen hilft das persönliche Gespräch. Bei anderen Störenfrieden hilft allerdings nur eine Kontosperre und – wenn strafrechtliche Relevanz vorliegt – eine Anzeige.
Christoph Franceschini
Seit 18 Monaten ist der Investigativjournalist und Bestsellerautor Christoph Franceschini Chefredakteur. Von sich selbst sagt er zwar, er sei nur ein „neugieriger, kleiner Provinzjournalist“; dass er 2005 mit dem renommierten „Prof. Claus Gatterer-Preis für sozial engagierten Journalismus“ bedacht wurde, spricht freilich eine andere Sprache: Franceschini ist d e r Aufdecker in der Südtiroler Medienlandschaft. Im Jahr 2014 erscheint sein Buch „SELfservice“ über den größten öffentlich gewordenen Betrug in der Südtiroler Nachkriegsgeschichte. Es geht um Kraftwerke, Konzessionen, Absprachen und eine Schadenssumme für die öffentliche Hand von über einer Milliarde Euro – und das Buch erzeugt ein politisches Erdbeben. Man versucht Franceschini durch Klagen einzuschüchtern; „Aber das gehört zum Geschäft. Gute, stichhaltige Recherche erschwert es den Klägern, zu gewinnen.“
Im Jahr 2015 erscheint das Buch „Bankomat“ über die Millionenverluste der Südtiroler Sparkasse, die zu 64 Prozent einer öffentlich-rechtlichen Stiftung gehört. Es geht um faule Kredite, Fehlentscheidungen, schlechte Investitionen, übertriebene Expansionspolitik und missachtete Warnungen der Bankenaufsicht. Die geplante Buchpräsentation muss verschoben werden, weil ein internationales Anwaltsbüro straf- und zivilrechtliche Schritte ankündigt, sollte das Buch während der noch laufenden Kapitalerhöhung erscheinen - es könnten ja potentielle Investoren abgeschreckt werden. Die Buchpräsentation wurde auf 11. Dezember 2015 – 16.01 Uhr – verschoben, auf eine Minute nach Ablauf der Frist zur Kapitalerhöhung. Danach beginnt die italienische Bankenaufsicht zu ermitteln.
Bei salto.bz hat Christoph Franceschini den Spagat zwischen „Aufdecker-Geschichten“ und Chronik und Lokalnachrichten zu bewältigen: „Beide Formen haben ihre Berechtigung.“ Er vergleicht es mit einem Restaurant. Damit ein Koch es sich leisten kann, Gourmetmenüs anzubieten, muss er auch Hausmannskost kochen. Gourmetküche alleine kann sich kaum ein Küchenchef leisten. Freilich muss die Qualität auch bei der Hausmannskost passen.
Max Benedikter und Magnus Egger
Mit der wachsenden Reichweite und der kritischen Berichterstattung kommen freilich auch die Klagen. salto.bz-Gründungsmitglied und Rechtsanwalt Magnus Egger meint: „Es gibt drei Hauptgruppen von Klägern. Die ehrlich überraschten, beleidigten, empörten Menschen, die sich plötzlich als Hauptdarsteller einer Skandal-Berichterstattung wiederfinden, jene, die systematisch klagen, weil ihnen die Berichterstattung nicht passt; und dann noch jene, die aus Konkurrenzgründen klagen und versuchen, sich so den Medienmarkt freizuschießen.“ Demos20-Präsident Max Benedikter meint dazu: „In Südtirol wird schnell geklagt. In der kleinen Gruppe von Personen, die die ökonomische und politische Macht in der Hand haben, ist die Arroganz ein Wahrzeichen ihrer Handlung. Wenn sich jemand frech zu fragen traut und Kritik übt, wird geklagt. Oft werden Klagen ohne Grund eingereicht – denn Klagen sollen mundtot machen. Immer weniger sehen kritischen Journalismus als Notwendigkeit.“
Fünf Jahre salto.bz
Beim Fünfjahresfest im Juni 2018 sind sich die Partygäste einig, dass salto.bz ein Rohdiamant ist, der noch weiter geschliffen werden muss, dass es noch blinde Flecken gibt, die man behandeln sollte. Andererseits ist es ein sehr schönes Beispiel dafür, dass es möglich ist, ohne große Investor*innen und ohne ein Medienhaus im Rücken ein erfolgreiches Onlinemedium zu betreiben. Täglich gibt es bis zu 8.000 unique visitors und bis zu 20.000 Seitenaufrufe aus der ganzen Welt.