Vor dem Festivaleingang lehnen Menschen an den Wänden der Gößler Dorfkirche. Sie hören dem Cellisten Lukas Lauermann zu, schauen in die schroffen Berge und auf den dunklen Grundlsee. Am Eingang kontrolliert die Freiwillige Feuerwehr grüne Bänder an Handgelenken, gewähren Zutritt zum Festival „Sprudel, Sprudel und Musik“ – den begehbaren Seefestspielen im Ausseerland. „A guate Ecken, a Wahnsinn,“ wird Ernst Molden während seines Konzerts über die Location sagen und Recht behalten.
Zwischen 2005 und 2015 organisierte der Werbefachmann Franz Steinegger das Festival, pausierte zwischen 2015 und 2017 weil er, wie er sagt, überraschenderweise Bürgermeister (ÖVP) von Grundlsee geworden sei. 2018 war es wieder so weit. Musiker_innen, Fotograf_innen, Maler_innen, der sanfte Riese Dundu und ein Überraschungsgast bespielen das Dorf Gößl und den Weg zur schwimmenden Bühne am Toplitzsee.
"Dorfsprudel"
In Gößl wohnen 400 Menschen meist in Holzhäusern umgeben von Apfelbäumen, Gemüsegärten und Holzstapeln. An den Hauswänden und in den Apfelbäumen hängen Fotos von alten Frauen und Landschaften, an den Stallwänden Fotografien von schwimmenden Hüten und auf Holzstapeln Zeichnungen. Im ganzen Dorf „sprudelt“ Musik und Kunst.
Im Stall des Bauern Veit spielt der Wiener Songschreiber Martin Klein, vor ihm liegt das Publikum entspannt im Gras, hinter ihm steht der vollbeladene Heulader. Am Toplitzbach tritt die Flötistin Aniela Fey und der Perkussionist Alexandre Lore auf und am Kreuz-Gaiswinkl-Stammtisch musizieren die Annerl Aussernkuchl. Dazu werden regionale Spezialitäten wie Eschbonkoh (Erdäpfelkoch) und Hasenöhrl (ausgebackener Teig mit Sauerkraut) gereicht, mit einem Schnapserl zur Verdauung und Most und Bier als Wegzehrung.
Der Fotograf Armin Walcher präsentiert sein Buch „Zeitlos“ in einem Heuschober. Er ist Fragen nach Zeitgeist in rasanten Zeiten, der Vereinbarkeit von Veränderung und Tradition und der vielen Bedeutungen von Heimat nachgegangen. Dabei fand er zwar keine universelle, aber viele individuelle Antworten – gegeben von einem Schatzsucher, einer Dorfrichterin, einem Krippenbaumeister, drei Dirndlnäherinnen, einem Lebzelter, Musikant_innen und einem Salzbergmann, u.a.m.. Entstanden ist ein 500seitiges Buch wunderbarer Geschichten und Fotos und einem Zusatzfeature – mittels APP und Handy können Videos zu einzelnen Porträts abgespielt werden.
Vulvas und Geigenspieler
Am Weg entlang des Toplizbaches spielen auf einem Felsbrocken der Geiger Toni Bruger, der Klarinettist Christian Kapun und dazu spricht Heinz Oliver Karbus, die Künstlerin Jacqueline Kober legt in eine Kommode Gipsabdrücke von Vulven und Brüsten. Als Zeichen, dass Frauen oft auf ihre Körper, ihre Geschlechtsmerkmale reduziert werden. Dazwischen begegnen Festivalbesucher_innen dem Karikaturisten Gerhard Haderer, der seine Werke unter dem Arm und seine politische Meinung auf der Brust trägt: das MOFF-Leiberl „Antibasti“.
Ein Weg voller unerwarteter Eindrücke.
Schwimmende Bühne
Im Toplitzsee schwimmt ein Floß, darauf spielen die Songpoetin und Protestsongcontestgewinnerin Sarah Lesch und der Singer/Songwriter Benni Benson Lieder gegen soziale Ungerechtigkeiten, die Verrohung der Gesellschaft und die Rettung von 37 Menschen aus Seenot. Die Texte stehen im schroffen Widerspruch mit der wildromantischen Natur, dem dunklen See voller Geheimnisse und den steilen Berghängen. Das Publikum sitzt unter Bäumen, auf Ästen und am Waldboden und singt bei dem Lied „Testament“ mit. Einem Song, den Lesch eigentlich für ihren Sohn geschrieben hat, aber inzwischen zum Youtubehit geworden ist.
"A Wahnsinn"
Gegen Abend stellen die rund 2.000 Festivalbesucher_innen Bierbänke vor der Hauptbühne auf und spekulieren über den Überraschungsgast. Ist es Hubert von Goisern, der würde gut zum Line-up passen oder Nino aus Wien, schließlich liegt ein Buch von ihm am Merchandisestand oder doch Vodoo Jürgens oder gar die Denk? Schließlich rutschen die Zuhörer_innen zusammen, warten auf den Knopfharmonikaspieler Walther Soyka, den Gitarristen Hannes Wirth, den „besten Singer und Songwriter der Welt: Commendatore“ Ernst Molden und „Österreichs einzigen echten Superstar“ Willi Resetarits. Letzterer fürchtet Nierenversagen durch Dehydrierung und wird richtig verstanden. Spritzer werden auf die Bühne gebracht. Molden zündet sich eine Zigarette an, steckt sie in die Gitarrensaiten, kündigt für Resetarits maßgeschneiderte Lieder an und dann singen sie zum Sonnenuntergang über die Prater Hauptallee, den Toboggan und Haschischhendeln.
Der Überraschungsgast
Dann, der Überraschungsgast.
Er stellt sich nicht vor. Singt ein Lied, erhält Applaus. Erzählt von bekehrten Säufern und Leonard Cohnen und davon wie er Lieder auf Speibsackeln schreibt. Spielt ein Duett mit Ernst Molden. In der gesamten Bankreihe weiß niemand wer er ist. Er klingt wie Cat Stevens, sagt eine Frau, ist der nicht schon tot, fragt ihr Sitznachbar, nein, der tritt noch auf, erhält er als Antwort. Am Merchandisestand gibt es die Auflösung. Es ist der Oscar-Preisträger (für den Film Once), Trump-Kritiker, irische Folk-Rocker Glen Hansard. Er bleibt aber nicht die einzige Überraschung. Nach seinem Auftritt wird ein Vorhang vor die Bühne gezogen, dahinter spielen der Songwriter Mathias Jakisic, der Geiger Toni Burger und der Gitarrist Al Slavic, auf den Vorhang wirft das Wiener Lichtkunstkollektiv Lichttapete Bilder. Ein Gesamtkunstwerk, nur beschreibbar als visueller und akustischer Orgasmus unter Sternenhimmel. Als dann noch eine Lichtgestalt auftritt sprudelt die Begeisterung. Der fast drei Meter große leuchtende Riese Dundu – eine von Menschenhand bewegte Puppe - spaziert, tanzt und winkt zum Abschied.
„A guate Ecken, a Wahnsinn.“