Hallenhockey statt Abfahrtshocke
Österreich ist erstmals in der Sportgeschichte Hockey-Weltmeister. Und ein Rodler macht die erste Goldene der Skination Nummer 1 bei den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang. Die Welt steht nimmer lang. Oder doch?
Österreich ist erstmals in der Sportgeschichte Hockey-Weltmeister. Und ein Rodler macht die erste Goldene der Skination Nummer 1 bei den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang. Die Welt steht nimmer lang. Oder doch?
Ich fürchte, dass David Gleirscher – der erste österreichische Rodel-Weltmeister seit genau fünfzig Jahren – nicht um den Titel „Sportler des Jahres“ mitreden wird. Ebenso wenig übrigens wie Oliver Marach, immerhin Sieger im Doppel der Australian Open, also eines Grand-Slam-Turniers. Es ist auch davon auszugehen, dass Österreichs Hallen-Hockey-Nationalteam im kommenden November bei der jährlichen Wahl zum „Team des Jahres“ keine Rolle spielen wird. Nicht etwa, weil die jungen Herren versagt hätten, was ja gelegentlich vorkommt im österreichischen Ballsport. Etwa im Fußball, wo Österreich zu einer europäischen Minderheit zählt. Und zwar zu jenen Nationen, die noch nie einen Titel errungen haben. Weder auf Vereins- noch auf Nationalteam-Ebene.
Die Hockey-Herren wurden hingegen innerhalb von nur fünf Wochen Europa- und Weltmeister. Jeweils nach Siegen im Penalty-Schießen. Jeweils gegen die klar favorisierten Deutschen – einmal im Semifinale, einmal im Finale. Jeweils im Endspiel gegen das Team des Gastgeber-Landes: bei der EM gegen Belgien, bei der WM in Berlin gegen Deutschland.
Menschen, die das Sportgeschehen vielleicht nur am Rande verfolgen, werden sich vielleicht wundern, warum diese sensationelle Leistung von den Sportjournalisten des Landes nicht mit dem Titel „Team des Jahres“ belohnt wird. Doch es gibt triftige Gründe dafür.
Der Österreicher neigt zum sportlichen Masochismus. Offenbar macht es mehr Spaß, mit den Kickern mitzuleiden, selbst wenn diese im internationalen Geschehen nur Exoten sind.
Der ehemalige ORF-Sportchef Elmar Oberhauser hat die österreichische Sportlandschaft in den 1990er-Jahren nachhaltig gespalten: Erste Kategorie „Primärsportarten“ – also Fußball, Formel I, Skifahren und notgedrungen Tennis. (Damals war blöderweise ein gewisser Thomas Muster Nummer 1 der Welt.)
Zweite Kategorie: Randsportarten – was für ein respektloser Ausdruck! Stellen Sie sich vor, ein Firmenchef sagt nicht „meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, sondern „meine Randfiguren“. Weltsportarten wie Basketball, Volleyball, Tischtennis, Schwimmen, Leichtathletik, Radsport, sogar Eishockey und viele andere wurden in einen Sender namens ORF III verfrachtet. Zu Beginn konnte dieses Programm nicht einmal überall empfangen werden. Es wurde auch kaum beworben. An den Erwerb der TV-Rechte für internationale Großveranstaltungen olympischer Kernsportarten war schon gar nicht zu denken.
Oberhauser war selbst ein Vertriebener: Die Politik parkte den damals härtesten Interviewer des ORF 1995 im Sport-Ressort, statte ihn mit der Cheffunktion aus und stellte ihn auf diese Weise ruhig. Sportliche Vorbildung? Bestenfalls Schulnote 4. Oberhauser hegte und pflegte seine Kontakte zum österreichischen Skiverband und zur Formel-I. Gleichzeitig musste er einen Konkurrenzkampf um die TV-Rechte für nationale und internationale Fußball-Rechte führen. Auf diesen drei Flammen wurde praktisch das gesamte Sport-Budget verkocht. Kaum war Thomas Muster Tennis-Pensionist, waren auch alle Grand-Slam-Turniere aus den ORF-Programmen verschwunden. Bis heute beschert diese eigenwillige Strategie dem Konsumenten stattdessen stundenlange Übertragungen von sinn- und wertungsfreien Warm-Up-Trainigsläufen mit Automobilen.
Gemeinsam mit den beiden nicht sehr groß gewachsenen Giganten Bernie Ecclestone und Peter Schröcksnadel wurde das Schicksal des restlichen österreichischen Sports besiegelt. Skifahren ist Österreichs Nationalheiligtum. Wehe es wagt einer, diesen Sport als internationalen Randsport zu bezeichnen. Das ist genauso schlimm, als würde irgendein dahergelaufener Historiker Mozart als Bayern bezeichnen. Ein Sakrileg! So etwas tun nur Nestbeschmutzer. Womöglich dieselben, die jetzt gerade dabei sind, sexuelle Übergriffe aus der Vergangenheit aufzudecken.
Inzwischen heißt der Spartensender ORF Sport+. Es wird zwar immer noch auf Sparflamme gekocht, doch international beachtenswerte Erfolge österreichischer Sportler_innen sind dort schon fast häufiger zu sehen als in ORF 1. Diese reichen von Dominic Thiem über den Rodel-Weltcup bis zu den Hockey-Herren. Viele Sportarten schaffen es aber nach wie vor nicht einmal in dieses Minderheitenprogramm, weil erwartet wird, dass sie bezahlen müssen, um dort überhaupt vorzukommen. Absurd und auch journalistisch bedenklich. Korrekterweise müsste der Sender also nicht „ORF Sport plus“ sondern „ORF Sport minus“ heißen. Was nichts mit der Qualität zu tun hat, die langsam aber kontinuierlich steigt.
Skifahren und Fußball sind aber nicht nur dem ORF heilig, sondern auch der Mehrheit aller Sportjournalisten. Viele sind mit der Oberhauser-Wertung aufgewachsen. Darum befürchte ich, dass Österreichs sensationelles Hockey-Team nicht zum Team des Jahres gewählt wird.
Vielleicht kommt ja dem Skispringer-Team doch noch eine Bronzemedaille aus…
Vielleicht gibt es Gold im Alpinen Teambewerb…
Vielleicht erreicht Red Bull Salzburg nach dem traditionellen Scheitern in der Champions-Leauge-Qualifikation das Viertelfinale der Europa Leauge…
Ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn ich mich irre. Denn das Hockey-Märchen erinnert mich an das kleine gallische Dorf bei Asterix. Diese Burschen hätten es wirklich verdient, nicht nur in Deutschland, sondern auch im eigenen Land entsprechend gewürdigt zu werden.