Zwei Stunden lang hörte der Filmemacher Walter Größbauer dem Bildhauer Carlo Wimmer beim Schimpfen zu; zum Handkuss kamen KünstlerkollegInnen, WienerInnen und eben auch der Regisseur und sein Werk selbst. Der Satz blieb im Film, viele andere mussten herausgeschnitten werden: „Ich konnte nur einen Bruchteil des Interviews verwenden, sonst hätte man uns sicher verklagt,“ sagt Größbauer.
Die Schimpftiraden des Bildhauers bilden einen gewollt gesetzen Kontrapunkt zum eigentlichen Inhalt: der Film handelt vom Klavierbauer Bernhard Balas, der seine Werkstatt im 15. Wiener Bezirk hat. Nach mehreren Dokumentationen aus Ländern wie Ägypten oder Indien wollte Größbauer es einmal gemütlicher angehen und direkt von Wien aus drehen: "Hier kann ich vor den Drehs gemütlich zu Hause in der sauberen Wohnung frühstücken". Da passte es gut, dass seine Partnerin, die Regisseurin, Claudia Pöchlauer den unkonventionellen Klavierbauer kennengelernt hatte. „Ich dachte ich hätte ein unerforschtes Biotop entdeckt,“ erzählt Größbauer von seinem ersten Treffen mit Balas. „Mir war klar, den Menschen will ich näher kennenlernen.“
Chinesische Investoren
„Bernhard ist der größte Individualist, den ich je getroffen habe, Seine Werkstatt ist ein 'Bernhardtopia', das genaue Gegenteil der heutigen stressigen Arbeitswelt mit Überstundenpauschalen und geringfügig Beschäftigten.“ In der Welt des Bernhard Balas geht es langsamer und gemütlicher zu. Er schläft schon mal ein, wenn eine berühmte Pianistin ein Klavier vor dem Kauf testet. Dabei liegt ihm jedes einzelne seiner Instrumente am Herzen: Als ein chinesischer Investor ihm 50 Klaviere auf einmal abkaufen wollte, lehnte Balas ab. Er würde seine "Kinder" doch nicht bei 95 % Luftfeuchtigkeit in Shanghai verrecken lassen“, erzählt er im Film.
Nach seiner Klaviermacherlehre ging Balas fünf Jahre auf die Walz, reiste nach Mittelamerika, Südostasien und Australien. Seit seiner Rückkehr nach Österreich 1993 baut und restauriert er Klaviere. Nebenbei geht er fischen und kocht den Fang für seine MitarbeiterInnen gern in der kleinen Küche der Werkstatt. Manchmal lädt er dazu auch Freunde und Bekannte ein, gegessen wird auf der Gasse, wo er - nicht ganz legal - Tische und Stühle aufstellt.
Sonnenschirme und Glücksmomente
Die Gäste sind allesamt IndividualistInnen: Ein Physiker, der lieber Tasten poliert, als Formeln zu lösen, ein befreundeter Klavierrestaurator, der Sonnenschirme sammelt und historische Kostüme näht, Bekannte, die vor einem halben Jahr noch Christian heißen und jetzt als Christine glücklich sind, andere, die im Selbstverlag Bücher publizieren oder solche, die auf der Suche nach der großen Liebe sind.
Größbauer hat den Klavierbauer, das Leben in seiner Werkstatt und seiner Freunde zwei Sommer lang gefilmt, beim Scheitern ihrer Projekte begleitet, ihre Zweifel dokumentiert - und auch ihre unverhofften Glücksmomente und die einfache Zufriedenheit in einem gemächlichen Leben: "Eile hätten die Protagonisten nicht vertragen", meint Größbauer. Der Film ist eine Hymne an die Individualität und
an das Anderssein gedreht.
Liebeserklärung
„Sommer in Wien“ wäre ein Film so schön und entspannend wie ein heißer Sonntagnachmittag im Hochsommer, wäre da eben nicht der Bildhauer Carlo Wimmer mit seiner Sicht auf die Welt. „Im Film sind alle so lieb, ich dachte mir so kann ich das nicht stehen lassen.“ Wimmers Tiraden sind quasi der Kontrapunkt zu einer Stadt, die - zumindest im Sommer - eh richtig liebenswert ist.
Dazu passt die Filmmusik des Wiener Liedermachers Franz Machatschek, der in vier Songs seine ganz eigene Liebeserklärung an Wien abliefert - allerdings mit einem satirischen Tritt in den Hintern.
Premiere ist am 17. September 2015 im Votivkino. Weitere Termine