Es ist kaum vorstellbar, dass die PoetrySlam-Veranstalterin Diana Köhle während ihres Studiums Angst hatte Referate zu halten, sie war zu nervös. Das änderte sich, als sie vor 13 Jahren nach Wien zog: Neue Stadt, neues Leben. „Bei den ersten PoetrySlams agierte ich nur im Hintergrund. Jetzt bin ich süchtig“, sagt sie. Diana moderiert die Veranstaltungen. Slammer haben fünf Minuten Zeit, um Selbstgeschriebenes vorzutragen. Nur der Text und die Performance zählen, alle Sprachen, alle Genres – Poesie, Lyrik, Hip-Hop, Kurzgeschichten –sind erlaubt, und das Publikum ist die Jury.
2014 veranstaltete sie über 40 Slams. Vom Baustellen-Slam in Aspern (die Bühne war in einer Baggerschaufel), über den Comic-Slam: die Texte der Slammer wurden von Comiczeichnern simultan zum Vortrag gezeichnet; den Ute-Bock-Benefiz-Slam; bis zum SlamB im Literaturhaus und dem Tagebuch-Slam im TAG. Dort saß im Februar der Regisseur David Schalko im Publikum. Er bat Diana um eine Visitenkarte. Im Mai drehte der ORF den Piloten und im Herbst 2014 wurden fünf Tagebuch-Slams ausgestrahlt.
Tagebuch-Slam
Tagebuch-Slam
Tagebuch-Slam: Alle Tagebuchschreiber können sich anmelden. Die Texte müssen selbstverfasst sein und aus dem Originaltagebuch vorgetragen werden und längstens fünf Minuten dauern.
Im April 2013 machte Diana sich auf die Suche nach ihren Tagebüchern. „Es ist schon erstaunlich, dass man seine persönlichsten Sachen einfach im Elternhaus zurück lässt.“ Drei Wochen lang las sie sich durch ihre 18 Tagebücher. „Ich sah, das ist schräg und es kann sehr lustig sein. Es war schön Momente wieder aufleben zu lassen.“ Die Idee des Tagebuch-Slams war geboren. Einen Abend miteinander und nicht übereinander lachen. „Keiner soll bloß gestellt werden, deshalb eröffne ich den Abend auch mit Ausschnitten aus meinen Tagebüchern. Es ist eine ehrliche Sache. Es ist uns eh alle gleich gegangen. Über all die Generationen haben wir mit vierzehn Jahren alle die gleichen Probleme gehabt: egal ob hetero oder homosexuell oder Männchen oder Weibchen.“ Es sind Persönlichkeitsreflektionsbücher, Zeitdokumente in denen sich fast jeder wieder findet.
Die Teilnehmer beim Tagebuch-Slam sind zwischen 14 und 90 Jahren alt und lesen fünf Minuten lang aus ihren Tagebüchern vor: von Emo-Kacke, vom Koks-Dieter, verwirrenden Dreiecksbeziehungen, Mäusen die Dessous anknabbern, dem Versuch Ungeziefer im hausgemachten Likör zu ersäufen und dem ersten Kuss („sehr schleimig“). Von „schönen“ Dauerwellen und schlechten Liebesgedichten: „Du bist das Hefe in meinem Weizenbier“, Exipitionismusfantasien auf Volksfestbühnen, von feurigen Mädels, die mit 15 Jahren vom ersten Kuss und Motorrollern träumen, Gespräche über Geschlechtsverkehr, zickigen Freundinnen, Bekanntschaften mit der Klagenfurter Unterwelt und Drogenszene und fehlenden Schneidezähnen.
1000 Schilling
Der 90ig-jährige Fredy las die berührende Geschichte von seiner Mutter, die zu ihm an die Kriegsfront reiste, um ihm Essen zu bringen. Wie er nach Kriegsende eine Turmspringerin mit verrutschtem Bikinioberteil im Ottakringer-Bad sah, sich verliebte und bis zu ihrem Tod mit ihr verheiratet war. „Jeder hing ihm an seinen Lippen“, sagt Diana. Er gewann den Slam und den Hauptpreis von 1000 Schilling (72,67 Euro). „Die meisten Tagebucheinträge wurden noch zu Schillingzeiten geschrieben“, sagt Diana. Jeder Teilnehmer erhält auch ein Paperblanks-Tagebuch.
SlamB im Literaturhaus
SlamB
SlamB: Mitmachen kann jeder. Pro Abend treten zwölf Kandidaten gegeneinander an. Zu gewinnen gibt es ein Halbjahresabo, Trinkbecher und Bücher von der Stadtzeitung Falter, Paperblanks, das Satiremagazin „Bananenblatt“ von den Komischen Künsten und das Schweizer Reportagen-Magazin. Alles verpackt in Taschen vom Literaturhaus.
Beim PoetrySlam im Literaturhaus trugen schon mehr als 200 Slammer ihre Texte vor. Es treten in vier Runden jeweils drei Slammer gegeneinander an. Das Publikum ist die Jury.
In Wien gibt es eine große Szene, auch wenn nur wenige Slammer von ihrer Kunst leben können. „Man kann sich ausprobieren. Muss aber auch damit umgehen können, direkt vom Publikum kritisiert und bewertet zu werden. Es kann süchtig machen.“
Aber es ist auch ein Sprungbrett in die Literaturwelt. „Mittlerweile ist jedes Jahr jemand mit Texten beim Bachmannpreis vertreten, der schon auf meiner Slambühne gestanden ist.“ Die Slammerin Ann Cotten ist inzwischen beim Suhrkamp Verlag unter Vertrag. Im Februar erschien der erste Roman des Ö-Slam-Sieger 2014 Elias Hirschl „Der einzige Dorfbewohner mit Telefonanschluss“ bei Milena. Der Kabarettist Paul Pizzera spielt vor ausverkauften Häusern. Das freut die stolze „Slam-Mama.“